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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z11Leitsatz
Verstoß einer Bestimmung im Wiener Behindertengesetz betreffend die Anrechnung des Taschengeldes als Einkommen bei Festlegung des Kostenbeitrags für die Heimunterbringung gegen das Berücksichtigungsprinzip im Hinblick auf den im Sozialversicherungsrecht und im Bundespflegegeldgesetz normierten FreibetragSpruch
§43 Abs4 erster Satz des Gesetzes über die Hilfe für Behinderte (Wiener Behindertengesetz - WBHG), LGBl. für Wien Nr. 16/1986 in der Fassung des Landesgesetzes LGBl. für Wien Nr. 77/2001, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
Die aufgehobene Bestimmung ist nicht mehr anzuwenden.
Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Wien verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B280/04 die Beschwerde gegen einen Bescheid der Wiener Landesregierung anhängig, mit dem der Beschwerdeführer verpflichtet worden ist, für die ihm nach §24 des Wiener Behindertengesetzes 1986 (mit dem Landesgesetz LGBl. Nr. 46/2004 wurde der Kurztitel dieses Landesgesetzes in "Wiener Behindertengesetz - WBHG" geändert) gewährte Hilfe durch Unterbringung, Verpflegung und Betreuung in einem Wohnheim ab 1. Juni 2003 einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von EUR 41,18 zu leisten.
Bei Behandlung dieser Beschwerde sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §43 Abs4 erster Satz WBHG (idF des Landesgesetzes LGBl. Nr. 77/2001) entstanden, weshalb er am 28. September 2004 beschlossen hat, diese Bestimmung von Amts wegen einem Gesetzesprüfungsverfahren zu unterziehen.
2. Gemäß §43 Abs1 WBHG hat der Behinderte ua. zu den Maßnahmen der Eingliederungshilfe, der Beschäftigungstherapie und der Hilfe zur Unterbringung einen Kostenbeitrag zu leisten.
§43 Abs4 erster Satz WBHG idF des Landesgesetzes LGBl. Nr. 77/2001 (die übrigen Teile des §43 Abs4 regeln die Beitragspflicht der Angehörigen des Behinderten) lautet:
"(4) Werden dem behinderten Menschen im Rahmen einer Maßnahme nach §24 Unterbringung, Verpflegung und Betreuung gewährt, so sind das Gesamteinkommen des behinderten Menschen und die ihm zuerkannten pflegebezogenen Geldleistungen bis auf einen Betrag in der Höhe von 40 vH des Pflegegeldes der Stufe 3 zum Kostenbeitrag heranzuziehen.
..."
Gemäß §5 des Wiener Pflegegeldgesetzes - WPGG (in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung des Landesgesetzes LGBl. Nr. 112/2001) beträgt das Pflegegeld der Stufe 3 monatlich EUR 413,50, sodass sich unter Anwendung des in §43 Abs4 WBHG genannten Prozentsatzes ein Freibetrag von EUR 165,40 ergibt.
§11 WBHG (idF der Landesgesetze LGBl. Nr. 42/1993 und LGBl. Nr. 77/2001) regelt, was unter "Gesamteinkommen" iS des §43 zu verstehen ist:
"Gesamteinkommen
§11. (1) Gesamteinkommen ist die Summe aller Einkünfte einer Person nach Abzug des zur Erzielung dieser Einkünfte notwendigen Aufwandes. Als Einkünfte gelten alle Bezüge in Geld oder Geldeswert einschließlich des Unterhaltsanspruches nach Maßgabe des §12 Abs1.
