RS Vfgh 1997/6/13 WI-7/96

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Veröffentlicht am 13.06.1997
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art141 Abs1 dritter Satz
B-VG Art141 Abs1 lita
Nö GRWO 1994 §40 Abs4, Abs5
Nö GRWO 1994 §46
Nö GRWO 1994 §49
Nö GRWO 1994 §50 Abs2
Nö GRWO 1994 §64
Nö GRWO 1994 §70
VfGG §70 Abs1
Nö WahlO für Statutarstädte §80

Leitsatz

Teilweise Stattgabe der Anfechtung einer Gemeinderatswahl; Rechtswidrigkeit der Beauftragung eines vom Bürgermeister in die Stadtwahlbehörde entsandten Stellvertreters mit der Einsichtnahme in Wahlakten unter Mithilfe von Magistratsbediensteten zur Vorbereitung der Entscheidung der Stadtwahlbehörde im Zuge eines administrativen Anfechtungsverfahrens; Einsichtnahme in Wahlakten und deren Überprüfung der Wahlbehörde als Kollegium vorbehalten; rechtswidrige Unregelmäßigkeiten des Wahlverfahrens in einigen Wahlsprengeln; Aufhebung des Wahlverfahrens in siebzehn Wahlsprengeln sowie Aufhebung der Feststellung des Gesamtergebnisses dieser Wahl

Rechtssatz

In teilweiser Stattgebung der Wahlanfechtung werden das Verfahren zur Wahl des Gemeinderates der Gemeinde St. Pölten am 13.10.96, soweit es die Wahlsprengel 1, 2, 4, 7, 8, 11, 12, 25, 27, 44, 54, 55, 57, 71, 75, 82 und 83 betrifft, vom Beginn der Wahlhandlung an, sowie die Feststellung des Gesamtergebnisses dieser Wahl aufgehoben.

Es gibt kein verfassungsrechtliches Gebot, nach dem die Stimmabgabe so geregelt werden muß, daß sie nur unter Verwendung von amtlichen Stimmzetteln vorgenommen werden darf (vgl. VfSlg. 7731/1975, 6864/1972).

Es war rechtswidrig, den vom Bürgermeister (als Stadtwahlleiter) in die Stadtwahlbehörde entsandten Stellvertreter unter Mithilfe von Magistratsbediensteten mit einer Aufgabe - nämlich mit der Einsicht in einen Teil der Wahlakten einschließlich der Stimmzettel und mit deren (Vor)Prüfung im Hinblick auf die von der FPÖ gegen das Wahlergebnis erhobene Beschwerde - zu betrauen, die ausschließlich die Stadtwahlbehörde als Kollegium besorgen hätte müssen. Denn die abgegebenen Stimmzettel stehen nur den (als Kollegium amtierenden) Mitgliedern der Wahlbehörden (unter ständiger gegenseitiger Kontrolle) und auch ihnen nur so weit zur Verfügung, als es zur Erfüllung der diesen Organwaltern wahlgesetzlich übertragenen Aufgaben notwendig ist; allenfalls beigezogene Hilfsorgane dürfen nur unter den Augen des Kollegiums arbeiten (vgl. VfSlg. 11020/1986).

Werden die Stimmzettel während des Wahlverfahrens, wozu auch das administrative Anfechtungsverfahren gemäß §70 Nö GRWO 1994 zählt, unbefugten Personen zur unkontrollierten Überprüfung überantwortet, ist eine verläßliche Ermittlung des Wahlergebnisses durch die hiezu (allein) zuständigen Instanzen - objektiv - nicht mehr gewährleistet.

Bei Verletzung jener Vorschriften der Wahlordnung, die eine einwandfreie Prüfung der Stimmenzählung sichern sollen, ist die Möglichkeit von Mißbräuchen, die das Gesetz unbedingt ausschließen will, jedenfalls gegeben, ohne daß es des Nachweises einer konkreten - das Wahlergebnis tatsächlich verändernden - Manipulation bedarf.

Einer Wahlanfechtung ist nicht schon dann stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erwiesen wurde; sie muß darüber hinaus auch auf das Wahlergebnis von Einfluß gewesen sein. Diese (zweite) Voraussetzung ist bereits erfüllt, wenn die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluß sein konnte (mit Judikaturhinweisen).

Im Hinblick auf das Ergebnis der Gemeinderatswahl in der Gemeinde St. Pölten ergibt sich bei der gemäß §80 der Nö WahlO für Statutarstädte, LGBl. 0360-6, anzustellenden Berechnung (Anwendung des d'Hondtschen Höchstzahlenverfahrens), daß die - für die Vergabe des dreizehnten Sitzes im Stadtsenat maßgebliche - neunte Teilzahl der auf die SPÖ entfallenden Parteistimmensumme nur ganz geringfügig von der zweiten Teilzahl der auf die FPÖ entfallenden Parteistimmensumme differiert. Weiters ergibt sich, daß etwa schon dann, wenn bloß zehn Stimmen mehr auf die FPÖ entfielen, der dreizehnte Sitz nicht der SPÖ, sondern der FPÖ als deren zweiter Sitz im Stadtsenat zufiele.

Es läßt sich daher nicht ausschließen, daß die festgestellte Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluß sein konnte.

Eine Durchsicht der die Wahlsprengel 25, 55, 82 und 83 betreffenden Wahlakten durch den Verfassungsgerichtshof hat ergeben, daß laut Niederschrift der Sprengelwahlbehörde die Zahl der Wahlkuverts mit der Zahl der laut Abstimmungsverzeichnis erschienenen Wähler übereinstimmt und ebensoviele Stimmzettel abgegeben wurden. Eine Nachzählung durch den Verfassungsgerichtshof hat jedoch ergeben, daß die Zahl der Stimmzettel um eins höher ist als die Zahl der Wähler, die laut Abstimmungsverzeichnis ihre Stimme abgegeben haben.

Es liegt auf der Hand, daß bei dieser Sachlage von der Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens auszugehen ist.

Der Umstand, daß im Wahlsprengel 10 die Zahl der ungültigen Stimmen, die sich laut Niederschrift der Sprengelwahlbehörde ergibt, um eins höher ist als die Zahl der bei den Wahlakten befindlichen, als ungültig gewerteten Stimmzettel, konnte - selbst wenn darin eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens zu erblicken wäre - von vornherein für das Wahlergebnis nicht von Einfluß sein.

Entscheidungstexte

  • W I-7/96
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 13.06.1997 W I-7/96

Schlagworte

Wahlen, Stimmzettel, Ermittlungsverfahren (Wahlen), Wahlanfechtung administrative, Wahlbehörden, VfGH / Sachentscheidung Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1997:WI7.1996

Dokumentnummer

JFR_10029387_96W00I07_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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