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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Abweisung einer Beschwerde betreffend die Anrechnung von Zeiten eines Beschäftigungsverbotes aufgrund des Mutterschutzgesetzes auf die für die freiberufliche Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung; keine Ausübung der Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärterin im maßgeblichen Zeitraum infolge eines Karenzurlaubes der Beschwerdeführerin nach der Geburt ihres ersten KindesSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Die Beschwerdeführerin ist Rechtsanwaltsanwärterin in Wien. Sie war von 1. November 1997 bis 30. April 1998 in der Rechtsanwaltskanzlei Dr. B-B S als Rechtsanwaltsanwärterin beschäftigt. Mit 1. Mai 1998 setzte sie ihre Ausbildung bei Rechtsanwältin Dr. R R fort. Aufgrund eines Attestes des Arbeitsinspektionsarztes ging sie gemäß §3 Abs3 Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG) mit 22. Dezember 1998 vorzeitig auf Mutterschaftsurlaub. Dieser Mutterschaftsurlaub (im Zusammenhang mit der Geburt ihres ersten Kindes) dauerte insgesamt 29 Wochen. Davon entfielen an vorzeitigem Mutterschaftsurlaub gemäß §3 Abs3 MSchG 13 Wochen Mutterschutzzeit, 8 Wochen gemäß §3 Abs1 MSchG auf die Zeit unmittelbar vor der Entbindung und weitere 8 Wochen entfielen gemäß §5 Abs1 MSchG auf die Zeit unmittelbar nach der Geburt. Die Rechtsanwaltskammer Wien rechnete der Beschwerdeführerin von dieser Zeit 16 Wochen (8 Wochen vor der Geburt und 8 Wochen nach der Geburt des Kindes) im Wege der Vidimierung als Zeit praktischer Verwendung bei einem Rechtsanwalt gemäß §2 Abs1 Rechtsanwaltsordnung (RAO) an.
Unmittelbar anschließend an diesen Mutterschaftsurlaub konsumierte die Beschwerdeführerin einen Eltern-Karenzurlaub bei aufrechtem Beschäftigungsverhältnis zu Rechtsanwältin Dr. R R. Sie wurde mit Antritt dieses Karenzurlaubes (11. Juli 1999) von der Rechtsanwaltskammer Wien aus der Liste der Rechtsanwaltsanwärter gelöscht. In diese Zeit des Eltern-Karenzurlaubes fiel die Geburt ihres zweiten Kindes am 6. Dezember 2000. Mit 11. September 2001 nahm die Beschwerdeführerin ihre Ausbildung in Form einer Teilzeitbeschäftigung bei Rechtsanwalt Dr. R R wieder auf. Mit diesem Datum wurde sie von der Rechtsanwaltskammer Wien wieder in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter aufgenommen.
1.2. Am 25. Juni 2002 beantragte die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Geburt ihres zweiten Kindes beim Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien die Anrechnung ihres "Mutterschutzes im gesetzlichen Ausmaß" als Zeit praktischer Verwendung bei einem Rechtsanwalt (§1 Abs2 litd iVm. §2 Abs1 und 2 RAO). Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien wies diesen Antrag im Instanzenzug (Abteilung II, Plenum) mit der Begründung ab, dass eine Anrechnung dieser Mutterschutzzeiten schon deshalb nicht in Frage komme, weil die Beschwerdeführerin in dem in Betracht kommenden Zeitraum nicht in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen gewesen wäre.
