TE Vfgh Erkenntnis 2005/3/16 B1451/03

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Veröffentlicht am 16.03.2005
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Index

12 Internationale Angelegenheiten
12/03 Entsendung ins Ausland

Norm

EMRK Art4 Abs2
BDG 1979 §43, §44
BVG über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland, BGBl I 38/1997. - KSE-BVG §4 Abs2

Leitsatz

Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß dem Bundesverfassungsgesetz über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland durch Entsendung des Beschwerdeführers zum österreichischen Kontingent der Kosovo-Force - KFOR ohne freiwillige Meldung; technische Vorbereitungsarbeiten durch Zivilpersonen auch vom Geltungsbereich dieses Gesetzes umfasst

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß §4 Abs2 erster Satz KSE-BVG verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Landesverteidigung) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit EUR 2.142,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Der Beschwerdeführer steht - als "Referent Energie und Elektrotechnik" im Amt für Rüstung und Wehrtechnik im Ressortbereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung - in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

1.2. Mit Dienstauftrag des Bundesministers für Landesverteidigung vom 22. August 2003 wurde der Beschwerdeführer angewiesen, in der Zeit vom 25. September bis 7. Oktober 2003 im Kosovo (Zielflughafen Pristina) die "Endabnahme der bei AUCON/KFOR [in dessen Stützpunkt ('Camp Casablanca')] eingebauten Schaltanlagencontainer mit Betriebsoptimierungssystem" durchzuführen.

1.3. AUCON/KFOR ist das österreichische Infanteriekontingent, das - ursprünglich - mit Beschluss der Bundesregierung vom 25. Juni 1999 sowie mit Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates vom 1. Juli 1999 zur solidarischen Teilnahme an der - auf der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates des Vereinten Nationen (UN) vom 10. Juni 1999 beruhenden - internationalen Sicherheitspräsenz im Kosovo [Kosovo-Force (KFOR)] als eine "Maßnahme der Friedenssicherung" iSd.

§1 Z1 lita des Bundesverfassungsgesetzes über Kooperation und Solidarität bei der Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland, BGBl. I 1997/38, idF BGBl. I 1998/30 und 35, (KSE-BVG) in den Kosovo entsandt wurde. Diese Entsendung wurde in der Folge mehrfach, zuletzt mit Beschluss der Bundesregierung vom 9. November 2004 bis 31. Dezember 2005 - jeweils mit Zustimmung des Hauptausschusses des Nationalrates - verlängert. Im vorliegenden Zusammenhang ist der Beschluss der Bundesregierung vom 15. Oktober 2002 von Bedeutung, die Entsendung des Infanteriekontingentes in der Stärke von bis zu 560 Personen bis 31. Oktober 2003 fortzusetzen.

Der KFOR kommen nach Z9 der UN-Resolution 1244 (1999) unter anderem die folgenden Aufgaben zu:

"a) Abschreckung von der Wiederaufnahme der Feindseligkeiten, Aufrechterhaltung und nötigenfalls Durchsetzung einer Waffenruhe, Gewährleistung des Abzugs der militärischen, polizeilichen und paramilitärischen Bundes- und Republikkräfte aus dem Kosovo sowie Verhinderung ihrer Rückkehr, außer soweit in Anlage 2 Punkt 6 vorgesehen;

b) Demilitarisierung der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) und anderer bewaffneter kosovo-albanischer Gruppen, wie in Ziffer 15 verlangt wird;

c) Schaffung eines sicheren Umfeldes, in dem Flüchtlinge und Vertriebene sicher in ihre Heimat zurückkehren können, die internationale zivile Präsenz arbeiten kann, eine Übergangsverwaltung eingerichtet und humanitäre Hilfe geleistet werden kann;

d) Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, bis die internationale zivile Präsenz die Verantwortung für diese Aufgabe übernehmen kann;

e) Überwachung der Minenräumung, bis die internationale zivile Präsenz gegebenenfalls die Verantwortung für diese Aufgabe übernehmen kann;

f) gegebenenfalls Unterstützung und enge Abstimmung mit der Arbeit der internationalen zivilen Präsenz;

g) erforderlichenfalls Wahrnehmung von Grenzüberwachungsaufgaben;

h) Gewährleistung des Schutzes und der Bewegungsfreiheit ihrer selbst sowie der internationalen zivilen Präsenz und der anderen internationalen Organisationen".

