RS Vfgh 1999/6/10 B1809/97, B1810/97, B1811/97 - B552/98 ua, B490/00

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 10.06.1999
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art83 Abs2
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- u Bauaufträge
Wr LandesvergabeG §99 Abs1
Wr LandesvergabeG §101
EG-Vertrag Art234 (früher Art177)

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal durch Entscheidungen des Vergabekontrollsenates (VKS) angesichts der Verquickung der Agenden des VKS mit Agenden der Vergabe von Aufträgen durch die Stadt Wien; Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung von Anträgen auf Widerruf einer Ausschreibung wegen Unzuständigkeit des VKS mangels Vorlage der Frage der Interpretation einer Bestimmung der allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie zur Vorabentscheidung an den EuGH

Rechtssatz

Im Hinblick auf den äußeren Anschein konnten angesichts der organisatorischen Stellung des VKS Zweifel an der vollständigen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieses Kontrollorgans entstehen. Dafür ist insbesondere die Zuordnung des VKS zur Stadtbaudirektion, die ihrerseits in großem Ausmaß mit der Vergabe von Aufträgen durch die Stadt Wien befaßt ist, und die gemeinsame Führung der Geschäfte des VKS mit der Führung des - in allen Vergabeverfahren der Stadt heranzuziehenden - Auftragnehmerkatasters der Stadt Wien von Bedeutung.

Die Geschäftsstelle des VKS war eine Gliederung der Stadtbaudirektion, und der Leiter der Geschäftsstelle des VKS, der in den Verfahren, die zur Erlassung der bekämpften Bescheide geführt haben, als Geschäftsstellenleiter an der Beratung des VKS teilgenommen hat, war auch mit der Führung des Auftragnehmerkatasters der Stadt Wien betraut.

Da die Fragen, über die der VKS in den vorliegenden Fällen entschieden hat, "civil rights" jener Bieter betreffen, die am Vergabeverfahren teilgenommen haben, ist dieser Mangel verfassungsrechtlich relevant. Dieser Verfassungsverstoß ist nicht dem Wr LandesvergabeG zur Last zu legen.

(siehe hiezu auch E v 13.06.00, B552/98 ua).

Der VKS ist als vorlagepflichtiges Gericht iSd Art234 Abs3 (früher: Art177 Abs3) EG-Vertrag zu qualifizieren, und zwar ungeachtet des Umstandes, daß er den strengen Anforderungen, die nach Art6 EMRK an ein Tribunal im Sinne dieser Vorschrift zu stellen sind, bei Erlassung der angefochtenen Bescheide nicht entsprochen hat.

Die Frage, ob die Entscheidung über die Aufhebung einer Ausschreibung, also der Widerruf der Ausschreibung, eine Entscheidung ist, von der Art2 Abs1 litb der allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie, 89/665/EWG, verlangt, daß sie im Falle ihrer Rechtswidrigkeit aufgehoben werden kann, ist für die Anwendung der Vorschriften über die Zuständigkeit des VKS von Bedeutung. Denn wäre die gestellte Frage zu bejahen, könnte eine den Anwendungsvorrang der maßgeblichen gemeinschaftsrechtlichen Regelung wahrende oder eine gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation (vgl dazu VfSlg 14391/1995) der Zuständigkeitsregelungen des Wr LandesvergabeG, insbesondere der Z1 des §99 Abs1 dieses Gesetzes, die Annahme der Zuständigkeit des VKS auch zur Überprüfung der Entscheidung über den Widerruf der Ausschreibung tragen. Dies im Lichte der Entscheidung des EuGH, Slg 1997, I-4961 (Dorsch-Consult).

Da die Frage bisher vom EuGH auch noch nicht entschieden ist, wäre der VKS verpflichtet gewesen, sie dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.

(siehe hiezu auch E v 13.12.00, B490/00).

Entscheidungstexte

  • B 1809-1811/97
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 10.06.1999 B 1809-1811/97
  • B 552/98 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 13.06.2000 B 552/98 ua
  • B 490/00
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 13.12.2000 B 490/00

Schlagworte

Vergabewesen, Behördenzuständigkeit, EU-Recht, EU-Recht Richtlinie

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B1809.1997

Dokumentnummer

JFR_10009390_97B01809_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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