RS Vfgh 1998/6/24 G31/98, G79/98, G82/98, G108/98

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Veröffentlicht am 24.06.1998
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art11 Abs2
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
AsylG 1997 §4
AsylG 1997 §32
AVG §63 Abs5

Leitsatz

Verfassungswidrigkeit der bloß zweitägigen Berufungsfrist im Fall der Zurückweisung eines Asylantrags wegen Drittstaatsicherheit mangels Erforderlichkeit einer derart vom AVG abweichenden Regelung iSd Art 11 Abs2 B-VG und infolge Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze

Rechtssatz

Zulässigkeit der (Primär)Anträge des Unabhängigen Bundesasylsenates auf Aufhebung der Wortfolge "§4 und" in §32 Abs1 AsylG 1997.

Der im Fall der Aufhebung der primär angefochtenen Wendung verbleibende Satzteil behält trotz einer eintretenden Abweichung vom grammatikalisch richtigen Sprachgebrauch den ihm zukommenden Sinn bei ("aus den Gründen der §5" statt richtig: "aus den Gründen des §5").

Das Verfahren zur Gewährung von Asyl weist Besonderheiten auf, die Abweichungen von den Bestimmungen des AVG erforderlich machen. Solche Abweichungen sind allerdings nur dann "erforderlich", wenn sie zur Regelung des Gegenstandes unerläßlich sind (vgl VfSlg. 13831/1994, 13834/1994 und 13838/1994).

Die Abweichung vom AVG kann auch in einer Verkürzung der mit zwei Wochen festgelegten Berufungsfrist bestehen, doch muß dabei jedenfalls auf den Grundsatz Bedacht genommen werden, daß Rechtsschutzeinrichtungen ein Mindestmaß an faktischer Effizienz für den Rechtsschutzwerber aufweisen müssen.

In diesem Sinn sind die Voraussetzungen bei einer für den Rechtsschutz maßgeblichen Regelung wie der über die Dauer einer Rechtsmittelfrist nur dann gegeben, wenn sie dem negativ beschiedenen potentiellen Rechtsschutzsuchenden gewährleistet, sein Rechtsmittel in einer Weise auszuführen, die sowohl dem Inhalt der anzufechtenden Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht adäquat ist als auch dem zu dieser Entscheidung führenden, allenfalls mit Mängeln belasteten Verfahren.

Die in §32 Abs1 erster Satz AsylG 1997 enthaltene Wendung "§4 und" wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Es ist davon auszugehen, daß der Asylwerber im Regelfall der deutschen Sprache nicht mächtig ist und daher schon zum rein sprachlichen Verständnis des ihm zugestellten Bescheides fremder Hilfe bedarf. Dem Rechtsschutzsuchenden muß darüberhinaus grundsätzlich auch das rechtliche Verständnis des Bescheides - einschließlich der rechtlichen Wertung des zur Bescheiderlassung führenden Verfahrens - möglich gemacht werden; demnach muß ihm die Möglichkeit geboten werden, sich der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand zu bedienen, was wohl häufig die Beiziehung einer weiteren, der Sprache des Asylwerbers mächtigen Person erfordert. Schließlich ist das Erfordernis gegeben, anzunehmende Mängel des Bescheides in materieller und formeller Hinsicht in die Form eines den Standpunkt des Asylwerbers deutlich zum Ausdruck bringenden Schriftsatzes zu kleiden und die damit verbundenen manipulativen Umstände zu bewältigen.

Das nach §26 Abs2 AsylG 1997 dem Asylwerber zu übergebende, in einer ihm verständlichen Sprache abgefaßte Merkblatt kann nur eine allgemeine Information über die Voraussetzungen der Asylgewährung bieten und vermag daher nicht die konkrete persönliche Hilfe zu ersetzen, deren der Asylwerber als Bescheidadressat in seiner speziellen Lage regelmäßig bedarf.

Dem Asylwerber kann auch eine kürzere als die im AVG festgelegte Berufungsfrist eingeräumt werden, sofern sie es ihm (auch unter Berücksichtigung besonderer Kalenderkonstellationen wie zB dem Aufeinanderfolgen von Feiertagen) ermöglicht, fachliche Hilfe beizuziehen und eine ausreichend begründete Berufung einzubringen. Eine Frist von einer Woche dürfte hiefür als Mindestmaß anzusehen sein, das (auch) zur Erreichung faktisch effizienten Rechtsschutzes eingehalten werden muß.

(Quasi-Anlaßfälle: B430/98, E v 24.06.98, B432/98, E v 29.09.98, B777/98, E v 30.11.98, uvm, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).

Entscheidungstexte

Schlagworte

VfGH / Prüfungsumfang, Asylrecht, Bedarfskompetenz, Rechtsschutz, Rechtsstaatsprinzip, Verwaltungsverfahren, Berufung, Berufungsfrist

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G31.1998

Dokumentnummer

JFR_10019376_98G00031_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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