(2) Bei Feststellung des Gesamteinkommens bleiben außer Betracht:
1. die Familienbeihilfen nach dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376,
2. Bezüge aus Leistungen der Sozialhilfe und der freien Wohlfahrtspflege,
3. Pflegebezogene Geldleistungen,
4. Lehrlingsentschädigungen in der Höhe des Richtsatzes der Sozialhilfe, der für den Lehrling nach seinem Familienstand anzuwenden wäre,
5. Sonderzahlungen."
3. Der Verfassungsgerichtshof hegte in seinem Prüfungsbeschluss das Bedenken, dass das Wiener Behindertengesetz auf Grund der in Prüfung gezogenen Bestimmung das sich aus §324 Abs3 (und §13 Abs1 des Bundespflegegeldgesetzes - BPGG) ergebende Taschengeld, somit Leistungen, die nach dem Willen des Bundesgesetzgebers einem Pensionsbezieher auch im Falle seiner Unterbringung auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe verbleiben sollen, bereits dann zum Kostenersatz heranziehe, wenn das Gesamteinkommen des Hilfesuchenden eine bestimmte Höhe übersteige, und zwar unabhängig davon, ob durch die dem Behinderten gewährte Unterbringung dessen Lebensunterhalt überhaupt vollends gedeckt sei. Die strittige landesgesetzliche Regelung scheine daher die Intention, die der Bundesgesetzgeber mit der Gewährung des in §324 Abs3 ASVG normierten Freibetrages verfolgt habe, zu unterlaufen und insofern mit Verfassungswidrigkeit belastet zu sein.
4. Die Wiener Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, worin sie die in Prüfung stehende Gesetzesbestimmung wie folgt verteidigt:
"... Obwohl in Anwendung des §43 Abs4 sowohl das sich aus §324 Abs3 ASVG als auch aus §13 Abs1 Bundespflegegeldgesetz ergebende Taschengeld des renten- bzw. pensionsberechtigten Hilfesuchenden einbehalten werden und die Behörde an deren Stelle das Taschengeld in der Höhe von € 165,40 zuerkennt, ist dies nicht als Verstoß gegen das der Bundesverfassung innewohnende Berücksichtigungsgebot zu betrachten. Durch den §43 Abs4 Behindertengesetz 1986 werden daher die Interessen des Bundesgesetzgebers, die er mit den Bestimmungen §324 Abs3 ASVG und §13 Abs1 BPGG verfolgte, weder negiert noch unterlaufen.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 3. Dezember 1984, GZ: G81/84, in Bezug auf das Berücksichtigungsprinzip ausgesprochen, dass eine Verpflichtung zur wechselseitigen Treue von Bund und Ländern nur aus dem Grundsatz der exklusiven Trennung der Aufgabenbereiche in Verbindung mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot (Gleichheitssatz) in dem Sinne abgeleitet werden kann und dass sich Bund und Länder bei der Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten nicht so verhalten dürfen, dass daraus eine sachlich nicht gerechtfertigte Behinderung der gegenbeteiligten Kompetenzausübung entsteht.
Die Maßnahmen der Behindertenhilfe nach dem Behindertengesetz 1986 gründen sich kompetenzrechtlich auf Artikel 15 Abs1 B-VG. Die Intention des Landesgesetzgebers war es, durch §43 Abs4 Behindertengesetz 1986 und die dahinter stehende Form der Unterbringung (Verpflegung und Betreuung) eine Regelung zu schaffen, die dem behinderten Menschen ein möglichst sorgen- bzw. stressfreies Umfeld bietet, um sich der jeweiligen Maßnahme mit der in Verbindung die Hilfe zur Unterbringung gewährt werden muss, widmen zu können. Wiewohl das Behindertengesetz 1986 formell nicht den Anspruch erhebt, den Lebensunterhalt der behinderten Menschen zu sichern, so ist das Gesetz in seiner Gesamtheit doch geeignet, den betreffenden Menschen vor dem Abgleiten in die soziale Bedürftigkeit zu bewahren. Trotzdem beabsichtigte der Landesgesetzgeber durch den Inhalt des §43 Abs4 Behindertengesetz 1986 auch ein gewisses Kostenbewusstsein bei dem betroffenen Menschen hervorzurufen.