2. Der gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Wien (Abteilung II, Plenum) erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom 15. Oktober 2003 keine Folge gegeben. Begründend führte darin die OBDK aus:
"Für das Erfordernis der 'hauptberuflichen' Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärter bei einem Rechtsanwalt hat die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission stets eine strenge Auffassung vertreten:
Das Merkmal der 'Hauptberuflichkeit' hat nicht nur entscheidende eigenständige Bedeutung, sondern auch zur weiteren Voraussetzung, dass die Verwendung bei einem Rechtsanwalt durch keine andere Tätigkeit 'beeinträchtigt' werden darf (Bkv 7/97); das gilt allerdings nur für die zwingend erforderliche dreijährige Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt ('Kernzeit'), denn eine darüber hinausgehende Teilzeitbeschäftigung des Rechtsanwaltsanwärters bei einem Rechtsanwalt kann ohnedies - je nach deren Ausmaß, also wie bei Teilzeitbeschäftigung ('Alternativ'-Praxis) bei einer Verwaltungsbehörde oder an der juridischen Fakultät einer Universität etc - auf die praktische Verwendung eines Rechtsanwaltsanwärters (§2 RAO) angerechnet werden. Auch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes stellt klar, dass die geforderte hauptberufliche Tätigkeit in der Kernzeit bei einem Rechtsanwalt insbesondere deshalb geboten ist, weil so gewährleistet ist, dass der Rechtsanwaltsanwärter umfassend mit allen Facetten des Berufsbildes des Rechtsanwaltes vertraut gemacht werden kann und darüber hinaus dem ausbildenden Rechtsanwalt durch den mit der hauptberuflichen Beschäftigung des Berufsanwärters verbundenen intensiven persönlichen Kontakt die Möglichkeit eingeräumt wird, sich umfassende Kenntnis von den einzelnen Fähigkeiten des Anwärters zu verschaffen und die Ausbildung entsprechend zu gestalten (VfGH B29/97, AnwBl 1997, 943); in B434/98 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass aus dem offenkundigen Zweck des Gesetzes, die Ausbildung bei einem Rechtsanwalt in den Mittelpunkt der Ausbildung eines Rechtsanwaltsanwärters zu stellen, geschlossen werden kann, dass für die restliche (nach zwingend mindestens dreijähriger Rechtsanwaltspraxis und neunmonatiger Gerichtspraxis) verbleibende Praxiszeit von höchstens 15 Monaten eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegen würde, wenn für diese Alternativ- oder Ersatztätigkeiten eine aliquote Anrechnung einer Teilzeitbeschäftigung erfolgen kann, dies für die Tätigkeit bei einem Rechtsanwalt, soweit sie die dreijährige Ausbildung übersteigt, jedoch ausgeschlossen wäre; diese Gesetzeslücke war im Sinn einer verfassungskonformen Interpretation zu schließen (dazu im Detail die Entscheidungsgründe zu B434/98).
Gerade die in diesem Zusammenhang für die Ausbildung eines Rechtsanwaltsanwärters beim Rechtsanwalt überhaupt und für die noch dazu hauptberufliche und beeinträchtigungsfreie praktische Verwendung geltenden zwingenden Bestimmungen des §2 RAO über die mindestens dreijährige Verwendung ('Kernzeit') beim Rechtsanwalt zeigen die vom Gesetzgeber ersichtlich gezielt akzentuierte Bedeutung einer möglichst umfassenden Ausbildung eines Rechtsanwaltsanwärters bei einem (inländischen) Rechtsanwalt. Dieser Gesichtspunkt wird auch in der Begründung des angefochtenen Bescheides des Ausschusses mit Recht hervorgehoben. Eine Modifikation dieser grundsätzlichen Sicht ist nur denkbar, wenn andernfalls ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Grundrecht verletzt wäre oder dem Gesetz fälschlich ein gleichheitswidriger oder sonst verfassungswidriger Inhalt unterstellt würde oder das Gesetz nicht verfassungskonform oder denkunmöglich angewendet worden wäre; auch eine verfassungskonforme einfachgesetzliche Ausnahme ist als lex specialis denkbar. Eine derartige Ausnahme ergibt sich aus Artikel II Z2 BGBl 1990/474 insofern, als die praktische Verwendung einer Rechtsanwaltsanwärterin bei einem Rechtsanwalt in Form einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (i.d.g.F.) dann anrechenbar ist, wenn sie zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit umfasst; für diesen Fall ist daher der Grundsatz der Hauptberuflichkeit durchbrochen. Aber auch in diesem Fall ist laut §2 Abs1 RAO angeordnet, dass die Anrechnung im Ausmaß der tatsächlich geleisteten Tätigkeit zu erfolgen hat. Der Gesetzgeber stellt hier ausdrücklich auf die tatsächlich absolvierte Praxis einer Rechtsanwaltsanwärterin beim Rechtsanwalt ab.
