RS Vfgh 1999/3/10 G64/98, G65/98

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Veröffentlicht am 10.03.1999
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Index

L9 Sozial- und Gesundheitsrecht
L9440 Krankenanstalt, Spital

Norm

StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
KAG §3 Abs2 lita
Oö KAG §3a Abs2
EG-Vertrag Art59

Leitsatz

Keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit durch krankenanstaltenrechtliche Regelungen über die Bedarfsprüfung bei erwerbswirtschaftlich geführten Ambulatorien aufgrund des öffentlichen Interesses an einer funktionierenden und flächendeckenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung; verfassungskonforme Beschränkung der Erwerbsfreiheit durch die Systementscheidung für ein Sachleistungssystem in der gesetzlichen Krankenversicherung und für die Leistungserbringung vorrangig durch niedergelassene Kassenärzte; Interpretation der hier vorgesehenen Bedarfsprüfung als bloßer Existenzschutz durch die Höchstgerichte

Rechtssatz

Der Beschwerdeführer des Anlaßverfahrens nimmt mit der beabsichtigten Errichtung eines Ambulatoriums in Österreich keine der Grundfreiheiten des EG-Vertrages (auch nicht dessen Art59) in Anspruch; auch im übrigen kommt bei der gegebenen Sachlage Gemeinschaftsrecht schon mangels jeglichen zwischenstaatlichen Bezuges der erwähnten innerstaatlichen Vorschriften nicht zum Tragen, was aber die Grundvoraussetzung für einen denkbaren Anwendungsvorrang von Gemeinschaftsrecht wäre (vgl VwGH 20.01.98, 96/11/0103, S 5; siehe auch EuGH vom 28.04.98, C-158/96, Slg 1998, I-1931, Rs Kohll betr das Allgemeininteresse an der Finanzierung des Systems der sozialen Sicherheit).

Der medizinischen Versorgung der Bevölkerung durch gemeinnützige Einrichtungen kommt vorrangige Bedeutung zu. Gemeinnützige Einrichtungen sind vor allem solche, die durch öffentliche Mittel (mit-)finanziert werden und die ein wesentlicher Teil des der Volksgesundheit dienenden Systems der medizinischen Versorgung der Bevölkerung sind. Die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz dieser Einrichtungen (sei es etwa von Krankenanstalten für primär stationären Aufenthalt, sei es etwa von Krankenanstalten in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums) liegt daher im öffentlichen Interesse, sodaß eine dem Konkurrenzschutz dienende Bedarfsprüfung vor dem die Erwerbsfreiheit verfassungsgesetzlich garantierenden Art6 StGG Bestand haben kann, sofern sie nicht - im Sinne der Rechtsprechung - unverhältnismäßig ist.

Keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit durch die Wortfolge "bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen," im §3a Abs2 Oö KAG 1976, LGBl 10 idF LGBl 61/1994 (nunmehr: §5 Abs2 Oö KAG 1997, LGBl 132) und die Wortfolge "bei Errichtung einer Krankenanstalt in der Betriebsform eines selbständigen Ambulatoriums auch im Hinblick auf das Versorgungsangebot durch niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen," im §3 Abs2 lita KAG, BGBl 1/1957 idF BGBl 801/1993.

Das sozialversicherungsrechtliche Leistungssystem orientiert sich in erster Linie am Sachleistungs- und nicht am Kostenerstattungsprinzip.

Die in Prüfung gezogenen krankenanstaltenrechtlichen Regelungen über die Bedarfsprüfung bei erwerbswirtschaftlich geführten Ambulatorien sind in erster Linie als weitere Ergänzung dieses vom Gesetzgeber vorgezeichneten Systems der gesetzlichen Krankenversicherung zu sehen, welches die Leistungserbringung vorrangig durch niedergelassene Kassenärzte und nicht durch ein institutionelles System mit überwiegend in Dienstverhältnissen beschäftigten Ärzten gesichert sehen will.

Das vom Gesetzgeber gewählte System erfordert in verschiedenen Bereichen Regelungen, die aufeinander abgestimmt sein müssen, und Änderungen auf Teilgebieten können negative Auswirkungen für das Gesamtsystem haben.

Soweit die Erbringung ärztlicher Leistungen sowohl durch Ambulatorien, als auch durch niedergelassene Ärzte erfolgt (bzw der Sache nach erfolgen kann) ist die Prüfung, ob der bestehende Bedarf bereits durch öffentliche, private gemeinnützige und sonstige "Krankenanstalten" (hier sc in der Rechtsform von Ambulatorien) einerseits, oder niedergelassene Kassenvertragsärzte, kasseneigene Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Kassen andererseits gedeckt ist, nicht nur zur Erreichung der vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 13023/1992 gebilligten gesetzgeberischen Zielsetzungen geeignet, sondern auch erforderlich, um jene nachteiligen Auswirkungen hintanzuhalten, welche bei einer Ausweitung des Angebotes der Ambulatorien in erster Linie für die wirtschaftliche Situation niedergelassener Ärzte und - je nach dem Ausmaß, in dem letztere von Ambulatorien aus dem Markt gedrängt würden - in weiterer Folge auch für eine flächendeckende, leicht zugängliche ärztliche Versorgung der sozialversicherten Personen (und damit praktisch der nahezu gesamten Bevölkerung) entstehen würden.

Keine Wettbewerbsverzerrung bei typischerweise in Ambulatorien erbrachten Leistungen.

Bis zur vollständigen Bedarfsdeckung durch die im System der gesetzlichen Krankenversicherung tätigen Personen und Institutionen wird die Errichtung von privatwirtschaftlich geführten Ambulatorien nicht ausgeschlossen.

Zur Auslegung der Bedarfsprüfung als bloßen Existenzschutz siehe die im Erkenntnis zitierte Rechtsprechung des VwGH.

Entscheidungstexte

  • G 64,65/98
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 10.03.1999 G 64,65/98

Schlagworte

EU-Recht, Krankenanstalten, Erwerbsausübungsfreiheit, Sozialversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:G64.1998

Dokumentnummer

JFR_10009690_98G00064_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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