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41 Innere AngelegenheitenNorm
EMRK Art2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Leben und im Recht, nicht der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden durch die Abgabe mehrerer Schüsse durch Gendarmeriebeamte im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle eines flüchtenden rumänischen StaatsangehörigenRechtssatz
Die Gendarmeriedienstinstruktion stellt ganz allgemein nicht darauf ab, Rechte und Pflichten der Rechtsunterworfenen zu gestalten. Dies gilt jedenfalls für §72 der Gendarmeriedienstinstruktion. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine ausschließlich an Verwaltungsorgane in dieser ihrer Funktion gerichtete verwaltungsinterne Anordnung, die den allgemein in der Rechtsordnung verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit jeden staatlichen Handelns konkretisiert. Signalschüsse sind danach auf den unumgänglich notwendigen Bedarf zu beschränken; eine Gefährdung von Personen darf jedenfalls nicht erwartet werden.
Das Recht auf Leben gemäß Art2 EMRK kann durch eine "Gewaltanwendung", die als nicht angestrebtes Ergebnis zu einer Tötung führen kann (vgl EGMR 27.09.95, McCann ua, ÖJZ 1996, 233ff), verletzt werden, und zwar dann, wenn diese nicht gemäß Abs2 leg cit gerechtfertigt gewesen ist. Der lebensgefährdende Gebrauch einer Dienstwaffe kann eine solche Gewaltanwendung darstellen (vgl VfSlg 8082/1977).
Bei jenem Schuß, der den Körper des Beschwerdeführers getroffen und durchdrungen hat, kann es sich nicht um einen Signalschuß (iSd §72 Gendarmeriedienstinstruktion) gehandelt haben. (so noch die der ursprünglichen Ablehnung der Beschwerde zugrundeliegende Annahme; dann jedoch Wiederaufnahme des Verfahrens durch den UVS aufgrund neuer Beweise - siehe hiezu die Sachverhaltsdarstellung im Volltext.)
Es ist also davon auszugehen, daß dieser Schuß in Richtung des Beschwerdeführers abgegeben wurde. Es fand somit ein lebensgefährdender Waffengebrauch gegenüber dem Beschwerdeführer statt, ohne daß die Voraussetzungen des §7 WaffGG gegeben waren. Unter den gegebenen konkreten Umständen muß darin eine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Mißachtung des Beschwerdeführers als Person und demnach ein Verstoß gegen Art3 EMRK erblickt werden (s VfSlg 9385/1982, 10546/1985, 12747/1991).
Der Schuß gefährdete laut dem Akteninhalt das Leben des Beschwerdeführers. Daß es sich bei der Verwendung der Dienstwaffe im Sinne des Art2 Abs2 EMRK um eine unbedingt erforderliche Gewaltanwendung gehandelt habe, ist weder behauptet worden noch im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren hervorgekommen. Der Waffengebrauch widersprach daher auch dem Art2 EMRK.
Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles hätte deshalb der UVS den durch das WaffGG nicht gedeckten und offensichtlich nicht maßhaltenden Einsatz einer Schußwaffe aufgreifen und eine Verletzung des Beschwerdeführers in den gemäß Art2 und Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten feststellen müssen.
Kostenzuspruch.
Ein Anspruch auf Streitgenossenzuschlag bestand nicht, da belangte Behörde im verfassungsgerichtlichen Verfahren ausschließlich der UVS ist.
Die belangte Behörde wird darauf hingewiesen, daß im verfassungsgerichtlichen Verfahren ein Kostenzuspruch an sie überhaupt nicht - also auch nicht für den Fall des Obsiegens, der hier nicht gegeben ist - vorgesehen ist.
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Waffengebrauch, Bundesgendarmerie, Verordnungsbegriff, VfGH / Kosten, Polizei, SicherheitspolizeiEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1997:B4127.1996Dokumentnummer
JFR_10028790_96B04127_01