In Bkv 3/00 (AnwBl 2000, 568) hat die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission ausgesprochen, dass auch die Zeit des Mutterschutzes nach dem Mutterschutzgesetz 1979 auf die Zeit der praktischen Verwendung (§2 RAO) einer Rechtsanwaltsanwärterin - zumindest einmalig, im Normalfall daher in der Dauer von 8 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt des Kindes - auf die Zeit der praktischen Verwendung (bei einem Rechtsanwalt) in der 'Kernzeit' angerechnet werden kann, woraus folgt, dass im Ergebnis die Mutterschutzzeit die gesetzliche Verwendungszeit nicht verlängert, sofern die Rechtsanwaltsanwärterin in dieser Zeit in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen war.
Es ist aber nicht denkunmöglich und - wie nicht nur der gegenständliche Fall zeigt - auch wirklichkeitsnah, dass eine Frau innerhalb von drei Jahren zwei Kinder empfängt, austrägt und zur Welt bringt, die gesetzlichen Mutterschutzfristen mithin in drei Jahren zweimal aktuell werden können. Hätte der Gesetzgeber nur eine einmalige Anrechnung gestatten wollen, hätte er dies im gesetzlichen Wortlaut ausdrücklich bestimmen müssen. Da dies nicht der Fall ist und dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden kann, an den (keineswegs in den Bereich realitätsfremder Spekulation zu verweisenden) Fall einer möglichen zweiten Mutterschutzzeit innerhalb von drei Jahren ('Kernzeit') nicht gedacht zu haben, kann grundsätzlich auch eine zweimalige - gemeint: im Regelfall (!) in der Dauer von jeweils 8 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt Mutterschutzzeit (sohin von insgesamt 32 Wochen) unter vorerwähnter Voraussetzung als Verwendung bei einem Rechtsanwalt grundsätzlich anerkannt werden; es kommt aber stets auf die Umstände des Einzelfalles an, da Ausnahmsregelungen nicht (ungeprüft) extensiv angewendet werden dürfen.
Zu beachten ist, dass die 8-Wochenfrist nach §3 Abs1 MSchG betreffend das Verbot der Beschäftigung der werdenden Mutter 'in den letzten 8 Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung' stets aufgrund eines ärztlichen Zeugnisses (voraus) berechnet wird; gemäß dem der Eingabe der Berufungswerberin vom 26. Juni 2002 beigelegten ärztlichen Zeugnis war der 17. Dezember 2000 als voraussichtlicher Geburtstermin berechnet worden. Das zweite Kind der Berufungswerberin ist jedoch schon am 6. Dezember 2000, mithin 11 Tage früher zur Welt gekommen, weshalb sich die Frist von 8 Wochen nach §3 Abs1 MSchG im konkreten Fall um 11 Tage verkürzte (§3 Abs2 leg.cit.). Hingegen war anlässlich des ersten Kindes der Berufungswerberin die 8-wöchige, vom ärztlich berechneten Geburtstermin 16. Mai 1999 zurückberechnete normale Mutterschutzfrist (wegen Gefährdung von Mutter und Kind) aufgrund eines ärztlichen Zeugnisses (Arbeitsinspektorat) um weitere 13 Wochen vorverlegt, also verlängert worden. Demgemäß betragen die Mutterschutzfristen beim ersten Kind 21 und 8 Wochen und beim zweiten Kind 6 1/2 und 8 Wochen; daraus errechnet sich ein Gesamtzeitraum von 43,5 Wochen an gesetzlichem Mutterschutz, was hinsichtlich der gesetzlichen 'Kernzeit' von drei Jahren an praktischer Verwendung bei einem Rechtsanwalt (entspricht 156 Wochen) einen Anteil von etwa 10 Monaten bzw. 28% ausmacht.