§324 Abs3 ASVG regelt den Anspruchsübergang des Renten(Pensions)berechtigten in der Höhe der Verpflegskosten bzw. höchstens zu 80 vH des Renten(Pensions)anspruches auf das jeweilige Land, wenn dieser Hilfesuchende auf Kosten dieses Landes im Rahmen der Behindertenhilfe in einer der genannten Einrichtungen oder auf einer der genannten Pflegestellen untergebracht wird.
Die den Kostenbeitrag nach §43 Abs4 Behindertengesetz 1986 auslösende Hilfe zur Unterbringung (§24 leg.cit.) umfasst die volle Unterbringung des Hilfe Suchenden, in deren Rahmen neben Verpflegung auch Körperpflege, Beheizung, Beleuchtung sowie andere persönliche Bedürfnisse, wie z. B. die Pflege der Beziehungen zur Umwelt, geleistet werden. Das aus dem Bereich des §324 Abs3 ASVG einbehaltene Taschengeld wird also im Sinne des Bundesgesetzgebers und im selben Interesse des Hilfe Suchenden einer zweckgemäßen Verwendung zugeführt. Durch das dem Hilfesuchenden zu seiner Verfügung verbleibende Taschengeld in der Höhe von € 165,40 wird diesem die Möglichkeit gegeben, auch im Bereich der Bekleidung und des Hausrates zu seinem Unterhalt beizutragen.
Soweit das Taschengeld des §13 Abs1 BPGG in der Höhe von 10 vH der Pflegegeldstufe 3 zur Berechnung des Kostenbeitrages herangezogen wird, wird dem Hilfe Suchenden das pflegebezogene Taschengeld genommen. Auf Grund des zuerkannten Taschengeldes in der Höhe von 40 vH der Pflegegeldstufe 3 wird dem behinderten Menschen das pflegebezogene Taschengeld in zumindest der gleichen Höhe wieder ausbezahlt. Der Hilfe Suchende läuft also auch in diesem Zusammenhang nicht Gefahr, in die Bedürftigkeit abzugleiten.
Zudem wird die Hilfe zur Unterbringung gemäß §24 Abs1 Behindertengesetz 1986 Behinderten, die in Folge ihrer Beeinträchtigung nicht im Stande sind, ein selbstständiges Leben zu führen, nur in Verbindung mit einer Maßnahme der Eingliederungshilfe gemäß §5 Z3 (Hilfe zur Schulbildung und Erziehung oder 4 (Hilfe zur beruflichen Eingliederung), der Hilfe zur geschützten Arbeit (§18) oder der Beschäftigungstherapie (§22) in geeigneten Anstalten oder Heimen gewährt, wenn durch die Unterbringung des Behinderten die Maßnahme erst ermöglicht oder ihr Erfolg sichergestellt werden kann.
Gemäß Abs2 ist die Hilfe zur Unterbringung auch nach erfolgreicher Beendigung von Eingliederungshilfe gemäß §5 Z4 nur fortzusetzen, wenn und solange der behinderte Mensch kein selbstständiges Leben führen kann.
Für die Maßnahme, zu deren Begleitung bzw. Unterstützung die Hilfe zur Unterbringung gewährt wird, wird trotz des organisatorisch bedingten Mehraufwandes für die Unterbringungseinrichtung im Rahmen des §43 Abs4 Behindertengesetz 1986 kein gesonderter Kostenbeitrag eingehoben.
Das Berücksichtigungsgebot wird deshalb von der in Prüfung gezogenen Bestimmung des Behindertengesetzes 1986 nicht verletzt.
Die in Rede stehende landesgesetzliche Regelung läuft somit der Intention, die der Bundesgesetzgeber mit der Gewährung des in §324 Abs3 ASVG normierten Freibetrages verfolgt hat, nicht zu wider und ist deshalb nicht mit Verfassungswidrigkeit belastet."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
A. Zur Zulässigkeit:
Die Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens ist von keiner Seite bestritten worden; Zweifel am Vorliegen der Prozessvoraussetzungen sind auch sonst nicht entstanden.
