RS Vfgh 1998/10/13 G297/97, G298/97

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Veröffentlicht am 13.10.1998
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Index

L1 Gemeinderecht
L1000 Gemeindeordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art44 Abs1
B-VG Art60 Abs6
B-VG Art99
B-VG Art117 Abs6
B-VG Art118 Abs5
B-VG Art140 Abs1 / Allg
VfGG §62 Abs1 erster Satz
Sbg Stadtrecht 1966 §25
Sbg GdO 1994 §45
Sbg Landes-VerfassungsG 1945 Art23 Abs2
Sbg Landes-VerfassungsG 1945 Art53

Leitsatz

Keine Verfassungswidrigkeit der Salzburger Regelung über die Abberufung im Regelfall direkt gewählter Bürgermeister durch den Ausspruch des Mißtrauens durch die Gemeindevertretung sowie nachfolgende Bestätigung dieses Mißtrauensvotums durch eine Bürgerabstimmung; keine Verletzung der bundesverfassungsgesetzlich festgelegten Verantwortung des Bürgermeisters gegenüber dem Gemeinderat; Zulässigkeit eines solchen dualen Systems aufgrund der bundesverfassungsgesetzlichen Ermächtigung des Landesverfassungsgesetzgebers zur Einführung der Bürgermeisterdirektwahl, eines Organisationssystems bestehend aus parlamentarisch-demokratischen Elementen und einer direkt-demokratisch legitimierten monokratischen Leitung; keine Verletzung des Gleichheitssatzes; Geltung der Regelung über die Abberufung durch Mißtrauensvotum und Bürgerabstimmung auch im Falle ausnahmsweise vom Gemeinderat gewählter Bürgermeister im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gemeindeorganisationsgesetzgebers

Rechtssatz

Zulässigkeit eines Gesetzesprüfungsantrags von Landtagsabgeordneten (eingebracht von 13 von 36 Mitgliedern des Sbg Landtags).

Gemäß Art23 Abs2 Sbg Landes-VerfassungsG 1945 (iVm Art140 Abs1 Satz 3 B-VG) steht einem Drittel der Mitglieder des Landtages das Recht zu, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag gemäß Art140 Abs1 B-VG auf Prüfung eines Landesgesetzes wegen Verfassungswidrigkeit zu stellen.

Hinreichend bestimmtes Begehren iSd §62 Abs1 erster Satz VfGG.

Der vorliegende Antrag entspricht diesem Erfordernis auch hinsichtlich des auf die "teilweise" Aufhebung des §25 Abs2 Sbg Stadtrecht 1966 gerichteten Begehrens, weil dieses durch die Beifügung der antragsgegenständlichen Wortgruppe "soweit im folgenden für den Bürgermeister nicht anderes bestimmt ist" präzisiert wird.

Abweisung des Abgeordnetenantrags auf Aufhebung von Teilen des Abs2 und der Abs3 bis 5 des §25 Sbg Stadtrecht 1966, LGBl. 47 idF 16/1997, sowie des §45 Sbg GdO 1994, LGBl. 107 idF 47/1995.

Wenn zwischen den Regelungen über die Bestellung des Bürgermeisters im Wege der direkten Wahl durch die Gesamtheit der Wahlberechtigten der Gemeinde einerseits und der Bestimmung des Art118 Abs5 B-VG betreffend die Verantwortlichkeit der Gemeindeorgane gegenüber dem Gemeinderat anderseits ein (System-)Zusammenhang besteht (siehe VfSlg. 13500/1993), dann hat die Neuregelung der Bestellung des Bürgermeisters im Sinne der Zulässigkeit der direkten Wahl durch das Gemeindevolk, wie sie Art117 Abs6 zweiter Satz B-VG seit der B-VG-Novelle BGBl. 504/1994 nunmehr vorsieht, dem Landesverfassungsgesetzgeber jenen Systemwechsel ermöglicht, den der Verfassungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis - nach damaliger Verfassungsrechtslage - als "der bundesverfassungsgesetzlichen Verankerung gemäß Art44 Abs1 B-VG" vorbehalten bezeichnete.

Der Verfassungsgesetzgeber wollte damit der Landesverfassungsgesetzgebung eben diesen Systemwechsel ermöglichen (siehe Materialien und Entstehungsgeschichte zu Art117 Abs6 B-VG sowie die einschlägigen Regelungen in Kärnten und Burgenland).

Art118 Abs5 B-VG ist (was die Verantwortlichkeit des Bürgermeisters gegenüber dem Gemeinderat anlangt) insoweit modifiziert worden, als landesgesetzliche Regelungen, die die Abberufung des (direkt gewählten) Bürgermeisters im Wege einer vom Gemeinderat initiierten Bürgerabstimmung vorsehen - was bedeutet, dass der Gemeinderat die ihm gegenüber bestehende Verantwortlichkeit nicht ohne Befassung des Gemeindevolkes geltend machen kann -, bundesverfassungsrechtlich ebenso zulässig sind wie solche, die einen auf diese Weise bestellten Bürgermeister (weiterhin) allein gegenüber dem Gemeinderat verantwortlich sein lassen.

Es erscheint ferner auch unbedenklich, wenn sich der Landesgesetzgeber hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Bürgermeisters am Modell des Art60 Abs6 B-VG orientiert. Die durch Art99 B-VG gesetzte Grenze - und nur diese kommt hier in Betracht - wird damit nicht überschritten.

Der Landesverfassungsgesetzgeber wird durch Art117 Abs6 zweiter Satz B-VG ermächtigt, sich - auf Gemeindeebene - für ein Organisationssystem zu entscheiden, das sowohl aus Elementen des parlamentarisch-demokratischen Systems als auch aus Elementen eines Systems direkt-demokratisch legitimierter monokratischer Leitung besteht. Wenn sich der Landesverfassungsgesetzgeber nun für ein solches (duales) System entscheidet - was im Land Salzburg mit der Erlassung des Art53 Abs2 Landes-VerfassungsG geschehen ist -, dann ist es aber aus der Sicht des Gleichheitssatzes zulässig, auch in jenen Fällen, in denen der Bürgermeister ausnahmsweise vom Gemeinderat gewählt wird, die Abberufung des Bürgermeisters einer vom Gemeinderat initiierten Bürgerabstimmung vorzubehalten. Auf dem Boden der genannten Systementscheidung und im Rahmen des solcherart zugelassenen Systems liegt es nämlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gemeindeorganisationsgesetzgebers, für diese Ausnahmsfälle dieselbe Regelung zu treffen wie für den Regelfall des mit direkt-demokratischer Legitimation ausgestatteten Bürgermeisters.

Entscheidungstexte

  • G 297,298/97
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 13.10.1998 G 297,298/97

Schlagworte

VfGH / Formerfordernisse, Gemeinderecht, Bürgermeister, Gemeinderat, Wahlen, Landesverfassung, Rechtspolitik

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G297.1997

Dokumentnummer

JFR_10018987_97G00297_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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