Vorliegend hat der erste ('vorgeburtliche') Teil der ersten Mutterschutzzeit bei der Berufungswerberin nicht 8 Wochen, sondern gemäß §3 Abs3 MSchG 13 zuzüglich 8, demnach insgesamt 21 Wochen gedauert; ob der Gesetzgeber auch an einen solchen Fall gedacht hat, kann hier aber dahingestellt bleiben, weil der vorliegende Antrag ausschließlich die Anrechnung der zweiten Mutterschutzzeit betrifft. Dass die tatsächliche - im übrigen auch durch Krankheiten und Verbrauch [von] Urlauben faktisch reduzierte - Beschäftigung als Rechtsanwaltsanwärterin durch Mutterschutzzeiten effizient vermindert wird, ist ebenso naheliegend und unschwer einsichtig wie die Konsequenz, dass dies - infolge entsprechend reduzierter tatsächlicher Verwendungszeit und damit naturgemäß herabgesetzter Ausbildungsmöglichkeiten - den gesetzlich intendierten (§2 RAO) Ausbildungserfolg zwangsläufig abträglich ist. Es ist daher verständlich, dass der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien, der auch auf die (nicht zuletzt in der RAO und im DSt mehrfach betonten) Interessen der rechtsuchenden Bevölkerung Bedacht zu nehmen hat (z.B §34 Abs2 Z3 RAO, §§16 Abs5, 19 Abs4 DSt) der Anrechnung von Mutterschutzzeiten in einem Ausmaß, das die aus guten Gründen fachorientierten Zielsetzungen anwaltlicher Berufsausbildung in Frage stellt, kritisch gegenüber steht. In Bkv 3/00 hat die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission mit näherer Begründung ausgesprochen, dass die Inanspruchnahme der gesetzlichen Mutterschutzfrist zwar eine Beeinträchtigung der Anwaltsausbildung bewirkt, diese sich jedoch (aus der Sicht des Ausbildungszieles) insoweit noch in vertretbaren Grenzen hält. Anders verhält es sich jedoch mit jener Anrechnungsdimension, die die Berufungswerberin vorliegend anstrebt:
Eine verfassungskonforme Auslegung der Anwendung des Mutterschutzgesetzes für den Fall einer Teilzeitbeschäftigung (vgl §2 Abs1 letzter Satz RAO) ist immerhin ein Hinweis auf eine im Zweifel grundsätzlich zu bejahende Anrechnung von auch zweimaligen Mutterschutzzeiten innerhalb der dreijährigen 'Kernzeit' praktischer Verwendung bei einem Rechtsanwalt. Das gilt jedoch nur grundsätzlich und setzt Mutterschutzzeiten bei zwei Geburten von höchstens zweimal 16, sohin 32 Wochen, also den Normalfall von zwei Schwangerschaften und Geburten voraus, wobei sich bei einem späteren als dem vorausberechneten Geburtstermin eine Verlängerung ergeben kann (sh. §3 Abs2 MSchG).
Grundvoraussetzung für eine - im üblichen Rahmen eines Dienstverhältnisses und gemäß §2 Abs1 RAO hauptberuflich zu absolvierende - praktische Verwendung einer Rechtsanwaltsanwärterin bei einem Rechtsanwalt ist der aufrechte Bestand dieses Dienstverhältnisses; Karenzurlaube oder Perioden mit gesetzlichem Beschäftigungsverbot, wie etwa gemäß §§3 und 5 MSchG, beenden das Dienstverhältnis nicht. Nichts anderes gilt für den (bloßen) Eintritt einer neuerlichen Schwangerschaft.
Vereinbarte Karenzurlaubszeiten (§§15 ff MSchG) mit Dienstfreistellung und Entfall des Arbeitsentgeltes unterbrechen zwar nicht das Dienstverhältnis, aber die faktische 'Beschäftigung' und sind daher - anders als die mit zwingendem Beschäftigungsverbot verbundenen Mutterschutzzeiten im Regelfall - einer Anrechnung entsprechender praktischer Verwendungszeiten einer Rechtsanwaltsanwärterin (§2 RAO) nicht zugänglich.
