Index
10 VerfassungsrechtNorm
VfGG §85 Abs2 / AllgSpruch
Den in den Beschwerdesachen 1. der Ärztekammer für Niederösterreich, ..., vertreten durch die S Rechtsanwälte OEG, ..., und 2. der Wirtschaftskammer Niederösterreich vertreten durch Dr. C K, Rechtsanwalt in ..., gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 6. April 2005, GZ ..., gestellten Anträgen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird gemäß §85 Abs2 und 4 VfGG für einen Zeitraum bis einschließlich 30. Juni 2005 F o l g e gegeben.
Im Übrigen wird die Entscheidung über die Anträge vorbehalten.
Begründung
Begründung:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat der Beschwerde auf Antrag des Beschwerdeführers mit Beschluss aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist auf Antrag des Beschwerdeführers, der Behörde (§83 Abs1 VfGG) oder eines etwa sonst Beteiligten neu zu entscheiden.
Ein Nachteil ist dann unverhältnismäßig, wenn bei einem mittlerweiligen Vollzug des angefochtenen Bescheides (im Sinne einer auf welche Weise immer stattfindenden Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit) durch die dadurch bewirkte Lage der Tatsachen der beschwerdeführenden Partei ein Nachteil droht, der auch nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides im Hauptverfahren nicht wieder gutzumachen und daher geeignet ist, den vom Verfassungsgerichtshof zu gewährenden Rechtsschutz zu beeinträchtigen (vgl. dazu VfSlg. 15.259/1998, mwN).
2. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der beteiligten Partei die Bewilligung zur Errichtung eines selbständigen Ambulatoriums für Physikalische Medizin erteilt. Das Bestehen eines Bedarfs iS des §8 Abs1 lita NÖ KAG wurde von der belangten Behörde ungeachtet des Vorhandenseins eines in unmittelbarer Nähe befindlichen gleichartigen Ambulatoriums bejaht. Dies mit der Begründung, dass einerseits dieses Ambulatorium über keinen Vertrag mit der NÖ Gebietskrankenkasse mehr verfüge, daher nicht als "Kassenvertragseinrichtung" anzusehen sei und daher " der relevante Behandlungsbedarf insbesondere der Versicherten der NÖ Gebietskrankenkasse nicht ausreichend befriedigt werden" könne (Bescheid Seite 11 und 12).
3. Die beschwerdeführenden Parteien werfen der belangten Behörde vor, durch gehäufte Verkennung der Rechtslage bei der Beurteilung des Bedarfs, insbesondere durch Nichtberücksichtigung des bestehenden Ambulatoriums Willkür geübt zu haben, da dieses Ambulatorium zwar nicht über einen Vertrag mit der NÖ Gebietskrankenkasse, wohl aber mit "kleinen Kassen" (SVA der gew. Wirtschaft, BVA, KFA Wien, VA Eisenbahnen und Bergbau) verfüge (daher ein Ambulatorium mit Kassenverträgen sei) und im Übrigen den Bedarf als Wahlambulatorium zur Gänze decke. Dieser Einrichtung werde durch die Bewilligung des neuen Ambulatoriums die "Existenzgrundlage entzogen". Auch habe - entgegen der Auffassung der belangten Behörde
- nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Prüfung des Bedarfs außer Betracht zu bleiben, ob die Gebietskrankenkasse mit dem neuen Ambulatorium einen Vertrag schließen werde. Die erforderliche Prognoseentscheidung, bei der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Ausmaß und Qualität der medizinischen Versorgung der Bevölkerung mit und ohne die neue Einrichtung einander gegenüberzustellen seien, habe die belangte Behörde unterlassen.
4. Die Ärztekammer und die Wirtschaftskammer als gesetzliche Interessenvertretung privater Krankenanstalten haben nach dem Gesetz im Verfahren zur Bewilligung selbständiger Ambulatorien ein auf die Frage des Bedarfs beschränktes Mitspracherecht als Partei im Sinne des §8 AVG (§5 Abs5 NÖ KAG), hinsichtlich dessen es der Verfassungsgerichtshof (implizit) als zulässig erachtet hat, Grundrechtsverletzungen vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen (vgl. etwa die aufgrund von Beschwerden der Ärztekammer ergangenen Sachentscheidungen VfSlg. 14.840/1997 und 15.988/2000). Die Beschwerden dürften daher - vorbehaltlich der vom Verfassungsgerichtshof noch vorzunehmenden, endgültigen Beantwortung dieser Frage - zulässig sein.
