RS Vfgh 1998/10/15 G9/97, V143/97

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Veröffentlicht am 15.10.1998
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Index

50 Gewerberecht
50/02 Sonstiges Gewerberecht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
Bgld LadenöffnungsV §2
ÖffnungszeitenG 1991 §2, §3
ÖffnungszeitenG 1991 §6

Leitsatz

Zulässigkeit der Anfechtung der Regelung über das Offenhalten von Verkaufsstellen an Samstagen sowie der diesbezüglichen Ausnahmeregelungen sowohl im ÖffnungszeitenG als auch in einer Ladenöffnungsverordnung eines Bundeslandes; Zulässigkeit des Hauptantrags gemeinsam mit dem Eventualantrag; Zulässigkeit auch der gemeinsamen Anfechtung einer Verordnungsbestimmung mit einer Gesetzesbestimmung; keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit durch die Regelung über das Offenhalten von Verkaufsstellen an Samstagen unter Einrechnung einer Gesamtoffenhaltezeit; Wettbewerbsneutralität der geltenden Regelung; keine Verletzung des Gleichheitssatzes durch die zugelassenen Ausnahmen für Verkaufsstellen in Stadt- und Ortskernen und für Familienbetriebe im Hinblick auf die angewendeten wettbewerbsordnenden Mittel und der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der zugrundeliegenden Zielsetzung

Rechtssatz

Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung des §3 Abs1 ÖffnungszeitenG 1991 als unzulässig.

Bereits in seinem ersten Satz bezieht sich der Antrag ausdrücklich auf §2 und §6 ÖffnungszeitenG 1991 idF BGBl. I 4/1997; er enthält keinen Anhaltspunkt für einen Zweifel, daß er die Aufhebung der bezeichneten Stellen in eben dieser Fassung begehrt. Es ist auch nicht erkennbar, was eine Beschränkung der Aufhebung auf die Zeitangabe "19.30 Uhr" in §2 Abs1 und die Ziffer "66" in §2 Abs4 an ihren Auswirkungen ändern könnte (zumal die Belassung der Zeitangabe "von 6 Uhr bis" ohne Ende der Offenhaltezeit sinnlos bliebe); im übrigen könnte der Gerichtshof die Aufhebung ohnedies auf einen Teil der angegriffenen Norm beschränken.

Gegen das Offenhalten-Dürfen an Samstagnachmittagen wendet sich der Antrag nicht.

Zulässigkeit der Individualanträge von Handelsunternehmen auf Aufhebung des §2 Abs1 und Abs4, in eventu des §6 Abs5 und Abs6 ÖffnungszeitenG 1991 sowie des §2 Bgld LadenöffnungsV, LGBl. 31/1997.

Überträgt man die im Erkenntnis VfSlg. 14.805/1997 (Kommunalsteuer) angestellten Überlegungen über die Präjudizialität von Regel und Ausnahme in ihrem Zusammenhang hierher, so erweist es sich als erforderlich, die - isoliert auf die antragstellenden Gesellschaften nicht anwendbaren - Ausnahmevorschriften zusammen mit der Regel anzufechten. Dies haben allerdings die antragstellenden Gesellschaften in ihrem Eventualantrag ohnedies getan; mit diesem zusammen ist der Hauptantrag also auch insoweit zulässig. Da die in §6 Abs5 und 6 ÖffnungszeitenG vorgesehene Verordnung des Landeshauptmannes bereits erlassen wurde (vgl. die Anfechtung zu V143/97), steht der (Mit-)Anfechtung der ihr zugrundeliegenden Ermächtigung an den Landeshauptmann auch jene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 11.730/1987, 11.823/1988 und 13.318/1992) nicht entgegen, nach der eine unmittelbare Anfechtung solcher an Verwaltungsorgane gerichteten Verordnungsermächtigungen nicht zulässig ist, weil sie erst über die Erlassung der Verordnung für deren Adressaten wirksam werden.

Der Antrag auf Aufhebung des §2 Abs1 und Abs4, in eventu des §6 Abs5 und Abs6 ÖffnungszeitenG, BGBl. Nr. 50/1992, idF BGBl. I Nr. 4/1997, wird abgewiesen.

An die Stelle der Möglichkeit, einmal monatlich einen langen Samstag zusätzlich offenzuhalten, ist die Möglichkeit getreten, jeden Samstag unter Einrechnung auf die Gesamtoffenhaltezeit, also gegen ein Geschlossenhalten zu anderen Zeiten, bis 17 Uhr offenzuhalten.

Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß der Gesetzgeber durch diese Verkürzung der Gesamtoffenhaltezeit um eine Stunde wöchentlich (siehe auch VfSlg. 13318/1992) bei gleichzeitiger Erweiterung der Dispositionsmöglichkeiten der Gewerbetreibenden seinen Gestaltungsspielraum überschritten und unsachlich gehandelt oder die Erwerbsfreiheit übermäßig eingeschränkt hätte. Da nunmehr jeder Unternehmer gleicherweise zu entscheiden hat, wie er die Gesamtoffenhaltezeit von 66 Stunden am besten innerhalb der weiteren Rahmenzeit auf die Wochentage verteilt und auf welche Öffnungszeit er zugunsten anderer Möglichkeiten verzichtet, ist die Gesamtoffenhaltezeit für sich ungeachtet der Schwierigkeiten der Gewerbetreibenden, damit "das Auslangen zu finden", in ihrer Wirkung durchaus wettbewerbsneutral.

Keine Gleichheitswidrigkeit der in §6 Abs5 und Abs6 ÖffnungszeitenG 1991 idF BGBl. I Nr. 4/1997 zugelassenen Ausnahmen für Verkaufsstellen in Stadt- und Ortskernen und für Familienbetriebe.

Der Verfassungsgerichtshof geht davon aus, daß der Grund für die in Rede stehenden Ausnahmemöglichkeiten in dem Bestreben liegt, zwei notorischen Folgen des freien Spiels der Kräfte entgegenzuwirken: Der Abwanderung von Verkaufsstellen aus den Ortskernen und dem Verschwinden kleinerer Verkaufsstellen für die Nahversorgung.

Weder eine solche Zielsetzung noch das angewendete - wettbewerbsordnende - Mittel sind unter den Gesichtspunkten des Gleichheitssatzes, der Erwerbsfreiheit oder der Gewährleistung von Privatautonomie verfassungsrechtlich bedenklich. Es macht auch die Ausnahme - und damit die Regel - nicht gleichheitswidrig, wenn zwar Pflegeverhältnisse (§186 f ABGB), nicht aber Lebensgemeinschaften der Verwandtschaft, Schwägerschaft oder Ehe gleichgestellt sind, weil diese beiden Erscheinungen nach Zweck und rechtlicher Ausgestaltung unvergleichbar sind. Daß Familienangehörige zugleich Arbeitnehmer sein können, hindert den Gesetzgeber nicht, für den verfolgten Zweck auf die eben nur sie auszeichnende, gerade in Kleinbetrieben die Interessenlage auch erheblich mit bestimmende Angehörigkeit abzustellen.

Da die Förderung der Familienbetriebe nicht Selbstzweck ist, sondern im Interesse der Nahversorgung liegt, bewirkt auch die im Antrag erwogene Möglichkeit der Ausnutzung der erweiterten Öffnungszeiten durch "gesellschaftsrechtliche Konstruktionen mit Beteiligung finanzkräftiger Wirtschaftssubjekte" kein sachfremdes Ergebnis. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, das Gewicht seines rechtspolitischen Anliegens zu wägen und die Wirksamkeit seiner Maßnahmen abzuschätzen.

Kein weiteres Eingehen auf die Eventualanträge erforderlich.

Abweisung des - zulässigen - Antrags auf Aufhebung des §2 Bgld LadenöffnungsV, LGBl. Nr. 31/1997.

Überträgt man die im Erkenntnis VfSlg. 14.805/1997 (Kommunalsteuer) entwickelten Überlegungen über die Präjudizialität von Ausnahme und Regel in ihrem Zusammenhang auf den vorliegenden Sachverhalt, erweist sich der Antrag als insoweit, aber auch nur insoweit zulässig, als er die Verfassungswidrigkeit der Regel mit der durch die Verordnung wirksam gewordenen Ausnahme begründet. Wie mehrere Vorschriften eines Gesetzes unter Umständen ihres Zusammenhanges wegen gemeinsam in Anfechtung zu ziehen sind, kann auch die gemeinsame Anfechtung einer Verordnungsbestimmung mit einer Gesetzesbestimmung zulässig sein. Dabei können freilich nur jene Bedenken vorgetragen werden, die sich auf den Zusammenhang von Ausnahme und Regel beziehen oder genauer, deretwegen die maßgebliche Regel selbst verfassungswidrig würde.

Keine Verfassungswidrigkeit der bekämpften Ausnahme (siehe Ausführungen zu §6 Abs5 und Abs6 ÖffnungszeitenG 1991 im selben Erkenntnis).

Entscheidungstexte

  • G 9/97,V 143/97
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 15.10.1998 G 9/97,V 143/97

Schlagworte

VfGH / Individualantrag, VfGH / Prüfungsgegenstand, Gewerberecht, Ladenschluß, VfGH / Antrag, Eventualantrag, VfGH / Präjudizialität, Gesetz, Erwerbsausübungsfreiheit, Rechtspolitik, Verordnung, Verhältnis Ausnahmeregelung - Regel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:G9.1997

Dokumentnummer

JFR_10018985_97G00009_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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