Das Verfahren ist daher zulässig.
B. In der Sache:
1. Wird ein Pensionsberechtigter auf Kosten eines Landes im Rahmen der Behindertenhilfe in einem Heim untergebracht, so geht für die Dauer dieser Pflege der Pensionsanspruch (einschließlich allfälliger Zulagen und Zuschläge) bis zur Höhe der Verpflegskosten, höchstens jedoch bis zu 80 vH, wenn der Pensionsberechtigte auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung einem Angehörigen Unterhalt zu gewähren hat, bis zu 50 vH an das Land über (§324 Abs3 erster Satz ASVG). Der vom Anspruchsübergang erfasste Betrag vermindert sich für jeden weiteren Angehörigen um 10 vH (§324 Abs3 zweiter Satz ASVG).
Die Bestimmung des §324 Abs3 ASVG geht auf die Stammfassung dieses Bundesgesetzes zurück. Im zugehörigen Ausschussbericht (613 BlgNR VII. GP, 29) heißt es dazu:
"Die Regierungsvorlage hat die Beziehungen der Versicherungsträger zu den Fürsorgeträgern im Anschluß an das derzeit geltende Recht geregelt. Der Grundgedanke dieser Regelung geht dahin, daß den Fürsorgeträgern, falls sie ihre Unterstützung sozialversicherten Personen zuteil werden lassen, berechtigt sein sollen, hiefür von den Sozialversicherungsträgern Ersatz zu erhalten. Da es sich bei der Fürsorge um öffentliche Mittel handelt, müssen Fürsorgeleistungen, die neben dem Anspruch auf Sozialversicherungsleistungen gewährt werden, in einem gewissen Umfang ersetzt werden. Allerdings - und das ist der zweite Grundgedanke - muß hiebei darauf geachtet werden, daß der Ersatzanspruch im Interesse des Versicherten beschränkt wird. Jedenfalls darf durch den Fürsorgeträger nicht so weit auf die Versicherungsleistungen gegriffen werden, daß der Versicherte - vor allem der Rentenbezieher - seinen Lebensunterhalt nicht mehr decken kann und dann neuerlich auf die Fürsorge angewiesen wäre. Der Ausschuß vermißte allerdings eine Bestimmung, welche den Fürsorgeträgern das Recht gibt, dann auf die Rente zu greifen, wenn der Rentenberechtigte in einer Anstalt auf Rechnung des Fürsorgeträgers den vollen Unterhalt erhält. Das Verlangen der Fürsorgeträger ist berechtigt, auch in diesen Fällen in gewissen Grenzen die Rente, die gleichfalls zur Deckung des Lebensunterhaltes bestimmt ist, beanspruchen zu können. Aus diesem Grunde wurde im §324 ein dritter Absatz angefügt, der den Rückgriff des Fürsorgeträgers auf die Rente in die Form einer Legalzession kleidet und die Sicherung trifft, daß dem Rentenberechtigten je nach seinen Unterhaltsverpflichtungen ein entsprechender Teil der Rente verbleibt."
Mit der 44. Novelle zum ASVG, BGBl. Nr. 609/1987, wurde §324 Abs3 ASVG dahin geändert, dass der Pensionsanspruch auch dann (hier:) an das jeweilige Land übergeht, wenn ein Pensionsberechtigter auf Kosten eines Landes im Rahmen der Behindertenhilfe untergebracht wird.
Einen Anspruchsübergang sieht auch §13 Abs1 BPGG vor: Für die Dauer dieses Anspruchsüberganges gebührt der pflegebedürftigen Person ein "Taschengeld", das sich allerdings (im Unterschied zum "Pensionstaschengeld" nach §324 Abs3 ASVG) nicht vom konkreten Leistungsanspruch bemisst, sondern pauschal mit 10 vH des Pflegegeldes der Stufe 3 (ds. EUR 41,35) festgesetzt ist. (Das dem Beschwerdeführer des Anlassverfahrens gebührende "Taschengeld" beträgt - auf Grund der Übergangsbestimmung des §47 Abs3 BPGG - 20 vH des Pflegegeldes der Stufe 3, also EUR 82,70.) Im Übrigen ruht der Anspruch auf Pflegegeld.