5. Ihren Antrag, der somit anscheinend zulässigen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, begründen die beschwerdeführenden Parteien damit, es sei (aufgrund der vorläufig eingetretenen Rechtskraft des angefochtenen Bescheides) die mündliche Verhandlung zur Erteilung der Betriebsbewilligung schon für 9. Mai 2005 anberaumt worden, und es würde mit der Erteilung der Betriebsbewilligung der Zweck der Beschwerde endgültig vereitelt werden. Das bestehende Ambulatorium mit den oben erwähnten Kassenverträgen würde durch die Inbetriebnahme des neuen Ambulatoriums schon vor Abschluss des verfassungsgerichtlichen Verfahrens in seiner wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Der Betreibergesellschaft sei erst im Jahr 2003 die Verlegung in ein mit Kosten von rd € 1,5 Millionen neu errichtetes (und mit Kosten von € 500.000.- neu ausgestattetes) Betriebsgebäude bewilligt worden (im angefochtenen Bescheid wird dazu auf den Bewilligungsbescheid vom 27. März 2003 verwiesen).
5.1. Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass die beschwerdeführenden Parteien die Erforderlichkeit und die Dringlichkeit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ausreichend dargetan und bescheinigt haben. Als Bescheinigungsmittel ist vorerst vor allem die Begründung des angefochtenen Bescheides als ausreichend zu erachten, aus der nicht nur die Tatsache der erst kürzlich bewilligten Übersiedlung des bestehenden Ambulatoriums hervorgeht, sondern sich vor allem zu ergeben scheint, dass der von der belangten Behörde angenommene Versorgungsbedarf von dem bestehenden Ambulatorium gedeckt sein dürfte: es wird nämlich dieser Bedarf nach dem Inhalt des angefochtenen Bescheides sowohl von der Behörde , aber auch von der beteiligten Partei und sachkundigen Beteiligten (Wiedergabe der Stellungnahme des Hauptverbandes unter Bezugnahme auf eine Auskunft der NÖ Gebietskrankenkasse S 8, Erwägungen der Behörde Seite 9, zweiter und dritter Absatz, Wiedergabe einer Eingabe der beteiligten Partei, S 9 vorletzter Absatz, Erwägungen der Behörde S 12) nur daraus abgeleitet, dass die NÖ Gebietskrankenkasse den Vertrag mit dem Betreiber des bestehenden Ambulatoriums gelöst hat. Danach bestünde aber der Bedarf nicht ohne Berücksichtigung dieser Vertragsauflösung.
Legt man dies zugrunde, dann ist schon aus diesen Gründen die Behauptung der beschwerdeführenden Parteien nachvollziehbar, dass das bestehende Institut durch die Aufnahme des Betriebes der neuen Einrichtung in seiner Existenz gefährdet wäre.
5.2. Die vorliegenden Anträge werfen aber die Frage auf, ob die von den beschwerdeführenden Interessenvertretungen der Ärzte und der privaten Ambulatoriumsbetreiber dargelegten, jedoch - naturgemäß - in erster Linie dem Betreiber des bestehenden Ambulatoriums drohenden Nachteile geeignet sind, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unter dem Gesichtspunkt des unverhältnismäßigen Nachteils zu begründen.
In der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wurde zwar die zu befürchtende Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz als unverhältnismäßiger Nachteil anerkannt (vgl. die Beschlüsse vom 20.12. 1990, B1300/90, vom 4.3.1991, B95/91, und vom 18.3.2002, B263/02), jedoch in vergleichbaren Fällen mitunter die aufschiebende Wirkung mit der Begründung versagt, es würde nicht hinreichend deutlich gemacht, worin der unverhältnismäßige Nachteil für die antragstellende Interessenvertretung bestehe (vgl. die die Ärztekammer betreffenden Beschlüsse vom 14.9.1993, B1609/93 und vom 23. Dezember 1997, B2678/97).
