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82 GesundheitsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Einstellung des Gesetzesprüfungsverfahrens betreffend eine Bestimmung des GehaltskassenG über die Vorrückung von Apotheker/innen in die nächste Gehaltsstufe mangels Präjudizialität infolge offenkundigen Widerspruchs der Regelung zum Gemeinschaftsrecht; Verstoß der unterschiedlichen Behandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten bei der Berücksichtigung von Vordienstzeiten gegen den Grundsatz "pro rata temporis" nach der Rechtsprechung des EuGHRechtssatz
Einstellung des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §12 Abs6 des Bundesgesetzes über die Pharmazeutische Gehaltskasse für Österreich, BGBl 254/1959 idF BGBl 104/1985, (GehaltskassenG) mangels Präjudizialität.
Stellt sich erst im Gesetzesprüfungsverfahren - etwa aufgrund von Urteilen des EuGH, die nach dem Prüfungsbeschluß verkündet werden - heraus, daß die von der belangten Behörde angewendete Norm offenkundig dem Gemeinschaftsrecht widerspricht, so ist diese Norm im Anlaßbeschwerdeverfahren vom Verfassungsgerichtshof nicht (mehr) anzuwenden, weil auch der Verfassungsgerichtshof den Anwendungsvorrang unmittelbar anwendbaren Gemeinschaftsrechts im Falle der Offenkundigkeit zu beachten hat. Es fehlt daher im Gesetzesprüfungsverfahren am Erfordernis der Präjudizialität im Sinne des Art140 Abs1 B-VG.
§12 Abs6 GehaltskassenG widerspricht offenkundig Art119 EG-Vertrag (Gleiches Entgelt für Männer und Frauen).
Auch Bestimmungen, die zwar nicht das Entgelt regeln, sondern sich nur auf die Höhe des Entgeltes auswirken, dürfen nicht diskriminierend sein.
Das Gemeinschaftsrecht steht der Anwendung nationaler Maßnahmen, die zwar neutral formuliert sind, tatsächlich aber prozentual viel mehr Frauen als Männer benachteiligen, entgegen, es sei denn, daß diese Maßnahmen durch objektive Kriterien gerechtfertigt sind, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes zu tun haben ("mittelbare Diskriminierung").
Im Urteil des EuGH vom 15.12.1994, Rs. C-399/92, Helmig, Slg. 1994, I-5727, wird der Grundsatz "pro rata temporis" umschrieben, wonach das Entgelt Teilzeitbeschäftigter pro Zeiteinheit jener von Vollzeitbeschäftigten entsprechen muß. Daß bei der Einordnung in ein Gehaltsschema die bisher geleisteten Arbeitsstunden zu addieren seien, ist dem genannten Urteil des EuGH nicht zu entnehmen.
Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten bei der Berücksichtigung von Vordienstzeiten führt im Ergebnis zur Entgeltschmälerung und damit zur Verletzung des "pro rata temporis Grundsatzes", wie dies im Urteil des EuGH vom 17.6.1998, RS. C-243/95, Hill/Stapleton, Slg. 1998, I-3739, ausgeführt ist.
Die geringere Erfahrung und Effizienz von Teilzeitbeschäfigten ist für sich kein Kriterium für eine unterproportionale Entlohnung.
Wie aus dem Urteil des EuGH vom 17.6.1998, Rs. C-243/95, Hill/Stapleton, Slg. 1998, I-3739, hervorgeht, wäre eine unterschiedliche Behandlung des Gehaltes von Teilzeitbeschäftigten nur zu rechtfertigen, wenn die unterschiedlichen Erfahrungen auch zur Erfüllung nach Qualität und Quantität unterschiedlicher Aufgaben führen. Daß dies nicht der Fall ist, zeigt auch §3 des Apothekengesetzes, wonach selbst teilzeitbeschäftigte Fachkräfte nach ihrer Ausbildung die Berechtigung zum selbständigen Betrieb einer Apotheke erlangen können. Zumindest jene teilzeitbeschäftigten pharmazeutischen Fachkräfte, die die Ausbildungszeit hinter sich gebracht haben, verrichten also selbst nach den Vorstellungen des Gesetzgebers dieselben Aufgaben wie Vollzeitbeschäftigte.
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Apotheken, Gehaltskasse pharmazeutische, EU-Recht, geschlechtsspezifische Differenzierungen, Gleichheit Frau-MannEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:G57.1998Dokumentnummer
JFR_10018789_98G00057_01