RS Vfgh 1999/3/2 B3103/97 - B550/98

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 02.03.1999
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Index

10 Verfassungsrecht
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art83 Abs2
B-VG Art129a, Art129b
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
PersFrSchG 1988 Art6

Leitsatz

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch einen Bescheid des UVS betreffend Festnahme, Anhaltung, Anlegen von Handfesseln und Hausdurchsuchung; verfassungswidrige Behördenbesetzung aufgrund Entscheidung durch einen karenzierten Beamten der Bundespolizeidirektion; keine Entscheidung durch "unabhängige Behörde" aufgrund des "äußeren Anscheins der Parteilichkeit"

Rechtssatz

Da das im vorliegenden Fall zur Entscheidung berufene Mitglied des UVS (karenzierter Beamter der Bundespolizeidirektion) nicht allen Anforderungen entsprochen hat, die sich aus dem Begriff der "unabhängigen Behörde" im Sinne des Art6 PersFrSchG 1988 ergeben, verletzt der bekämpfte Bescheid den Beschwerdeführer, insoweit die Beschwerde gegen die Festnahme und Anhaltung des Beschwerdeführers als unzulässig bzw. gegen die allfällige Nichteinhaltung gesetzlicher Vorschriften bei Anlegung der Handfesseln und sonstige behauptete Exzesse bei der Festnahme als verspätet zurückgewiesen wird, in seinem - wie im folgenden näher dargetan - verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (siehe E v 02.10.97, B2434/95).

Dabei kommt dem Umstand, daß die belangte Behörde im hier zu entscheidenden Fall keine Sachentscheidung zu fällen hatte, sondern die Beschwerde zurückwies, im Ergebnis keine entscheidende Bedeutung zu, weil die näher bezeichneten Anforderungen auch für solche Entscheidungen gelten. Auch das weitwendige Vorbringen der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift, daß das entscheidende Organ keinesfalls befangen gewesen sei und eine Entscheidungsstatistik kein von anderen Mitgliedern der belangten Behörde abweichendes Entscheidungsverhalten zeige, vermag daran nichts zu ändern; denn es kommt nicht auf eine allfällige tatsächliche Befangenheit an, sondern allein auf den "äußeren Anschein der Parteilichkeit".

Die Art129a f. B-VG gehen davon aus (siehe Gesetzesmaterialien sowie die zitierte Literatur), daß der UVS in allen ihm durch einfaches oder Verfassungsgesetz zur Entscheidung zugewiesenen Angelegenheiten als "Tribunal" im Sinne des Art6 EMRK bzw. im Sinne des Art6 PersFrSchG 1988 zu entscheiden hat, mag auch die im Einzelfall zu beurteilende Sache nicht zu den von Art5 und 6 EMRK bzw. Art6 PersFrSchG 1988 erfaßten Angelegenheiten zählen. Dies gilt nicht zuletzt auch für Beschwerden über nicht in Beschränkungen der persönlichen Freiheit bestehenden Akten unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wie sie etwa Hausdurchsuchungen regelmäßig darstellen.

Im Hinblick darauf, daß die Grundrechtsverletzung darin zu erblicken ist, daß hier die von der Bundesverfassung an das entscheidungsbefugte Organ gestellten Anforderungen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit - wegen eines möglichen Anscheines von Befangenheit - nicht erfüllt werden, es sich also insoferne um eine verfassungswidrige Besetzung handelt, wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

(siehe auch E v 07.06.99, B550/98 - teilweise Aufhebung unter Verweis auf B3103/97, teilweise Ablehnung der Behandlung der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsstrafrecht, Festnehmung, Befangenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B3103.1997

Dokumentnummer

JFR_10009698_97B03103_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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