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41 Innere AngelegenheitenNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung der Berufung der Rechtsberaterin eines unbegleiteten minderjährigen Asylwerbers gegen die Abweisung seines Asylantrages; keine Zuweisung des Beschwerdeführers an eine Betreuungsstelle im Zeitpunkt der Berufungserhebung an den Unabhängigen Bundesasylsenat; Rechtsberater gesetzlicher Vertreter des Minderjährigen bis zu dessen Zuweisung an eine solche BetreuungsstelleSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit 1.962,-- Euro bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein minderjähriger, nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 15. Juli 2004 illegal in das Bundesgebiet ein und beantragte am 16. Juli 2004 im Wesentlichen mit der Begründung Asyl, dass er in seiner Heimat aufgrund seiner Religion verfolgt werde.
2. Der Asylantrag des Beschwerdeführers wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 30. Juli 2004 gemäß §§7 und 8 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) abgewiesen.
3. Dieser Bescheid wurde der Rechtsberaterin des Beschwerdeführers bei der Erstbehörde am 2. August 2004 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 2. August 2004 brachte diese unter Berufung auf das Bestehen eines Vertretungsverhältnisses gemäß §25 Abs2 AsylG für den minderjährigen Beschwerdeführer eine Berufung gegen den Bescheid der Erstbehörde ein.
4. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 17. August 2004 wurde die Rechtsberaterin aufgefordert, entweder eine Vollmacht der Bezirkshauptmannschaft Baden als Organ des zuständigen Jugendwohlfahrtsträgers für die Einbringung der Berufung oder eine Genehmigung einer allenfalls durch den Minderjährigen an die Rechtsberaterin erteilten Vollmacht durch die Bezirkshauptmannschaft Baden als Organ des zuständigen Jugendwohlfahrtsträgers binnen zwei Wochen ab Zustellung dieser Aufforderung vorzulegen.
5. In einer Stellungnahme vom 20. August 2004 geht die Rechtsberaterin davon aus, dass ihr im gegenständlichen Fall die Rechtslegitimation zur Erhebung der Berufung zukomme.
6. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 6. September 2004 wurde die Berufung gemäß §10 Abs2 iVm §13 Abs3 AVG im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Rechtsberater nur für die Dauer des Zulassungsverfahrens gesetzlicher Vertreter unbegleiteter Minderjähriger werde. Nach Zulassung des Verfahrens gehe die Zuständigkeit der gesetzlichen Vertretung auf den Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes über, in dessen Vollzugsbereich der Asylwerber einer Betreuungseinrichtung zugewiesen wird. Im Falle des Beschwerdeführers sei das Zulassungsverfahren nicht durch eine Mitteilung gemäß §24a Abs3 Z1 AsylG beendet worden, sondern die Entscheidung im Zulassungsverfahren gemäß §24a Abs8 zweiter Satz durch den angefochtenen erstinstanzlichen Bescheid ersetzt worden. Mit Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides an die Rechtsberaterin sei gemäß §24a Abs8 AsylG das Zulassungsverfahren und damit auch die Zuständigkeit der Rechtsberaterin zur Vertretung des minderjährigen Beschwerdeführers beendet worden.
II. 1. Gegen diesen Berufungsbescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in welcher insbesondere die Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (BVG BGBl. 390/1973) sowie die Anwendung verfassungswidriger Gesetze (§§24a und 25 Abs2 AsylG) gerügt und die Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
2. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.
III. 1. Die Beschwerde, deren meritorischer Erledigung Verfahrenshindernisse nicht entgegenstehen, erweist sich als gerechtfertigt.
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 16.079/2001 und 16.737/2002).
3. Die relevanten Bestimmungen lauten wie folgt:
§24a. Abs3, 4 und 8:
"(3) Nach Abschluss der Ersteinvernahme ist dem Asylwerber mitzuteilen, dass
1. das Verfahren zulässig ist;
2. beabsichtigt ist, seinen Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen oder
3. beabsichtigt ist, seinen Asylantrag abzuweisen.
(4) Nach Mitteilung gemäß Abs3 Z1 endet der faktische Abschiebeschutz, dem Asylwerber wird die Aufenthaltsberechtigungskarte ausgehändigt und er kann einer Betreuungseinrichtung (§37b) zugewiesen werden.
