RS Vfgh 1998/3/4 B1947/95

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 04.03.1998
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

StGG Art12 / Versammlungsrecht
EMRK Art3
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art8
EMRK Art9
EMRK Art10
EMRK Art11
EMRK Art14
VfGG §82 Abs1
PersFrSchG 1988 Art1 ff
VersammlungsG §2
VersammlungsG §13
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
VStG §35 Z3
AVG §62
AVG §67g

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Festnahme des mexikanischen Beschwerdeführers (aztekischer Abstammung) anläßlich der Auflösung einer Kundgebung vor dem Völkerkundemuseum betreffend die Forderung nach der Rückgabe der Federkrone Montezumas; keine Verletzung der Versammlungsfreiheit infolge denkmöglicher Annahme eines Auflösungsgrundes; keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit; allgemeine Abmahnung ausreichend; keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung aufgrund maßhaltenden Behördenverhaltens; keine Willkür aufgrund ausreichenden Ermittlungsverfahrens; keine Verletzung der Privatsphäre durch Herstellung von Videoaufnahmen; keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren durch mündliche Bescheiderlassung

Rechtssatz

Keine Verletzung im Versammlungsrecht; Geltungsbereich des Art12 StGG nur für österreichische Staatsbürger, Geltungsbereich des unter Gesetzesvorbehalt stehenden Art11 EMRK hingegen auch für Ausländer; denkmögliche Einstufung der Kundgebung als Versammlung.

Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid zur Auffassung gelangt, daß die Versammlung - nach Ablauf des angezeigten bzw einvernehmlich verlängerten Zeitraumes - unter Verletzung der in §2 Abs1 VersammlungsG vorgesehenen Anzeigepflicht veranstaltet wurde und besondere Umstände, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der (öffentlichen) Ordnung, die Versammlungsauflösung (s §13 VersammlungsG) gerechtfertigt hätten. Diesbezüglich ist der Bescheid nicht mit einer denkunmöglichen Anwendung des Gesetzes belastet, zumal die Behörde das Vorliegen dieser Umstände nach dem Bild zu beurteilen hatte, das sich dem Behördenorgan an Ort und Stelle bot (vgl VfSlg 10443/1985, 10955/1986, 11132/1986, 11832/1988).

Keine Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art9 EMRK) und auf freie Meinungsäußerung (Art10 EMRK).

Keine Verletzung im Recht auf persönliche Freiheit durch die Festnahme des Beschwerdeführers.

Unter den festgestellten Umständen war auch eine allgemeine Abmahnung mittels Lautsprechers im Hinblick auf §35 Z3 VStG ausreichend (vgl VfSlg 10848/1986) und wurde die (beschwerdegegenständliche) Anhaltung in der Dauer von bloß rd 3 1/2 Stunden (einschließlich der im Hinblick auf die vom Beschwerdeführer behaupteten Körperverletzungen durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung und Überstellung in das Wilhelminenspital) nicht über Gebühr ausgedehnt (s VfSlg 9368/1982).

Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in dem gemäß Art3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf, verletzt wurde. Zum Teil (nämlich hinsichtlich der Tritte in die Hoden und in die Nierengegend, des Stoßens mit Schilden und Stöcken sowie der erkennungsdienstlichen Behandlung) waren die vom Beschwerdeführer diesbezüglich behaupteten Handlungen der einschreitenden Exekutivorgane - nach den vom UVS aufgrund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens getroffenen Sachverhaltsfeststellungen - nicht erweislich. Im übrigen kann der Verfassungsgerichtshof bei Würdigung der konkreten Umstände des vorliegenden Falles der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegentreten, wenn sie das Verhalten der Exekutivorgane in bezug auf den Beschwerdeführer als "noch maßhaltend" beurteilte.

Keine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, ausreichendes, umfangreiches Ermittlungsverfahren.

Soweit der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit auch Art14 EMRK nennt, ist zu bemerken, daß die im Verfassungsrang stehende staatsvertragliche Bestimmung des Art14 EMRK zwar allen Menschen den Genuß der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten gewährleistet, doch befindet sich darunter nicht ein Recht auf Gleichheit aller vor dem Gesetz (vgl zB VfSlg 7138/1973, 9024/1981, 10324/1985, 10529/1985, 13314/1992, 13315/1992).

Keine Verletzung der Privatsphäre iSd Art8 EMRK durch Herstellung von Videoaufnahmen über den Verlauf der Versammlung durch Organe der Bundespolizeidirektion Wien.

Keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren durch die Bestimmungen des AVG über die mündliche Erlassung von Bescheiden.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Versammlungsrecht, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Meinungsäußerungsfreiheit, Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, Ermittlungsverfahren, Bescheid mündlicher, fair trial, VfGH / Fristen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B1947.1995

Dokumentnummer

JFR_10019696_95B01947_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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