RS Vfgh 1998/2/27 G326/97, G368/97, G369/97, G370/97, G398/97, G399/97, G400/97, G404/97, G411/97, G

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Veröffentlicht am 27.02.1998
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art10 Abs1 Z11
B-VG Art12 Abs1 Z6
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Allg
StGG Art5
EMRK Art6 Abs2
AuslBG §2 Abs4
AVG §8
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1

Leitsatz

Kein Verstoß einer Regelung des AuslBG zur Verhinderung der Umgehung dieses Gesetzes durch Vortäuschen von Gesellschaftsverhältnissen gegen den Gleichheitssatz, das Diskriminierungsverbot, die Privatautonomie und die Unschuldsvermutung; keine Beurteilung einer tatsächlich ausgeübten Tätigkeit sondern Prognoseentscheidung aufgrund der vorgelegten Vereinbarung und den gegebenen objektiven Begleitumständen; kein Verstoß gegen die Kompetenzverteilung und gegen das Determinierungsgebot

Rechtssatz

Zulässigkeit der Anträge des VwGH auf Aufhebung von Teilen des §2 Abs4 AuslBG idF BGBl. 502/1993 und BGBl. 314/1994.

Der VwGH bringt auch in den vom Einwand der Bundesregierung getroffenen Fällen zureichend zum Ausdruck, daß er den Text in jener Fassung würde anwenden müssen, die die Gesetzesstelle vor der Änderung der Behördenbezeichnung durch das Arbeitsmarktservice-Begleitgesetz in der Fassung der Beschäftigungssicherungsnovelle 1993 aufwies. Dieser Beurteilung kann der Verfassungsgerichtshof im führenden Fall schon angesichts des Umstandes nicht entgegentreten, daß der beim Landesarbeitsamt angefochtene Bescheid vom Arbeitsamt erlassen wurde und selbst die Berufungsbehörde noch vor Inkrafttreten des Arbeitsmarktservice-Begleitgesetzes am 1. Juli 1994, nämlich im März und Mai 1994 entschieden hat. Und sie leuchtet auch in jenen Fällen ein, in denen die Strafbehörde auf den Tatzeitpunkt abzustellen hat.

Ob die angefochtene Vorschrift noch in Kraft steht und daher im Falle der Verfassungswidrigkeit der Gerichtshof wegen ihres Außerkrafttretens nur mehr ihre Verfassungswidrigkeit feststellen kann, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs keine Frage der Zulässigkeit des Antrags, sondern gegebenenfalls in der Sachentscheidung zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 11.469/1987).

Abweisung der Anträge des VwGH auf Aufhebung von Teilen des §2 Abs4 AuslBG idF BGBl. 502/1993 und BGBl. 314/1994.

Die Vorschrift will nur die Umgehung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes durch Vortäuschen von Gesellschaftsverhältnissen verhindern. Im Zusammenhalt mit dem Gebot, nicht auf die äußere Erscheinungsform des Sachverhaltes, sondern auf seinen wahren Gehalt zu sehen (§2 Abs4 erster Satz) bringt das Erfordernis einer "tatsächlichen" Ausübung von Gesellschafterbefugnissen nur die Voraussetzung zum Ausdruck, daß die beabsichtigte Tätigkeit nicht nur nach den formellen rechtlichen Gegebenheiten des (vielleicht nur vorgeschobenen) Gesellschaftsvertrages, sondern nach der wahren Absicht der Parteien wirklich als Ausfluß der Gesellschafterstellung in Verbindung mit der hiefür typischen Einflußmöglichkeit auf die Geschäftsführung ausgeübt werden soll. Bei genauerem Zusehen entpuppt sich der angebliche Gesellschaftsvertrag gegebenenfalls als ein verkappter Arbeitsvertrag (vgl. Krejci in: Rummel, ABGB2, Rz 100 zu §1151; Grillberger in:

Schwimann, ABGB2, Rz 32 zu §1151 und nunmehr Pfeil, ebenda2, Rz 39; Floretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht I3, 40) oder erscheint neben dem Gesellschafts- eben auch ein Arbeitsverhältnis (insbesondere Tomandl, Wesensmerkmale des Arbeitsvertrages 131 ff., und Mayer-Maly, Österreichisches Arbeitsrecht I, 33).

Daß die Hintanhaltung von Mißbräuchen ein legitimes Ziel der Gesetzgebung ist und im öffentlichen Interesse liegt, bezweifelt der Verwaltungsgerichtshof selbst nicht. Auf Schuld oder Unschuld kommt es in einem vor Beginn der "typischerweise in einem Arbeitsverhältnis ... geleisteten" Arbeitsleistungen abzuführenden Feststellungsverfahren nicht an.

Auch der Vergleich der vom zweiten Satz des §2 Abs4 erfaßten Fallgruppe mit anderen Fällen, in denen das Vorliegen einer Beschäftigung im Sinne des §2 Abs2 zweifelhaft sein könnte, tut keine Gleichheitswidrigkeit dar. Der Gesetzgeber kann eine häufige und naheliegende, durch bestimmte Merkmale (Berufung auf ein Gesellschaftsverhältnis für typisch in einem Arbeitsverhältnis geleistete Arbeiten) und Voraussetzungen (Einfluß auf die Geschäftsführung) herausgehobene und abgegrenzte Fallgruppe einem vorgängigen Feststellungsverfahren unterziehen, ohne deshalb auch für andere Mißbrauchsmöglichkeiten verfahrensrechtliche Vorkehrungen treffen zu müssen.

In den Kompetenztatbestand des Art12 B-VG fällt als einschlägig nur "Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz, soweit es sich um land- und forstwirtschaftliche Arbeiter und Angestellte handelt" (Abs1 Z6). Der Begriff "Arbeiterrecht sowie Arbeiter- und Angestelltenschutz" ist aber enger als der Begriff "Arbeitsrecht". Er umfaßt Vorschriften über den Arbeitsvertrag und das Verhalten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer untereinander, soweit es dabei um Land- und Forstarbeiter geht, und den öffentlich-rechtlichen Arbeitnehmerschutz in der Land- und Forstwirtschaft.

Daß Vorschriften zum Schutze des inländischen Arbeitsmarktes vor freiem Zugang ausländischer Arbeitskräfte als ein branchenübergreifend alle Wirtschaftszweige umfassendes und zudem in enger Verbindung mit der Regelung und Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet, dem Einwanderungswesen, dem Paßwesen und der Fremdenpolizei stehendes Rechtsgebiet je zu diesem Kompetenztatbestand gehört hätten, ist nicht erkennbar. Das Fehlen einer Ausnahme für die Land- und Forstarbeiter und die in der Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten überhaupt macht das AuslBG daher entgegen den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofs nicht verfassungswidrig.

Der Vorwurf der Unbestimmtheit des Gesetzes ist nicht begründet.

Auch hier ist dem Verwaltungsgerichtshof zuzugeben, daß eine Regelung fehlt, wer ein Feststellungsverfahren nach dem zweiten Satz des §2 Abs4 AuslBG in Gang zu setzen hat. In Ermangelung einer gesetzlichen Sonderregelung greift aber §8 AVG ein, sodaß jeder rechtliche Interessent, also sowohl die Gesellschaft wie der Gesellschafter, Partei und damit antragsbefugt ist.

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Prüfungsgegenstand, Privatautonomie, Gleichbehandlung (Ausländer), Arbeitsrecht, Ausländerbeschäftigung, Kompetenz Bund - Länder Arbeitsrecht, Verwaltungsverfahren, Parteistellung, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G326.1997

Dokumentnummer

JFR_10019773_97G00326_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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