(8) Entscheidet das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach Einbringung des Antrages, dass der Asylantrag als unzulässig gemäß der §§4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, ist der Antrag zugelassen, es sei denn es werden Konsultationen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 geführt; Abs4 gilt. Die Abweisung des Asylantrages gemäß §6 oder eine Entscheidung gemäß der §§7 oder 10 ersetzt die Entscheidung im Zulassungsverfahren. Satz 1 gilt nicht, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzieht und das Verfahren eingestellt oder als gegenstandslos abgelegt wird."
§25. Abs2 lautet:
"(2) Mündige Minderjährige, deren Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können, sind berechtigt, Anträge zu stellen und einzubringen. Gesetzlicher Vertreter wird mit Einleitung des Zulassungsverfahrens der Rechtsberater in der Erstaufnahmestelle; nach Zulassung des Verfahrens der örtlich zuständige Jugendwohlfahrtsträger jenes Bundeslandes, dessen Betreuungsstelle der Minderjährige zuerst zugewiesen wird."
§36b. Abs1 lautet:
"(1) Asylwerbern, deren Verfahren zugelassen sind, ist eine Aufenthaltsberechtigungskarte auszustellen. Die Gültigkeitsdauer dieser Karte ist bis zur Rechtskraft des Verfahrens befristet."
§37b lautet:
"(1) Betreuungseinrichtungen sind
a) Betreuungsstellen (Abs2) und
b) die Erstaufnahmestellen, soweit in diesen die Versorgung der Grundbedürfnisse von Asylwerbern, in deren Verfahren noch keine Zulassungsentscheidung getroffen wurde, faktisch gewährleistet wird.
(2) Betreuungsstelle ist jede außerhalb der Erstaufnahmestelle gelegene Unterbringung, in der die Versorgung der Grundbedürfnisse eines Asylwerbers faktisch gewährleistet wird. Die Einrichtung der Betreuungsstellen in den Bundesländern, die Zuteilung von Asylwerbern und deren tatsächliche Unterbringung in allen Bundesländern richtet sich unbeschadet der kompetenzrechtlichen Zuständigkeiten nach der Volkszahl der Bundesländer.
(3) Abs2 zweiter Satz gilt mit der Maßgabe, dass die Asylwerber, die sich in Erstaufnahmestellen befinden, in die Gesamtzahl der auf die Bundesländer zu verteilenden Asylwerber anzurechnen sind."
4. Der gesetzliche Vertreter eines mündigen Minderjährigen, dessen Interessen von ihren gesetzlichen Vertretern nicht wahrgenommen werden können (unbegleitete Minderjährige), ist ab Einleitung des Zulassungsverfahrens der Rechtsberater. Seine Vertretungsbefugnis endet, wie der zweite Halbsatz des zweiten Satzes des §25 Abs2 AsylG zeigt, sobald zwei Kriterien erfüllt sind, nämlich dass erstens das Zulassungsverfahren zu Ende ist und dass zweitens der Minderjährige einer Betreuungsstelle zugewiesen wurde. Solange eines der beiden Kriterien nicht erfüllt ist, ist der Rechtsberater weiterhin der gesetzliche Vertreter des Minderjährigen.
Wenngleich der Gesetzestext an Klarheit zu wünschen übrig lässt, ist dem Gesetzgeber nicht zusinnbar, zwischen Beendigung des Zulassungsverfahrens (§24a Abs8 AsylG) und Zuweisung an eine Betreuungseinrichtung eine zeitliche Lücke zu schaffen, in der der Minderjährige ohne gesetzliche Vertretung ist, sodass nicht gewährleistet ist, dass für den minderjährigen Asylwerber rechtzeitig Berufung erhoben werden kann. Auch kann dem Gesetz nicht unterstellt werden, dass der Minderjährige in der Zeit zwischen der Beendigung des Zulassungsverfahrens und der Zuweisung an eine Betreuungseinrichtung, die unter Umständen nur wenige Tage dauern kann, vom Jugendwohlfahrtsträger des Aufenthaltsortes (§§211 ff. ABGB) vertreten wird, sodass der Minderjährige innerhalb kurzer Zeit drei unterschiedliche gesetzliche Vertreter hätte.
Wie der Beschwerdeführer unbestritten ausführt, war der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Berufungserhebung an den UBAS (noch) keiner Betreuungsstelle zugewiesen.
Die belangte Behörde hat demnach durch die Zurückweisung eine Sachentscheidung verweigert und den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen Euro 327,-- auf die Umsatzsteuer.
V. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Asylrecht, Jugendfürsorge, Verwaltungsverfahren, Vertreter, Zivilrecht, Rechts- und HandlungsfähigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:B1290.2004Dokumentnummer
JFT_09949691_04B01290_2_00