5.2.1. Im Erkenntnis VfSlg. 15456/1999 hat der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit der Bedarfsprüfung, wie sie auch hier in Rede steht, unter dem Gesichtspunkt des Grundrechts auf Erwerbsfreiheit untersucht und für unbedenklich erachtet: er hat in diesem Erkenntnis die herausragende Bedeutung des Sachleistungssystems im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung für die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung hervorgehoben und die im Zusammenhang mit der Errichtungsbewilligung von Ambulatorien vorgesehene Bedarfsprüfung im Hinblick darauf für verfassungsrechtlich zulässig erachtet, dass sie dem Existenzschutz der Träger dieses Sachleistungsystems, nämlich der niedergelassenen Kassenärzte, kasseneigenen Einrichtungen und Vertragseinrichtungen der Krankenkassen und damit einem besonders wichtigen öffentlichen Interesse der flächendeckenden ärztlichen Versorgung diene.
5.2.2. Diesem wichtigen öffentlichen Interesse würde die Erteilung einer Errichtungsbewilligung für ein neues Ambulatorium widersprechen, bei welcher ein bestehendes Ambulatorium mit Kassenverträgen und mit demselben Einzugsgebiet in die Prüfung des Bedarfs nicht einbezogen wurde und daher auch die Frage unberücksichtigt geblieben wäre, ob dieses Ambulatorium durch die Inbetriebnahme eines gleichartigen Ambulatoriums in seiner Existenz gefährdet würde.
5.3. Dem Betreiber eines bestehenden Ambulatoriums im Einzugsgebiet des zu errichtenden Ambulatoriums ist vom Gesetzgeber im Bewilligungsverfahren eine Parteistellung nicht eingeräumt worden, sondern es ist den beschwerdeführenden Interessenvertretungen vorbehalten, die Wahrung des Existenzinteresses vorhandener Einrichtungen gleichsam repräsentativ als (gleichzeitig) wichtiges öffentliches Interesse geltend zu machen. Es entsteht in dieser Konstellation daher die Frage, ob nur ein unverhältnismäßiger Nachteil, der die beschwerdeführenden Kammern selbst (zB in ihrem Vermögen) träfe, ein Grund sein kann, ihrer Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, oder ob dies auch ein schwerwiegendes (zwingendes) öffentliches Interesse (wie es anscheinend von den beschwerdeführenden Parteien dargetan wird) vermag. Im Hinblick auf die Bedeutung, welche diesen, von den beschwerdeführenden Parteien zu wahrenden Interessen im Erkenntnis VfSlg. 15456/1999 beigemessen wurde, legt nahe, es als ein zwingendes anzusehen. Könnte diesem zwingenden öffentlichen Interesse der (einstweiligen) Vermeidung des Eintritts einer solchen Existenzgefährdung zu einem Zeitpunkt, zu dem die Prüfung des angefochtenen Bescheides durch den Verfassungsgerichtshof noch nicht erfolgt ist, nur durch die Gewährung der aufschiebenden Wirkung Rechung getragen werden, so läge eine Bejahung der aufgeworfenen Frage angesichts der nach dem Gesetz jedenfalls vorzunehmenden Interessenabwägung nahe.
6. Aus diesen Erwägungen war daher - in Anwendung des §85 Abs4 VfGG - die aufschiebende Wirkung zu bewilligen, um der belangten Behörde und der beteiligten Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, jedoch vorerst nur für einen Zeitraum bis 30. Juni 2005 (vgl. zu einer Befristung aus vergleichbaren Gründen den Beschluss vom 17. Mai 2002, B923/02 - 2). Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung über diesen Zeitraum hinaus wird der Verfassungsgerichtshof nach Anhörung der belangten Behörde und der beteiligten Partei bis zum genannten Zeitpunkt gesondert entscheiden. Insoweit war daher die Entscheidung über die Anträge vorzubehalten.
Schlagworte
VfGH / Wirkung aufschiebendeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:B470.2005Dokumentnummer
JFT_09949497_05B00470_00