RS Vfgh 1998/6/19 G454/97

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Veröffentlicht am 19.06.1998
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Index

58 Berg- und Energierecht
58/02 Energierecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art144 Abs1 / Legitimation
R-ÜG §1
EnergiewirtschaftsG §4
RohrleitungsG §5

Leitsatz

Gleichheitswidrigkeit der im EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV vorgesehenen Möglichkeit jederzeitiger Untersagung angezeigter Gasversorgungsanlagen durch den Bundesminister; Umdeutung des ausdrücklich festgelegten Untersagungsrechts in einen Genehmigungstatbestand nicht möglich; keine sachliche Rechtfertigung für die eingeräumte Gestaltungs- und Eingriffsbefugnis fast unbegrenzten Ausmaßes; Gleichheitswidrigkeit der Regelung auch im Vergleich zum gewerberechtlichen Konzessionssystem nach dem RohrleitungsG für Gasfernleitungen; kein Vertrauensschutz für das sein Investitionsvorhaben anzeigende Gasversorgungsunternehmen; Zulässigkeit der Beschwerde im Anlaßfall

Rechtssatz

§4 EnergiewirtschaftsG vom 13.12.1935, DRGBl. I, S. 1451 (eingeführt im Lande Österreich mit Verordnung vom 26.01.1939, GBlÖ 156/1939), idF der Verordnung über die Vereinfachung des Verfahrens nach §4 EnergiewirtschaftsG vom 27.12.1939, DRGBl. I, S. 1950, GBlÖ 1381/1939, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die im Anlaßfall beschwerdeführende Gesellschaft ist zur Beschwerde legitimiert.

Für die Beschwerdelegitimation ist "der Inhalt des Spruches" des angefochtenen Bescheides maßgeblich. Die belangte Behörde hat in ihrem zu B2782/96 angefochtenen Bescheid über Fragen des öffentlichen Interesses an geplanten Erdgashochdruckleitungen derart abgesprochen, daß der Bescheid, abgesehen von der Abweisung der Anträge der beschwerdeführenden Gesellschaft, deren Rechtssphäre durch die im Spruch des Bescheides begründeten Koordinations- und Kooperationsverpflichtungen betraf. Die Beschwerde ist daher zulässig, gleichgültig ob §4 EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV eine entsprechende Rechtsposition der beschwerdeführenden Gesellschaft begründet und damit eine hinlängliche Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid bildet oder ob dies nicht der Fall ist.

§4 EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV wurde auch nicht wegen Widerspruchs zu Art18 Abs1 B-VG durch das neuerliche Wirksamwerden des B-VG im Jahre 1945 derogiert oder, weil mit den Grundsätzen einer Demokratie unvereinbar und mit typischem Gedankengut des Nationalsozialismus behaftet, nach §1 R-ÜG aufgehoben (mit Judikaturhinweisen).

§4 EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV sieht neben der Verpflichtung zur Anzeige neuer Gasversorgungsanlagen die Möglichkeit jederzeitiger Untersagung derartiger Vorhaben vor, ohne einen Genehmigungstatbestand zu begründen. Mag auch in der Praxis gestützt auf §4 EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV in Gestalt eines positiven Feststellungsbescheides über die Zulässigkeit eines gaswirtschaftlichen Vorhabens vom Standpunkt öffentlicher Interessen abgesprochen werden, so ist diese Feststellung gleichwohl keiner Genehmigung gleichzusetzen.

Es widerspricht (- auch im Vergleich zum Verfahren und den Erfordernissen für die Erlangung einer Rohrleitungskonzession nach §5 RohrleitungsG für Gasfernleitungen -) dem, aus dem Gleichheitssatz ableitbaren Sachlichkeitsgebot, die gaswirtschaftsrechtliche Entscheidung über Gasversorgungsleitungen, also über Investitionsvorhaben von wirtschaftlich großer Tragweite in Gestalt eines Anzeigeverfahrens mit unbefristeter Untersagungsmöglichkeit treffen zu lassen. Die durch §4 EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV zu staatsdirigistischen Zwecken eingeräumte Gestaltungs- und Eingriffsbefugnis praktisch fast unbegrenzten Ausmaßes in die Gasversorgungswirtschaft ist von der Sache her nicht zu rechtfertigen.

Es widerspricht dem Gleichheitssatz, für die überwiegend Gasversorgungszwecken dienenden Anlagen durch §4 EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV dem zuständigen Bundesminister ein mindestens zeitlich, weitgehend aber auch von den Voraussetzungen her betrachtet unbegrenztes Lenkungsinstrument in Gestalt eines Untersagungsrechtes zur Verfügung zu stellen, die volkswirtschaftlich wohl mindestens gleich bedeutsamen Gasfernleitungen aber einem nach Voraussetzungen und Verfahren gesetzlich begrenzten, sozusagen herkömmlich-gewerberechtlichen Bewilligungssystem zu unterwerfen.

Die Regelung des §4 EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV läßt aber auch keinen, vom Gleichheitssatz geforderten Vertrauensschutz für das sein Investitionsvorhaben anzeigende Gasversorgungsunternehmen zu. Von einer gesetzlichen Regelung, die zu wirtschaftlich besonders schwerwiegenden und weitreichenden privaten Dispositionen nötigt, ist in Anbetracht des dem Gleichheitssatz innewohnenden Sachlichkeitsgebotes zu fordern, daß ein möglicher Eingriff von hoher Hand in jene Dispositionen vom Gesetzgeber mit solcher Eindeutigkeit, was Voraussetzungen und Verfahren anlangt, geregelt wird, daß ein Projektwerber darauf vertrauen kann, daß seine Investitionen nicht im Wege einer behördlichen Untersagung im nachhinein frustriert werden. §4 EnergiewirtschaftsG idF der VereinfachungsV widerspricht dem Prinzip des Vertrauensschutzes.

(Anlaßfall B2782/96, E v 19.06.98, Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Legitimation, Derogation, Rechtsüberleitung, Energierecht, Gasrecht, Vertrauensschutz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G454.1997

Dokumentnummer

JFR_10019381_97G00454_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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