Bei Vorliegen eines Beschäftigungsverbotes nach den §§3 und 5 MSchG endet ein Karenzurlaub allerdings vorzeitig (VwGH Arb 9340; OGH Arb 9639; OGH 9 ObA 199/00, Infas 2/2001, S. 45 ua). Eine Arbeitnehmerin, die den Karenzurlaub nicht nimmt, ist nach dem Ende der Mutterschutzfrist nach §5 MSchG an sich zur Arbeitsleistung verpflichtet; wenn diese Grundvoraussetzung nicht vorliegt, kommt ein Mutterschaftskarenzurlaub nicht in Betracht; diese wesensmäßige Voraussetzung schließt die Inanspruchnahme eines Mutterschaftsurlaubes für jene Zeiträume aus, in denen ein absolutes Beschäftigungsverbot besteht. Für diese Zeiträume besteht schon kraft Gesetzes keine Verpflichtung zu Dienstleistungen. Für den Zeitraum eines Beschäftigungsverbotes ist eine weitere Freistellung von einer Dienstverpflichtung durch einen Karenzurlaub nicht nur überflüssig, sondern auch begrifflich nicht denkbar. Die zweiseitig zwingenden Normen der absoluten Beschäftigungsverbote der §§3 und 5 MSchG sind kraft ihrer Eigenschaft und Wirkung als leges speciales stärker als jene zugunsten der Arbeitnehmerin nur einseitig zwingend wirkenden Normen im Vertragsbereich der §§15 ff MSchG (Knöfler, MSchG und Eltern-KarenzurlaubsG, Lose-Bl-Slg. Erl. 4.8 zu §15 MSchG).
Daher ist der von Mahr, Arbeitsrechtlicher Entgeltanspruch bei neuerlicher Schwangerschaft (ZAS 1990, 83), gezogenen Schlussfolgerung beizupflichten, dass durch die Beschäftigungsverbote nach §§3 und 5 MSchG die ursprüngliche Karenzurlaubsvereinbarung von einer nachträglichen - vorübergehenden - rechtlichen Unmöglichkeit betroffen ist, die die Vereinbarung für die Dauer ihres Eingreifens unwirksam macht. Die ursprüngliche Karenzurlaubsvereinbarung lebt wieder auf, sobald die Beschäftigungsverbote wegfallen. Das führt dazu, dass bei einer Lebendgeburt der frühere Karenzurlaub endgültig verfällt, während es bei einer Totgeburt der Mutter eröffnet bleibt, ihr früheres Kind bis zum Ende des ursprünglich vereinbarten Karenzurlaubs weiter zu pflegen. Die Richtigkeit dieser Überlegung zeigt sich auch bei Anwendung des Grundsatzes, dass Krankheit oder sonstige Gründe für eine Dienstfreistellung den Urlaub unterbrechen (9 ObA 306/89; ARD 4159/21/90 ua). Das absolute Beschäftigungsverbot in den Ausnahmefällen der §§3 und 5 MSchG eröffnet keine Möglichkeit für einseitige Gestaltungserklärungen oder für rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmerin und Arbeitgeber betreffend auf diesen Zeitraum entfallende Arbeitsleistungen; das gilt auch für das (in einem früheren Stadium der Schwangerschaft einsetzende) außerordentliche Beschäftigungsverbot nach §3 Abs3 MSchG.
Die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission ging zwar - wie im Berufungsvorbringen richtig zitiert wird - davon aus, dass aus den dort dargelegten Gründen eine 'zumindest einmalige' Anrechnung des Mutterschutzes auf die praktische Verwendung einer Rechtsanwaltsanwärterin bei einem Rechtsanwalt, gemeint in der dazu mindestens dreijährigen 'Kernzeit' als zwingende Voraussetzung für die spätere Eintragung in die Rechtsanwaltsliste, möglich ist; die damals zur Debatte gestandene gesetzliche Mutterschutzzeit betraf den Normalfall von jeweils 8 Wochen vor und nach der Geburt, sohin von insgesamt 16 Wochen Mutterschutz. Das schon damals zurückhaltende Abstellen auf eine 'zumindest einmalige' Anrechnung trug dem Umstand Rechnung, dass in diesem Zusammenhang keine starre Regel aufgestellt werden kann.
Im vorliegenden Fall ergeben die dem Mutterschutz entsprechenden Gesamtzeiten des gesetzlichen Beschäftigungsverbotes aus Anlass der beiden in Rede stehenden Geburten eine Dauer von insgesamt 43,5 Wochen, sohin eine Gesamtdauer von 10 Monaten. Damit weist der Anlassfall eine zeitliche Komponente auf, die sich nach der rein temporären Strukturierung von dem zu Bkv 3/00 entschiedenen Präzedenzfall wesentlich unterscheidet. Hier ist nunmehr zu prüfen, ob eine derartig lange Unterbrechung des Ausbildungsverhältnisses mit den gesetzlichen Intentionen der anwaltlichen Berufsausbildung, die eine praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in der Dauer von drei Jahren zwingend vorschreibt (§2 Abs1 RAO), vereinbar ist; konkret gilt das für die hier verfahrensgegenständlichen Mutterschutzzeiten anlässlich der Geburt des zweiten Kindes im Ausmaß von zweimal 8, dementsprechend 16 Wochen."
