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10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litcLeitsatz
Verlustigerklärung des Mandats des Abgeordneten Peter Rosenstingl auf Antrag des Nationalrates; verhängte Auslieferungshaft im Hinblick auf die Möglichkeit der Rückkehr nach Österreich kein tauglicher Rechtfertigungsgrund für die Abwesenheit des Abgeordneten von den Sitzungen des NationalratesRechtssatz
Im Falle eines auf §2 Abs1 Z2 iVm Abs2 und Abs3 GeschäftsordnungsG 1975 (im Folgenden: GOG NR) gestützten Antrages des Nationalrates an den Verfassungsgerichtshof, einen Abgeordneten seines Mandates wegen behauptetermaßen nicht gerechtfertigter Abwesenheit von den Sitzungen des Nationalrates für verlustig zu erklären, ist vom Verfassungsgerichtshof das Vorliegen eines die Nichtteilnahme an den Sitzungen des Nationalrates in diesem Sinne "rechtfertigenden" Grundes inhaltlich zu prüfen. Der Begriff "gerechtfertigt" ist im Sinne eines - etwa einer Krankheit vergleichbaren - "Entschuldigungsgrundes" für die Abwesenheit von den Sitzungen des Nationalrates zu verstehen.
Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen keine Bedenken. Insbesondere besteht kein Anlass anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit diesen Vorschriften die ihm durch Art141 Abs1 zweiter Satz B-VG ausdrücklich erteilte Ermächtigung zur Festlegung von Tatbeständen für den Mandatsverlust von Abgeordneten des Nationalrates in verfassungswidriger Weise überschritten hätte. Im Hinblick auf diese spezifische bundesverfassungsgesetzliche Ermächtigung ist auch auszuschließen, dass eine darauf gestützte gesetzliche Regelung im Widerspruch zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten passiven Wahlrecht stehen könnte.
Eine von einem Organ eines fremden Staates über einen Abgeordneten verhängte Haft ist zwar grundsätzlich geeignet, dessen Abwesenheit von den Sitzungen des Nationalrates im Sinne des §2 Abs1 Z2 GOG NR zu rechtfertigen. Wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Falles trifft dies hier jedoch ausnahmsweise nicht zu.
Der Abgeordnete Peter Rosenstingl hat, indem er von der ihm gebotenen Möglichkeit, nach Österreich zurückzukehren, keinen Gebrauch gemacht hat, nicht das Seine getan, um die nachfolgende Auslieferungshaft abzuwenden, wobei er damit rechnen musste, dass er durch diese Haft für längere Zeit daran gehindert sein würde, seiner Anwesenheitsverpflichtung im Nationalrat nachzukommen. Des Weiteren ist im verfassungsgerichtlichen Verfahren weder behauptet worden noch sonst hervorgekommen, dass sich der in Rede stehende Abgeordnete auch nach der an ihn gerichteten Aufforderung des Präsidenten des Nationalrates, im Nationalrat zu erscheinen, darum bemüht hätte, nach Österreich zurückzukommen, um hier der genannten Anwesenheitsverpflichtung entsprechen zu können. Nach Lage des vorliegenden Falles war es ihm auch durchaus zuzumuten, - gegebenenfalls gemeinsam mit den beiden im Zuge der Fahndung nach ihm nach Brasilien entsandten Beamten - nach Österreich zurückzukehren und sich hier der gegen ihn laufenden gerichtlichen Voruntersuchung zu stellen. Im Hinblick auf all diese Umstände scheidet die in Brasilien über ihn verhängte Auslieferungshaft als tauglicher Rechtfertigungsgrund für die Abwesenheit des Abgeordneten Rosenstingl von den Sitzungen des Nationalrates aus.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Nationalrat, Wahlrecht passives, MandatsverlustEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:WII1.1998Dokumentnummer
JFR_10019070_98W0II01_01