2. Die Wiener Landesregierung hat nichts vorgetragen, was geeignet wäre, das Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu entkräften:
2.1. Die Kompetenz des Bundes zur Schaffung von Bestimmungen, wie sie §324 Abs3 ASVG und §13 Abs1 BPGG darstellen, gründet sich auf Art10 Abs1 Z11 B-VG bzw. auf die Verfassungsbestimmung des ArtI BPGG, BGBl. Nr. 110/1993, während die Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet der Sozialhilfe (einschließlich des Behindertenwesens) gemäß Art12 Abs1 Z1 B-VG iVm Art15 Abs6 vorletzter Satz B-VG den Ländern zukommt.
Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 10.292/1984, S 763, ausgesprochen hat, verbietet die der Bundesverfassung innewohnende Rücksichtnahmepflicht "dem Gesetzgeber der einen Gebietskörperschaft, die vom Gesetzgeber der anderen Gebietskörperschaft wahrgenommenen Interessen zu negieren und dessen gesetzliche Regelungen damit zu unterlaufen." Wird daher dieses - in der Lehre auch als "Torpedierungsverbot" (so Raschauer, ÖZW 1988, 30) bezeichnete - Berücksichtigungsgebot durch eine landesgesetzliche Regelung insofern missachtet, als diese die Intention einer bundesgesetzlichen Regelung unterläuft, dann ist die landesgesetzliche Regelung mit Verfassungswidrigkeit belastet (vgl. VfSlg. 14.403/1996 und 15.552/1999).
2.2. Der vorliegende Sachverhalt gleicht weitgehend jenem des Erkenntnisses 15.281/1998, mit dem eine Bestimmung des Salzburger Sozialhilfegesetzes als verfassungswidrig aufgehoben worden ist, die das nach §13 Abs1 BPGG gebührende Taschengeld als - den Leistungsanspruch des Hilfesuchenden nach dem Salzburger Sozialhilfegesetz minderndes - "Einkommen" wertete.
Auch in der Bestimmung des §324 Abs3 ASVG (die jener des §13 Abs1 BPGG offensichtlich als Vorbild gedient hat) kommt zum Ausdruck, dass einem pensionsberechtigten Behinderten auch - und gerade - im Falle seiner Unterbringung auf Kosten eines Landes ein Betrag in Höhe von mindestens 20 vH seiner Pension verbleiben soll.
2.3. Die Länder sind zwar aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht gehindert, ein bundesgesetzlich vorgesehenes Taschengeld auf gleichartige, aus Mitteln der Sozialhilfe gewährte Geldleistungen ("Sozialhilfe-Taschengeld") anzurechnen. Es ist ihnen jedoch verwehrt, hiebei eine Konstruktion zu wählen, die dazu führen kann, dass das nach bundesgesetzlichen Bestimmungen gebührende Taschengeld monatlich laufend (dh. mit Ausnahme von Beträgen, die unverwendet geblieben sind - siehe zu diesem Gesichtspunkt schon VwSlg. 7091 A/1967 - und deren Summe die Grenzen des sozialhilferechtlichen Schonvermögens überschreitet) zur Deckung der Kosten anderer Leistungen der Sozialhilfe herangezogen wird (vgl. VfSlg. 15.281/1998).