Die OBDK kam bei vergleichender Heranziehung der Bestimmungen für Rechtspraktikanten und Lehrlinge betreffend die Frage der Anrechnung von Mutterschutzzeiten zum Ergebnis, dass vor dem Aspekt von bereits anrechenbaren 29 Wochen an Mutterschutzzeiten im Zusammenhang mit der Geburt des ersten Kindes und im Hinblick auf das Erfordernis der Sicherung eines hohen Qualitätsstandards in der Ausbildung von Rechtsanwaltsanwärtern eine Anrechnung der Mutterschutzzeiten im Zusammenhang mit der Geburt des zweiten Kindes nicht mehr erfolgen könne. Da der Berufung aus Sicht der OBDK schon deswegen kein Erfolg beschieden sein konnte, habe es nach Auffassung der OBDK auch auf sich beruhen können, dass die Beschwerdeführerin im maßgeblichen Zeitraum des Anfalls der Mutterschutzzeiten nicht in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen war.
3. Gegen diesen Bescheid der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3.1. Darin bringt die Beschwerdeführerin vor, es sei nicht begründbar, warum ihr der Mutterschaftsurlaub im Zusammenhang mit der Geburt ihres ersten Kindes angerechnet wurde, bei der Geburt ihres zweiten Kindes jedoch nicht; stand sie doch in beiden Fällen in einem aufrechten Dienstverhältnis zu ihrem Ausbildungsanwalt. Es könne dabei auch keinen Unterschied machen, ob sie im fraglichen Zeitraum des Anfalls der Mutterschutzzeiten im Zusammenhang mit der Geburt des zweiten Kindes in die Liste der Rechtsanwälte eingetragen war. Die Nichtanrechnung der Mutterschutzzeiten aus diesem Grund würde zu einer unsachlichen Ungleichbehandlung mit einer Rechtsanwaltsanwärterin führen, die vor Beginn ihres Mutterschaftsurlaubes lediglich für einen Tag zur Erfüllung des Kriteriums der Eintragung in die Liste ihre Tätigkeit als Rechtsanwaltsanwärterin wieder aufnimmt, bevor die Mutterschutzfrist beginnt (und die sich somit in einer vergleichbaren Situation befindet). Es könne daher auf dieses formale Kriterium nicht ankommen. Die Beschwerdeführerin verweist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes, VfSlg. 15730/2000, die nach ihrer Auffassung darauf hinauslaufe, dass eine Anrechnung der Zeiten einer praktischen Verwendung bei einem Rechtsanwalt erfolgen könne, auch ohne zuvor in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragen zu sein.
3.2. Die Beschwerdeführerin weist darauf hin, dass der vorliegende Fall ein grundlegendes Anliegen der Gesellschaft betreffe, die Diskriminierung der Frau aus Gründen der Mutterschaft zu vermeiden.
