Index
L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / AllgLeitsatz
Keine sachliche Rechtfertigung der Ausnahme sogenannter geschützter Sektoren vom vergabespezifischen Rechtsschutz im Tiroler Vergaberecht; keine Bedenken gegen Kontrolle durch Gerichte oder durch Tribunale iSd EMRK; kein Anwendungsvorrang gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften im vorliegenden Fall; verfassungsgerichtliche Kontrolle auch für Ausführungsregelungen zum GemeinschaftsrechtRechtssatz
Präjudizialität des §2 Abs2 Tir VergabeG; Anwendung dieser Bestimmung durch das Tir Vergabeamt; kein Anwendungsvorrang gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften.
Aus der Entscheidung des EuGH vom 17.09.97, RS C-54/96, Dorsch Consult, ergibt sich, daß die allgemeine Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG für die Frage, welches staatliche Organ zur Überprüfung des Vergabeverfahrens zuständig ist, keine unmittelbar anwendbare Rechtsvorschrift enthält.
Die Überlegungen des EuGH lassen sich auch auf die hier zur Entscheidung stehende Frage der Klärung der Zuständigkeit zur Kontrolle von Vergaben im Sektorenbereich übertragen. Denn hinsichtlich der hier zu behandelnden Fragen unterscheidet sich die für den Sektorenbereich maßgebliche Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25.02.92 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor ABl L 76/1992, 14, nicht von der allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG, die für die referierte Entscheidung des EuGH maßgeblich war.
Es ist also dem EG-Recht nicht zu entnehmen, welches staatliche Organ zur Kontrolle von Vergaben im Sektorenbereich zuständig ist, vielmehr ist die Zuständigkeit nach den Vorschriften des nationalen Rechts zu ermitteln. Aus Art18 Abs1 und Art83 Abs2 B-VG geht hervor, daß es Sache des Gesetzgebers ist, die Behördenzuständigkeit klar und eindeutig im Gesetz festzulegen (vgl VfSlg 9937/1984, 13816/1994 ua).
Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens zur Prüfung des §2 Abs2 Tir VergabeG.
Die in Prüfung genommene Bestimmung, die anordnet, daß die Vorschriften des Tir VergabeG über den vergabespezifischen Rechtsschutz für Auftragsvergaben im Sektorenbereich nicht anzuwenden sind, ist gerade nicht gemeinschaftsrechtlich determiniert.
Der Gesetzgeber bleibt bei der Ausführung von Gemeinschaftsrecht jedenfalls insoweit an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden, als eine Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben durch diese nicht inhibiert wird. Der Gesetzgeber unterliegt in diesen Fällen also einer doppelten Bindung, nämlich einer Bindung an das Gemeinschaftsrecht und einer Bindung an den verfassungsgesetzlich gezogenen Rahmen. Es ist auch unbestritten, daß - insoweit Bindung an die Verfassung gegeben ist - die Frage der Entsprechung gesetzlicher Regelungen mit der Verfassung der verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt, und zwar auch dann, wenn es sich um Ausführungsregelungen zum Gemeinschaftsrecht handelt (mit ausführlichen Literatur- und Judikaturhinweisen).
Keine Bedenken gegen die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Zuschlags durch Gerichte im Tir VergabeG.
Es bestehen aber auch keine Bedenken dagegen, diese Kompetenz bei anderen Behörden, die als Tribunale im Sinne des Art6 EMRK und den Erfordernissen der Rechtsmittelrichtlinien entsprechend eingerichtet sind, anzusiedeln. Schließlich ist es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch nicht verwehrt, diese Kompetenz in Fällen bestimmter Konstellation einer besonderen Behörde (etwa im Bund dem Bundesvergabeamt oder im Land Tirol dem Tir Vergabeamt) zuzuweisen und im übrigen in der Zuständigkeit der Gerichte zu belassen. Dies widerstreitet an sich weder dem Rechtsstaatsprinzip noch - soweit die Zuordnung zu den einzelnen Bereichen nach sachlichen Kriterien erfolgt - dem Gleichheitsgrundsatz. Die Systemgerechtigkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Regelung hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.
Der letzte Satz des §2 Abs2 des Gesetzes vom 06.07.94 über die Vergabe von Aufträgen (Tir VergabeG), LGBl für Tirol Nr 87/1994, war verfassungswidrig.
Die Differenzierung hinsichtlich des Nachprüfungsverfahrens vor Zuschlagserteilung hat sich als sachlich nicht rechtfertigbar erwiesen. Für diesen Bereich sollen die vergabespezifischen Rechtsvorschriften des Tir VergabeG sichern, daß den Bewerbern und Bietern ein den besonderen Anforderungen des Vergabewesens entsprechender, umfassender, rascher und effektiver Rechtsschutz gewährt wird, der die in der Lehre konstatierten Defizite bloß gerichtsförmiger Kontrolle des Vergabeverfahrens (vgl insb Aicher,
Die Vergabekontrollkommission in ihrer Bedeutung für die österreichische Rechtsentwicklung und für die Angleichung an das Recht der EG, in: Korinek-Aicher, Vergabekontrollkommission, 1991, 19 ff, insb 30 f) ausgleichen soll. Von diesem vergabespezifischen Rechtsschutz sind durch die in Prüfung stehende Regelung Vergabeverfahren im Bereich der sogenannten geschützten Sektoren ausgenommen; eine sachliche Rechtfertigung hiefür hat weder die Tiroler Landesregierung genannt, noch ist sie im Verfahren sonst hervorgekommen.
(Anlaßfall: E v 05.03.98, B 2399/96 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides).
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Vergabewesen, Behördenzuständigkeit, EU-Recht Richtlinie, VfGH / Prüfungsmaßstab, Rechtsstaatsprinzip, Gericht Zuständigkeit - Abgrenzung von VerwaltungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:G450.1997Dokumentnummer
JFR_10019697_97G00450_01