1.4. Auf Grund des vom Beschwerdeführer gestellten Antrages vom 25. August 2003, den oben genannten Dienstreiseauftrag bescheidmäßig festzulegen, stellte der Bundesminister für Landesverteidigung mit Bescheid vom 16. September 2003 fest,

"dass gemäß §44 Abs1 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG) ... die Befolgung der Weisung vom 22. August 2003 ..., eine Dienstreise vom 25. September bis 7. Oktober 2003 in den Kosovo zum Zwecke der Durchführung der Endabnahme von Schaltanlagencontainern anzutreten, zu [den] Dienstpflichten [des Beschwerdeführers] gehört."

Begründend wird dazu - im Wesentlichen - ausgeführt, dass die Durchführung der Endabnahme der bei AUCON/KFOR eingebauten Schaltanlagencontainer mit Betriebsoptimierungssystem im Kosovo in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem einem österreichischen Kontingent im jeweiligen Einsatzraum zugewiesenen Auftrag stehe und daher nicht unter die Maßnahmen des §1 KSE-BVG subsumiert werden könne. Die in Rede stehende Auslandsdienstreise sei daher im Rahmen eines Dienstreiseauftrages anzuordnen, wobei die Reisegebührenvorschrift 1955 anzuwenden sei. Der Dienstreiseauftrag sei auch weder von einem unzuständigen Organ erteilt worden, noch verstoße er gegen strafgesetzliche Vorschriften.

2. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes "darauf, dass Personen, welche nicht Angehörige des Bundesheeres oder [eines] Bundeswachkörpers sind, für Zwecke gemäß §1 [KSE-BVG] nur entsendet werden können, wenn sie sich zur Teilnahme verpflichtet haben", sowie der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Schutz vor Zwangs- und Pflichtarbeit behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Zur Begründung bringt der Beschwerdeführer - auf das Wesentliche zusammengefasst - vor, er sei auf Grund des ihm erteilten Dienstreiseauftrages vom 22. August 2003 direkt und unmittelbar am logistischen Aufbau des KFOR-Camps Casablanca beteiligt gewesen und habe insofern an einer Maßnahme zur Friedenssicherung bzw. an einer Maßnahme der humanitären Hilfe und Katastrophenhilfe iSd. §1 Z1 lita und b KSE-BVG teilgenommen. Bei den Schaltanlagencontainern handle es sich offensichtlich um ein Sachmittel für den Einsatz und dessen ordnungsgemäße Betreuung. Alles, das dazu diene, diese Container durch am Einsatzort ausgeführte Handlungen in einem adäquaten, einsatzfähigen Zustand zu erhalten, gehöre sohin zum Einsatz.

Zu Folge §4 Abs1 KSE-BVG dürften jedoch Bundesbeamte, sofern sie nicht Angehörige des Bundesheeres oder eines Wachkörpers des Bundes sind, für derartige Zwecke nur dann in das Ausland entsendet werden, wenn sie sich zur Teilnahme verpflichtet haben. Daraus ergebe sich ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht darauf, "dass Personen ... für Zwecke gemäß §1 [KSE-BVG] nur entsendet werden dürfen, wenn sie sich zur Teilnahme verpflichtet haben." Da er sich niemals zur "Teilnahme an derartigen Aktionen verpflichtet" habe, sei er durch den angefochtenen Bescheid in diesem verfassungsgesetzlichen Recht verletzt.

Auch im Lichte des Gleichheitssatzes sowie des Verbotes der Zwangs- und Pflichtarbeit (Art4 Abs2 EMRK) könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass zwar Bundesbeamte auch ohne ihre freiwillige Meldung entsendet werden können, nicht jedoch Angehörige des Bundesheeres, die von vornherein eine gefahrengeneigtere Tätigkeit auszuüben haben.

Schließlich seien der belangten Behörde - hinsichtlich des Ermittlungsverfahrens und der Bescheidbegründung - "krasseste Verfahrensmängel" vorzuwerfen.