2.4. Das Wiener Behindertengesetz stellt nun einerseits nicht sicher, dass dem Hilfesuchenden das sich aus §324 Abs3 ASVG (und §13 Abs1 BPGG) ergebende Taschengeld ungeschmälert zukommt; vielmehr zieht es Geldleistungen, die nach dem Willen des Bundesgesetzgebers einem Pensionsberechtigten auch im Fall seiner Unterbringung auf Kosten eines Landes verbleiben sollen, bereits dann zum Kostenersatz heran, wenn das Einkommen des Pensionsberechtigten eine bestimmte Höhe überschreitet. Andererseits wird aber - wie die Wiener Landesregierung gar nicht in Zweifel zieht - mit der dem pensionsberechtigten Behinderten gewährten Unterbringung dessen Lebensunterhalt nicht vollends gedeckt, der nicht bloß Unterkunft und Verpflegung, sondern auch andere Bedürfnisse, etwa Kleidung und weitere Anliegen, umfassen kann (vgl. dazu schon VfSlg. 13.052/1992).
Soweit die Wiener Landesregierung in ihrer schriftlichen Äußerung vorbringt, das dem Pflegebedürftigen durch die Kostenersatzregelung des §43 WBHG genommene (bundesgesetzliche) Taschengeld werde "auf Grund des zuerkannten Taschengeldes in der Höhe von 40 vH der Pflegegeldstufe 3 ... in zumindest der gleichen Höhe wieder ausbezahlt", so trifft dies in dieser Allgemeinheit nicht zu: Das in §43 Abs4 WBHG geregelte "Taschengeld" (EUR 165,40) bleibt vielmehr schon dann hinter den bundesgesetzlich (§324 Abs3 ASVG, §13 Abs1 BPGG) vorgesehenen Freibeträgen zurück, wenn die Pension des Pflegebedürftigen EUR 827,-- (bei gleichzeitigem Bezug von Pflegegeld: EUR 620,25, unter Berücksichtigung des im Anlassfall maßgebenden §47 Abs3 BPGG EUR 413,50) übersteigt.
Soweit die Wiener Landesregierung die in Prüfung stehende Bestimmung schließlich mit dem Argument verteidigt, das "aus dem Bereich des §324 Abs3 ASVG einbehaltene Taschengeld" werde "im Sinne des Bundesgesetzgebers und im selben Interesse des Hilfe Suchenden einer zweckgemäßen Verwendung zugeführt", so verkennt sie das vom Verfassungsgerichtshof geäußerte Bedenken, das sich nicht auf die Unzweckmäßigkeit der Regelung stützt: Wie die Wiener Landesregierung in ihrer Äußerung selbst darlegt, soll die in Prüfung gezogene Norm "auch ein gewisses Kostenbewusstsein beim behinderten Menschen hervorrufen". Gerade damit übergeht aber der Wiener Landesgesetzgeber in Verfolgung seiner rechtspolitischen Absichten den offenkundigen Normzweck des §324 Abs3 ASVG, einer behinderten Person auch im Falle ihrer Unterbringung eine selbst bestimmte Disposition bei der Befriedigung ihrer spezifischen (auch behinderungsbedingt vermehrten) Bedürfnisse im Rahmen dieses Taschengeldes zu sichern.
3. Die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung war daher als verfassungswidrig aufzuheben.
4. Der Verfassungsgerichtshof sah sich veranlasst, von der Ermächtigung nach Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG Gebrauch zu machen und auszusprechen, dass die aufgehobene Bestimmung nicht mehr anzuwenden ist.
Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, gründet in Art140 Abs6 erster Satz B-VG. Die Kundmachungspflicht des Landeshauptmannes von Wien ergibt sich aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG iVm §64 Abs2 VfGG und §138 Abs2 Z7 der Wiener Stadtverfassung.
C. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs4 erster Satz VfGG).
Schlagworte
Behinderte, Pflegegeld, Kompetenz Bund - Länder, Berücksichtigungsprinzip, Kompetenz Bund - Länder Behindertenhilfe, Kompetenz Bund - Länder Sozialhilfe, Sozialhilfe, SozialversicherungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:G137.2004Dokumentnummer
JFT_09949691_04G00137_00