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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art118 Abs6Leitsatz
Verletzung im Eigentumsrecht durch Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Anbringens von Zettelgedichten an allgemein zugänglichen, stark frequentierten Orten mittels Klebebändern infolge denkunmöglicher Annahme eines Mißstandes im Sinne der Wr ReinhalteV 1982; keine Bedenken gegen die Erlassung einer ortspolizeilichen Verordnung durch den Magistrat der Stadt Wien; keine Überschreitung der Schranken des ortspolizeilichen Verordnungsrechts; keine gesetzwidrige Kundmachung durch Verlautbarung im Amtsblatt der Stadt WienRechtssatz
Die Tatsache, daß der Magistrat einerseits Behörde, andererseits Hilfsapparat des Berufungssenates sowie des Gemeinderates ist (so auch VwGH 14.06.93, 92/10/0448) stößt ebensowenig auf verfassungsrechtliche Bedenken wie die (nur) mittelbare demokratische Legitimation des Magistrates.
Die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Abs1 und Abs2 des §1 der Wr ReinhalteV 1982, ABl. der Stadt Wien Nr. 21/1982, sind so auszulegen, daß sie der Abwehr von bestimmten Mißständen, die in den betreffenden Tatbeständen näher umschrieben sind, dienen. Diese dadurch bekämpften Mißstände sind auch geeignet, das örtliche Gemeinschaftsleben zu stören. Die Tatsache, daß die bekämpften Mißstände in der konkreten Gemeinde (Wien) zumindest ernstlich zu befürchten bzw. mit Sicherheit zu erwarten und damit auch hinreichend konkret - im Sinne der verfassungsgesetzlichen Ermächtigung der Gemeinden zur Erlassung ortspolizeilicher Verordnungen - sind (vgl. zB VfSlg. 6556/1971, 6926/1972), geht aus der Äußerung des Magistrates sowie aus den beigeschafften Verwaltungs- bzw. Verordnungsakten hervor, wonach der verordnungserlassenden Behörde konkrete Beschwerden über derartige bestehende Übelstände vorlagen. Die in Rede stehende Regelung scheint auch kein untaugliches Mittel zur Abwehr der von ihr bekämpften Mißstände zu sein.
Aus dem Wortlaut und insbesondere der Systematik der Wr Stadtverfassung ist zu schließen, daß §108 Abs2 keineswegs die Kundmachung ortspolizeilicher Verordnungen im Wiener Landesgesetzblatt verlangt. Vielmehr geht diese Bestimmung von einem eigenen Publikationsorgan der Stadt Wien als Gemeinde aus. Der unterschiedliche Regelungszusammenhang von §108 Abs3 Wr Stadtverfassung als Teil des Hauptstückes "Wien als Gemeinde" und §116 Abs3 als Teil des Kapitels "Wien als Land" verbietet den Schluß, das Wiener Landesgesetzblatt sei das für den gesamten Regelungsbereich der Wiener Stadtverfassung einzig zulässige Publikationsorgan (vgl. auch VfSlg. 3175/1957 und VfSlg. 9704/1983).
Die Tatbestände der Wr ReinhalteV 1982 sind im Hinblick auf deren Charakter als ortspolizeiliche Verordnung verfassungskonform dahingehend auszulegen, daß sie ausschließlich der Mißstandsbekämpfung dienen.
Das Verhalten des Beschwerdeführers in der beschriebenen Art (einseitig klebendes, nur an den Rändern festgemachtes Klebeband) erreicht aber nicht die Qualität eines Mißstandes im Sinne des §1 Abs1 und Abs2 der Wr ReinhalteV 1982.
Eine Auslegung des §1 Abs1 und Abs2 der Wr ReinhalteV 1982, die jede Form von "Bekleben" strafbar machen würde, ohne auf die Abwehr eines Mißstandes abzustellen, verbietet sich aus verfassungsrechtlicher Sicht.
Schlagworte
Gemeinderecht, Verordnung ortspolizeiliche, Bundeshauptstadt Wien, Magistrat, Verordnung, Kundmachung, Auslegung verfassungskonformeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B339.1997Dokumentnummer
JFR_10018789_97B00339_2_01