3. Der Bundesminister für Landesverteidigung legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die Abweisung der Beschwerde begehrt wird. Dazu bringt der Bundesminister für Landesverteidigung - im Wesentlichen - das Folgende vor:

Bei der rechtlichen Beurteilung, ob eine Auslandsverwendung als Entsendung iSd. KSE-BVG durchzuführen sei oder als eine andere dienstrechtliche Maßnahme, so etwa als eine Auslandsdienstreise, erfolgen könne, sei auf den Zweck der Auslandsverwendung sowie auf die jeweiligen konkreten Aufgaben und Tätigkeiten abzustellen. Der in Rede stehende Einsatz des österreichischen Infanteriekontingentes AUCON/KFOR sei ohne Zweifel eine solidarische Teilnahme an Maßnahmen der Friedenssicherung iSd. §1 Z1 lita KSE-BVG; dies gehe insbesondere aus den in der UN-Resolution 1244 (1999) näher konkretisierten Aufgaben der KFOR-Sicherheitstruppe hervor.

Der Beschwerdeführer habe jedoch - wie er selbst nicht in Abrede stelle - diesem Infanteriekontingent während der in Rede stehenden Zeit seiner Auslandsverwendung weder organisatorisch angehört, noch sei er sonst in irgendeiner Weise dem Vorgesetzten der entsendeten Einheit nach §4 Abs6 KSE-BVG dienstrechtlich unterstellt gewesen.

Aber auch im Hinblick auf seine konkreten Aufgaben und Tätigkeiten im Kosovo sei auszuschließen, dass eine Entsendung des Beschwerdeführers nach dem KSE-BVG erforderlich gewesen sei. Die Aufgabe des Beschwerdeführers habe in der technischen Endabnahme der im AUCON/KFOR-Camp Casablanca in Suva Reka im Kosovo eingebauten Schaltanlagencontainer mit Betriebsoptimierungssystem bestanden. Diese Tätigkeiten seien ausschließlich technischer und logistischer Natur, die der Beschwerdeführer auf Grund seiner Arbeitsplatzbeschreibung - zu den Hauptaufgaben des Beschwerdeführers zählten insbesondere die eigenverantwortliche Abwicklung und Betreuung von Großprojekten und militärischen Sonderanlagen und die Wahrnehmung der technischen Belange im Fachbereich - auch im Inland durchzuführen habe. Allein der Umstand, dass diese Tätigkeiten nicht im Inland, sondern im Camp Casablanca durchgeführt wurden, mache sie jedoch noch nicht zu einer Maßnahme der Friedenssicherung iSd. §1 Z1 lita KSE-BVG. Ebenso seien die Funktion der Schaltanlagencontainer - die Verbesserung der Energieversorgung des Camps - und das durch die örtlichen Umstände möglicherweise vorhandene Gefahrenpotential für die Beurteilung dieser Frage nicht von entscheidender Bedeutung.

Aus den dargelegten Erwägungen folge, dass das KSE-BVG im konkreten Fall nicht anzuwenden gewesen sei. Ein Eingehen auf die Ausführungen des Beschwerdeführers zu §4 KSE-BVG (iVm. Art7 B-VG und Art4 Abs2 EMRK) erübrige sich somit. Aus der Arbeitsplatzbeschreibung des Beschwerdeführers ergebe sich hingegen zweifelsfrei, dass die mit dem in Rede stehenden Dienstauftrag angeordneten Tätigkeiten zu seinen dienstlichen Aufgaben iSd. §43 Abs1 BDG 1979 zählten. Der Beschwerdeführer habe daher die vom Bundesminister für Landesverteidigung als zuständigem Organ erteilte Weisung befolgen müssen. Schließlich lägen auch die vom Beschwerdeführer behaupteten Verfahrensmängel nicht vor.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

Der Verfassungsgerichtshof hatte sich schon aus Anlass einer Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesministers für Landesverteidigung desselben Inhalts wie im vorliegenden Fall mit gleichlautend begründeten Rechtsverletzungsbehauptungen zu befassen. Er gelangte in seinem der nunmehrigen Entscheidung beiliegenden Erkenntnis vom 16. März 2005, B1450/03, zum Ergebnis, dass der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß §4 Abs2 erster Satz KSE-BVG verletzt wurde. Dasselbe gilt auch im vorliegenden Fall; auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes wird hiermit verwiesen.

Der angefochtene Bescheid war deshalb aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden musste.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Der zugesprochene Betrag enthält Umsatzsteuer in Höhe von EUR 327,-- sowie den Ersatz der zu entrichtenden Eingabengebühr (§17a VfGG) in Höhe von EUR 180,--.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Dienstrecht, Dienstpflichten, Rechte subjektive öffentliche, Bundesheer, Wehrrecht, Zwangsarbeit, Rechte verfassungsgesetzlich gewährleistete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B1451.2003

Dokumentnummer

JFT_09949684_03B01451_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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