RS Vfgh 1997/6/12 B1205/96

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Veröffentlicht am 12.06.1997
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
AlVG §1
BundesbahnG 1992 §22 Abs5

Leitsatz

Keine Verletzung des Gleichheitsrechtes durch die Einbeziehung in einem unkündbaren privatrechtlichen Dienstverhältnis stehender Dienstnehmer in die Arbeitslosenversicherungspflicht; Dienstverhältnis als sachlicher Anknüpfungspunkt; Einbeziehung auch der ehemaligen Bediensteten der ÖBB in die fragliche Neuregelung; keine Verletzung des Vertrauensschutzes

Rechtssatz

Die Arbeitslosenversicherung ist - ungeachtet der Tatsache, daß sie nicht in Selbstverwaltung besorgt wird - ein Zweig der Sozialversicherung (vgl. etwa VfSlg. 7313/1974; Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialversicherungsrechts4, Rz 280). Grundgedanke jeder Sozialversicherung ist die Zusammenfassung der Angehörigen eines Berufsstandes zu einer Riskengemeinschaft.

Innerhalb der jeweiligen Riskengemeinschaft steht der Versorgungsgedanke im Vordergrund, wohingegen der Versicherungsgedanke in der Ausprägung der Vertragsversicherung zurückgedrängt ist (VfSlg. 4714/1964, 5241/1966).

Diese Grundgedanken sind auch auf die (staatliche) Arbeitslosenversicherung, also jenen Versicherungszweig der sozialen Sicherheit, der den Schutz vor dem Risiko des Verlustes der Beschäftigung und des damit einhergehenden Verlustes der Unterhaltsmittel zum Gegenstand hat, anwendbar (zB VfSlg. 7313/1974).

Die Beschäftigung in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit ist an sich ein sachlicher Anknüpfungspunkt für die Arbeitslosenversicherung. Die durch die Novelle BGBl. 817/1993 (Aufhebung des §1 Abs2 litc AlVG) einbezogenen

Personengruppen sind, wie praktische Beispiele, die in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden, belegen, keineswegs als vor dem Risiko der Arbeitslosigkeit gänzlich gefeit anzusehen.

In dem Umstand, daß der Gesetzgeber nicht auch die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Personen in die Arbeitslosenversicherung einbezogen hat (vgl. den nach wie vor geltenden §1 Abs2 litb AlVG), kann schon deshalb keine Verfassungswidrigkeit im Sinne des Erkenntnisses VfSlg. 11.368/1987 erblickt werden, weil es sich - wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger, auch hier beizubehaltender Rechtsprechung judiziert (etwa VfSlg. 11.665/1988 mit Bezugnahme auf VfSlg. 5241/1966; VfSlg. 12.732/1991) - bei einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis und der Materie des Sozialversicherungswesens um tiefgreifend verschiedene Rechtsgebiete handelt.

§22 Abs5 BundesbahnG 1992 ist nicht dahin zu verstehen, daß die ehemaligen Bediensteten der ÖBB nicht von der Änderung im AlVG betroffen sind; vielmehr sind auch diese - nach Wegfall des §1 Abs2 litc AlVG - in die Arbeitslosenversicherung einbezogen. §22 Abs5 BundesbahnG 1992 hat lediglich bewirkt, daß den von ihm erfaßten ÖBB-Bediensteten der ihnen durch die Rechtsvorschriften nach Abs1 eingeräumte Anspruch auf eine Ersatzleistung für den Fall der Arbeitslosigkeit bzw. des Karenzurlaubes weiterhin erhalten bleibt.

Keine Verletzung des Vertrauensschutzes.

Die Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherungspflicht ist nicht etwa derart erfolgt, daß für bereits zurückgelegte Zeiten eines Arbeitsverhältnisses eine Versicherungs- und damit Beitragspflicht begründet worden wäre. Es ist vielmehr eine bis zum Inkrafttreten der Novelle BGBl. 817/1993 versicherungsfreie Tätigkeit infolge der inzwischen eingetretenen Änderung der Rechtslage zu einer versicherungspflichtigen geworden. Enttäuscht worden ist damit die Hoffnung, daß die aufgrund der gegebenen Rechtslage bestehende Versicherungsfreiheit weiterhin aufrecht bleibt. Eine solche Enttäuschung kann aber jede Änderung der Rechtslage bewirken. Es steht dem Gesetzgeber frei, die Rechtslage für die Zukunft anders und auch für die Normunterworfenen ungünstiger zu gestalten.

In dem Umstand, daß neben den Anwartschaften im Bereich des AlVG aufgrund anderer gesetzlicher oder dienstvertraglicher Regelungen ein Anspruch auf Ersatzleistung für den Fall der Arbeitslosigkeit bzw. des Karenzurlaubes gegenüber dem Dienstgeber besteht, und daß die Versicherung in der Regel zu keiner Versicherungsleistung führen wird, ist eine Verletzung eines geschützten Vertrauens nicht zu erblicken.

Wie der Verfassungsgerichtshof in VfSlg. 13.657/1993 dargetan hat, kann allerdings eine verfassungswidrige Enttäuschung berechtigten Vertrauens auf eine gegebene Rechtslage auch darin liegen, daß die Angehörigen einer Berufsgruppe in ein bestimmtes System der Versorgungssicherung gelockt werden, das dann infolge gesetzlicher Regelung seiner Wirkung beraubt wird. Ein solcher Fall liegt aber hier nicht vor.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Arbeitslosenversicherung, Sozialversicherung, Dienstrecht, Ruhegenuß, Bundesbahnbedienstete, Vertrauensschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:B1205.1996

Dokumentnummer

JFR_10029388_96B01205_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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