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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Präjudizialität einer Bestimmung betreffend Fremdenverkehrsabgaben; denkmögliche Anwendung durch die Behörde im Anlaßverfahren; kein Ausschluß der Präjudizialität aufgrund eines möglichen Anwendungsvorrangs einer EU-Richtlinie; keine sachliche Rechtfertigung der Einbeziehung der auch außerhalb des Burgenlandes erzielten Umsätze in die Bemessungsgrundlage der FremdenverkehrsabgabeRechtssatz
Präjudizialität des von der Behörde denkmöglich angewendeten §27 Abs2 Bgld TourismusG 1992.
Bei einem vom Verfassungsgerichtshof von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren sind jene gesetzlichen Bestimmungen präjudiziell, die von der belangten Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides in denkmöglicher Weise - wenn auch vielleicht zu Unrecht - angewendet wurden (zB VfSlg 5373/1966, 8318/1978, 8999/1980, 10925/1986, 12677/1991, 14078/1995) oder die die belangte Behörde anzuwenden verpflichtet war (zB VfSlg 10617/1985, 11752/1988). Somit begründet nicht nur die Verpflichtung zur Anwendung, sondern auch die faktische Anwendung die Präjudizialität. Im letzten Fall muß allerdings - wie bereits ausgeführt - der Sachverhalt der angewendeten Gesetzesnorm zum mindesten denkmöglich subsumierbar sein (vgl VfSlg 4625/1963, 5373/1966).
(siehe auch Anlaßfall E v 25.06.98, B2798/96).
Unmittelbare Anwendbarkeit des Art33 der Mehrwertsteuerrichtlinie 77/388/EWG.
Angesichts der Besonderheiten der Regelungen des Bgld TourismusG 1992 ist der belangten Behörde jedenfalls kein einer Gesetzlosigkeit gleichzuhaltender Fehler unterlaufen, wenn sie angenommen hat, daß ihrer Anwendung Art33 der Mehrwertsteuerrichtlinie nicht entgegensteht. Denn solches wäre nur dann anzunehmen, wenn der Widerspruch der österreichischen Rechtsvorschrift zu einer gemeinschaftsrechtlichen Norm im Sinne der acte claire-Doktrin offenkundig wäre (vgl VfGH vom 26.06.97, B877/96).
Vorabentscheidungsverfahren zu Fremdenverkehrsabgaben auf Antrag des VwGH anhängig.
Anwendungsvorrang steht Präjudizialität nicht entgegen.
Zweck des vom EuGH entwickelten Prinzips des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechtes ist es, die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten zu sichern.
Auch der Verfassungsgerichtshof hat den Anwendungsvorrang des EG-Rechts zu beachten (vgl etwa VfGH vom 12.04.97, G400/96, G44/97, vom 04.10.97, G322,323/97, vom 05.12.97, G23-26/97), freilich nur im Rahmen der von ihm zu besorgenden Aufgaben. Er hat daher über die Frage, ob eine österreichische Rechtsvorschrift infolge des Anwendungsvorranges unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts unangewendet zu bleiben hat, nur dann selbst zu entscheiden, wenn die Frage für seine Entscheidung relevant ist, was für sich nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen ist.
Die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Normenkontrolle als zentrales Element des rechtsstaatlichen Baugesetzes der österreichischen Bundesverfassung wurde durch den Beitritt Österreichs zur EU nicht eingeschränkt. Auch verlangt das Erfordernis der Effektivität des Gemeinschaftsrechts keine einschränkende Interpretation. Denn es kann zu keinem gemeinschaftswidrigen Ergebnis führen, wenn eine zwar nicht offenkundig, aber letztlich vielleicht doch gemeinschaftsrechtswidrige nationale Rechtsvorschrift vom nationalen Verfassungsgericht (schon) wegen Verstoßes gegen eine nationale Norm aufgehoben wird.
Die Begriffe der Anwendung in Art140 Abs1 B-VG und im Sinne der Doktrin vom Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts sind also in spezifischer, alle Rechtsschutzgesichtspunkte umfassenden Weise jeweils unterschiedlich zu verstehen. Sie kommen aus zwei unterschiedlichen Rechtssystemen und dürfen nicht schematisch gleichgesetzt, sondern sind in der aufgezeigten, die beiden Systeme harmonisierenden und den Vorrang des EU-Rechts beachtenden Weise differenziert zu sehen.
Die Wortfolge "im Sinne des Umsatzsteuergesetzes" in §27 Abs2 des Gesetzes vom 30.01.92 über die Organisation und Förderung des Tourismus im Burgenland (Bgld TourismusG 1992), LGBl für das Burgenland Nr 36/1992, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Die in Prüfung stehende Wortfolge in §27 Abs2 Bgld TourismusG 1992 führt zu einem sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnis, weil die Einbeziehung auch der außerhalb des Burgenlandes erzielten Umsätze in die Bemessungsgrundlage nicht in einem sachgerechten Verhältnis zu dem aus dem Fremdenverkehr im Burgenland gezogenen Nutzen steht.
(Anlaßfall: E v 25.06.98, B2798/96; Quasi-Anlaßfälle: E v 24.06.98, B3212/96 ua - Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsmaßstab, Umsatzsteuer, EU-Recht, Richtlinie, Fremdenverkehr, Abgaben, Anwendbarkeit, Rechtsstaatsprinzip, VfGH / ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:G2.1997Dokumentnummer
JFR_10019376_97G00002_01