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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung von Devolutionsanträgen aus dem Grunde der Unzuständigkeit; Zuständigkeit der Schiedskommission und der Landesberufungskommission zur Entscheidung über Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Einzelvertrages hinsichtlich Honorarkürzungen wegen der Nichtigkeit der entsprechenden Regelung des Gesamtvertrages und über das Bestehen eines konkreten Rückforderungsanspruches aus diesem GrundRechtssatz
Mit der Erlassung der angefochtenen Bescheide, mit welchen jeweils ein Devolutionsantrag aus dem Grunde der Unzuständigkeit zurückgewiesen wird, hätte die belangte Behörde das in Rede stehende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht demnach dann verletzt, wenn ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über das Begehren der Antragsteller gegeben wäre. Die Zuständigkeit zur Entscheidung über einen Antrag geht nämlich im Falle der Stellung eines Devolutionsantrages insoweit auf die angerufene Oberbehörde über, als die Entscheidung über den Antrag in deren sachlichen Wirkungsbereich fällt (VfSlg. 3931/1961).
Für die Zuständigkeit der belangten Behörde ist nicht maßgebend, aus welchen Gründen die Beschwerdeführer meinen, mit ihrem Feststellungsbegehren im Recht zu sein, sondern die Frage, ob das Begehren der Beschwerdeführer als Hauptfrage in die Zuständigkeit der belangten Behörde (bzw. der Schiedskommission in erster Instanz) fällt. Dies ist dann der Fall, wenn es sich um eine Streitigkeit handelt, die in "rechtlichem oder tatsächlichem Zusammenhang mit dem Einzelvertrag" (§344 Abs1 erster Satz ASVG) steht. Die Formulierung des §344 Abs1 erster Satz ASVG (idF der 48. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 642/1989) ähnelt jener des §50 Abs1 Z1 ASGG (so auch ein ausdrücklicher Hinweis in den Erläuterungen zur RV der 48. Novelle zum ASVG, 1098 BlgNR XVII. GP, 17), wonach Arbeitsrechtssachen bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern "im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis oder dessen Anbahnung" sind (dazu vgl. Kuderna, ASGG, 21996, Anm 4 ff. zu §50), und ist daher in gleicher Weise weit auszulegen: In die Zuständigkeit der Schiedskommission fallen demnach sowohl Streitigkeiten unmittelbar aus dem Einzelvertrag, als auch jene über das gültige Bestehen oder Nichtbestehen eines Einzelvertrages einschließlich der Nachwirkungen desselben (vgl. OGH, SoSi 1991, 271). Zu den erstgenannten Streitigkeiten zählen insbesondere jene über Honorareinbehalte, Forderungsaufrechnungen, Schuldeinlösungen nach §1422 ABGB uä. (vgl. auch Souhrada, SoSi 1990, 18 ff. (20)).
Der Verfassungsgerichtshof hegt daher keine Bedenken dagegen, daß die Schiedskommission dafür zuständig ist, über Feststellungsbegehren über Rechte und Rechtsverhältnisse aus dem Einzelvertrag zu entscheiden. Deshalb, weil der Inhalt des Gesamtvertrages auch Inhalt des Einzelvertrages ist, können Streitigkeiten aus dem Einzelvertrag (dh.: sofern der Streit in der Hauptsache in einem rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhang mit dem Einzelvertrag steht) auch die Auslegung und Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages zum Gegenstand haben (vgl. die Entscheidung der Bundesschiedskommission vom 16.3.1993, SSV-NF 7/A 2).
Soweit die Behörde als notwendiges Element ihrer rechtlichen Beurteilung auch Fragen der Gültigkeit (und damit insoweit auch des "ob" der Einwirkung der betreffenden Bestimmungen des Gesamtvertrages auf den Einzelvertrag) zu prüfen hat, gleicht der Gegenstand ihrer rechtlichen Beurteilung zwar jenem der Landesschiedskommission (bzw. der Bundesschiedskommission) bei der Entscheidung von Streitigkeiten über die Auslegung und Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages (in diesem Sinne, wenngleich von Kompetenzüberschneidung sprechend:
Mosler in: Strasser (Hrsg.), Arzt und gesetzliche Krankenversicherung, 1995, 403), freilich ohne hinsichtlich der bloß vorfrageweisen Beurteilung der Gültigkeit des Gesamtvertrages für die zur Entscheidung der Gültigkeit des Gesamtvertrages zuständige Landesschiedskommission irgendeine Bindungswirkung zu entfalten.
Daran ändert nichts, daß die belangte Behörde, worauf sie in ihren Gegenschriften verweist, in den angefochtenen Bescheiden auch die Unbedenklichkeit der Honorarkürzungsregelungen behauptet hat, da sie den insofern eindeutigen Sprüchen und Begründungen der angefochtenen Bescheide zufolge ihre Unzuständigkeit erklärt hat und nichts darauf hindeutet, daß sie in Wahrheit eine Sachentscheidung treffen wollte.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Devolution, Behördenzuständigkeit, Auslegung eines Bescheides, Sozialversicherung, Ärzte, VorfrageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B3011.1996Dokumentnummer
JFR_10019385_96B03011_01