3.3. Auch habe sich nach Auffassung der Beschwerdeführerin die OBDK nicht mit der Frage auseinandergesetzt, warum Mutterschutzzeiten bei Richteramtsanwärtern angerechnet werden. Stattdessen sei ein unzulässiger Vergleich mit Lehrlingen gezogen worden, die weder ein Studium noch eine Gerichtspraxis aufweisen, sowie mit Rechtspraktikanten, die nur eine Teilausbildung zu absolvieren haben.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die Abweisung der Beschwerde eintritt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Die hier maßgebliche innerstaatliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
§2 RAO, RGBl. 96/1868 idF der Novelle BGBl. I 71/1999, lautet (auszugsweise):
"(1) Die zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei Gericht und bei einem Rechtsanwalt zu bestehen; sie kann außerdem in der rechtsberuflichen Tätigkeit bei einem Notar oder, wenn die Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich ist, bei einer Verwaltungsbehörde, an einer Hochschule oder bei einem beeideten Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bestehen. Die Tätigkeit bei der Finanzprokuratur ist der bei einem Rechtsanwalt gleichzuhalten. Die praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt ist nur anrechenbar, soweit diese Tätigkeit hauptberuflich und ohne Beeinträchtigung durch eine andere berufliche Tätigkeit ausgeübt wird. Eine praktische Verwendung bei einem Rechtsanwalt in Form einer Teilzeitb (3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen: nach dem Mutterschutzgesetz 1979, BGBl. Nr. 221, oder dem Eltern-Karenzurlaubsgesetz, BGBl. Nr. 651/1 1. Zeiten des Doktoratsstudiums bis zum Höchstausmaß von sechs, ist anrechenbar, wenn sie zumindest die Hälfte der Normalarb
Monaten, akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften
nach an einer inländischen Universität der umfaßt; sie ist im Ausmaß der tatsächlich geleisteten Tätigkeit zu berücksichtigen.
(2) Die praktische Verwendung im Sinn des Abs1 hat fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen.
(3) Auf die Dauer der praktischen Verwendung, die nicht zwingend bei Gericht oder einem Rechtsanwalt im Inland zu verbringen ist, sind auch anzurechnen:
1.
Zeiten des Doktoratsstudiums bis zum Höchstausmaß von sechs Monaten, wenn an einer inländischen Universität der akademische Grad eines Doktors der Rechtswissenschaften nach dem Bundesgesetz vom 2. März 1978, BGBl. Nr. 140, über das Studium der Rechtswissenschaften erlangt wurde;
2.
eine im Sinn des Abs1 gleichartige praktische Verwendung im Ausland, wenn diese Tätigkeit für die Ausübung der Rechtsanwaltschaft dienlich gewesen ist.
(4) ..."
Die §§3 und 5 Mutterschutzgesetz 1979, BGBl. 221/1979 (§3 idF BGBl. I 153/1999, §5 idF BGBl. I 98/2001) lauten (auszugsweise):
"Beschäftigungsverbote für werdende Mütter
§3. (1) Werdende Mütter dürfen in den letzten acht Wochen vor der voraussichtlichen Entbindung (Achtwochenfrist) nicht beschäftigt werden.
(2) Die Achtwochenfrist (Abs1) ist auf Grund eines ärztlichen Zeugnisses zu berechnen. Erfolgt die Entbindung früher oder später als im Zeugnis angegeben, so verkürzt oder verlängert sich diese Frist entsprechend.
(3) Über die Achtwochenfrist (Abs1) hinaus darf eine werdende Mutter auch dann nicht beschäftigt werden, wenn nach einem von ihr vorgelegten Zeugnis eines Arbeitsinspektionsarztes oder eines Amtsarztes Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet wäre.
(4) ... - (8)...
Beschäftigungsverbote nach der Entbindung
§5. (1) Dienstnehmerinnen dürfen bis zum Ablauf von acht Wochen nach ihrer Entbindung nicht beschäftigt werden. Bei Frühgeburten, Mehrlingsgeburten oder Kaiserschnittentbindungen beträgt diese Frist mindestens zwölf Wochen. Ist eine Verkürzung der Achtwochenfrist (§3 Abs1) vor der Entbindung eingetreten, so verlängert sich die Schutzfrist nach der Entbindung im Ausmaß dieser Verkürzung, höchstens jedoch auf 16 Wochen.
(2) Dienstnehmerinnen dürfen nach ihrer Entbindung über die in Abs1 festgelegten Fristen hinaus zu Arbeiten nicht zugelassen werden, solange sie arbeitsunfähig sind. Die Dienstnehmerinnen sind verpflichtet, ihre Arbeitsunfähigkeit ohne Verzug dem Dienstgeber anzuzeigen und auf Verlangen des Dienstgebers eine ärztliche Bestätigung über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Kommt eine Dienstnehmerin diesen Verpflichtungen nicht nach, so verliert sie für die Dauer der Säumnis den Anspruch auf das Entgelt.
(3) Dienstnehmerinnen dürfen bis zum Ablauf von zwölf Wochen nach ihrer Entbindung nicht mit den im §4 Abs2 Z1, 2, 3, 4, 8, 9 und 12 genannten Arbeiten beschäftigt werden.
