RS Vfgh 1999/6/8 B2966/97

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 08.06.1999
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

StGG Art5
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art6 Abs3 litd
DSt 1990 §36

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren und im Eigentumsrecht infolge bloßer Verlesung einer Zeugenaussage in der mündlichen Verhandlung eines Disziplinarverfahrens über einen Rechtsanwalt; Eingriff in das Fragerecht des Beschuldigten mangels Vorliegen eines besonderen Grundes für ein Abstandnehmen von der persönlichen Einvernahme der Zeugin; Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens

Rechtssatz

Die Einvernahme der Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarrat scheiterte deswegen, weil der Behörde die richtige Abgabestelle der Zeugin nicht bekannt war. Die Behörde erachtete die Anberaumung einer weiteren Verhandlung zur Einvernahme der Zeugin für die Wahrheitsfindung wegen Spruchreife nicht mehr als notwendig. Aus diesem Grund unternahm sie - im Gegensatz zu dem, dem Fall Artner gegen Österreich (EGMR 28.8.1992, ÖJZ 1992, 846 ff) zugrundeliegenden Sachverhalt nicht alles, um den Aufenthaltsort der Zeugin ausfindig zu machen.

Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, daß das Verfahren insgesamt dem Art6 Abs3 litd EMRK entsprach, wenn der Disziplinarrat die im Zivilverfahren gemachte Aussage der Zeugin A R in der mündlichen Verhandlung verlas, und dem Beschwerdeführer trotz dessen Antragstellung die Möglichkeit nahm, die Aussage der A R wirksam in Frage zu stellen.

Das Beweisverfahren nach §36 DSt 1990 setzt grundsätzlich eine kontradiktorische Beweisaufnahme, verbunden mit dem Recht des Beschuldigten, an Zeugen und Sachverständige Fragen zu stellen, voraus. Dies insbesondere dann, wenn dargelegt wird, daß die persönliche Vernehmung der Zeugin geeignet sei, die Beweiskraft ihrer in einem anderen Verfahren getätigten Aussage und der übrigen von der Behörde herangezogenen Beweismittel zur entscheidenden, hier maßgeblichen Frage des Verzichts auf ein Veräußerungs- und Belastungsverbot zu erschüttern. Die Behörde hat daher, weil sie ohne zureichenden Grund keine weiteren Bemühungen zur Ausforschung der Zeugin gesetzt und die Zeugin nicht mehr persönlich einvernommen hat, gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens verstoßen und - damit einhergehend - die Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers grob verletzt; sie hat sohin die in §36 DSt 1990 normierten Verfahrensvorschriften im konkreten Fall denkunmöglich angewendet.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B2966.1997

Dokumentnummer

JFR_10009392_97B02966_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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