(4) Über die Bestimmungen der Abs1 bis 3 hinaus kann die gemäß §36 zuständige Verwaltungsbehörde für eine Dienstnehmerin, die nach dem Zeugnis eines Arbeitsinspektionsarztes oder eines Amtsarztes in den ersten Monaten nach ihrer Entbindung nicht voll leistungsfähig ist, dem Dienstgeber die zum Schutz der Gesundheit der Dienstnehmerin notwendigen Maßnahmen auftragen."
2.1. Die zur freiberuflichen Ausübung der Rechtsanwaltschaft erforderliche praktische Verwendung hat gemäß §2 Abs2 RAO fünf Jahre zu dauern. Hievon sind im Inland mindestens neun Monate bei Gericht und mindestens drei Jahre bei einem Rechtsanwalt zu verbringen. Der Gesetzgeber hat weder in §2 Abs1 RAO noch anderswo die Konsequenzen ausdrücklich geregelt, welche sich für die Anrechnung auf die Ausbildungszeit einer Rechtsanwaltsanwärterin (insbesondere auf die "Kernzeit" von drei Jahren bei einem Rechtsanwalt, um die es im Beschwerdefall geht) ergeben, wenn eine "praktische Verwendung" durch Dienstverhinderungen der Rechtsanwaltsanwärterin, wie zB durch Urlaub, Pflegeurlaub, Krankheit oder durch ein Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz, unterbrochen wird. Eindeutig geklärt wird vom Gesetzgeber mit dem letzten Satz des §2 Abs1 leg.cit. lediglich, dass eine "Teilzeitbeschäftigung nach dem Mutterschutzgesetz 1979, BGBl. 221, oder dem Eltern-Karenzurlaubsgesetz, BGBl. 651/1989" nur dann "im Ausmaß der tatsächlich geleisteten Tätigkeit" anrechenbar ist, wenn sie "zumindest die Hälfte der Normalarbeitszeit" umfasst.
2.2. Die belangte Behörde hat verkannt, dass der von ihr zu entscheidende Fall sich vom früheren, in der Bescheidbegründung genannten Fall Bkv 3/00 (AnwBl 2000, 568) dadurch unterscheidet, dass die hier zu beurteilende zweite Mutterschaft der Beschwerdeführerin nicht unmittelbar in die Zeit der Beschäftigung, sondern in die Zeit eines offenbar vereinbarten und nicht vorher beendeten Mutterschafts-Karenzurlaubes gefallen ist.
Eine Anrechnung von Zeiten des Beschäftigungsverbots, wie von der Beschwerdeführerin ausdrücklich beantragt (in dem Ausmaß, wie sie das Mutterschutzgesetz in den §§3 und 5 vorsieht), konnte nämlich schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil die Beschwerdeführerin im maßgeblichen Zeitraum ihre Tätigkeit bei ihrer ausbildenden Rechtsanwältin auf Grund des Karenzurlaubes tatsächlich nicht ausübte - von einer Anwendbarkeit eines Beschäftigungsverbots nach den §§3 und 5 MSchG konnte also gar nicht die Rede sein. Es liegt daher hier nicht der Fall vor, dass das Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz die "praktische Verwendung" unterbricht, weil diese bereits früher durch den Karenzurlaub unterbrochen worden war. Damit ist aber auch dem Beschwerdevorbringen der Boden entzogen, wonach der belangten Behörde vorgeworfen wurde, sich nicht mit der verfassungs-(und gemeinschafts)rechtlichen Frage auseinandergesetzt zu haben, ob die Beschwerdeführerin durch die Nichtanrechnung der (hier gar nicht in Betracht kommenden) gesetzlichen Zeiten des Beschäftigungsverbots wegen ihres Geschlechts diskriminiert wird.
2.3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung beschlossen werden.
Schlagworte
Arbeitsrecht, Mutterschutz, EU-Recht, geschlechtsspezifische Differenzierungen, Rechtsanwälte, Berufsrecht, Gleichbehandlung, Gleichheit Frau-MannEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:B1742.2003Dokumentnummer
JFT_09949692_03B01742_00