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L5 KulturrechtNorm
B-VG Art10 Abs1 Z9Leitsatz
Verfassungswidrigkeit des Nö NaturschutzG mangels verfassungsrechtlich gebotener Berücksichtigung der öffentlichen Interessen an der Errichtung von Bauten für Eisenbahnzwecke (Semmering-Basistunnel); Kompetenz des Landes zur Regelung der Materie unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten; rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Landesgesetzgebers eingeschränkt angesichts der notwendigen Vermeidung eines Unterlaufens der Kompetenzausübung des Bundes auf dem Gebiet des Verkehrswesens bezüglich der Eisenbahnen; verfassungsrechtlich gebotene Interessenabwägung seit der Novelle zum Nö NaturschutzG nicht mehr zulässig; Wiederinkrafttreten der früheren Fassung nach Aufhebung der die gebotene Interessenabwägung nicht zulassenden Bestimmung der Novelle LGBl 5500-5Rechtssatz
Zulässigkeit der Beschwerde des Anlaßverfahrens.
Selbst im Fall einer Aufhebung der Verordung BGBl 405/1989 (betr Übertragung der Planung und des Baues von Hochleistungsstrecken oder von Teilen derselben an die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG) durch den Verfassungsgerichtshof wird die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG allein durch den zu B1287/98 angefochtenen Bescheid gestaltet; sie kann sich durch die (mögliche) Verfassungswidrigkeit der diesem Bescheid zugrundeliegenden und vom Verfassungsgerichtshof bei Prüfung dieses Bescheides daher anzuwendenden Rechtsvorschriften als verletzt erachten. Die Beschwerdeführerin ist Adressatin des Berufungsbescheides und damit sowohl von der Versagung einer Bewilligung, als auch von einer im Bescheid enthaltenen Verbotsnorm betroffen. Selbst wenn die Eisenbahn-Hochleistungsstrecken-AG von den Verwaltungsbehörden zu Unrecht als Antragstellerin und damit Partei im naturschutzbehördlichen Verfahren angesehen worden wäre (was überdies die Verletzung des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zur Folge haben könnte), so wäre die behauptete Rechtsverletzung durch den angefochtenen Bescheid jedenfalls möglich. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Verordnung BGBl 405/1989 als für die Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens bedeutungslos, weshalb auf die Frage ihrer Gesetzmäßigkeit nicht weiter einzugehen ist.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung die Auffassung vertreten, es sei "unter dem 'Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen' iSd Art10 Abs1 Z9 B-VG das Eisenbahnwesen überhaupt zu verstehen ...". Diese weitreichende, alle Aspekte des Eisenbahnwesens umfassende Bundeskompetenz schließt aber dennoch Regelungen der Länder, zu welchen diese gem. Art15 Abs1 B-VG berufen sind und die auch Eisenbahnen betreffen, nicht von vornherein aus.
Für die Abgrenzung der Kompetenz des Bundes vom Zuständigkeitsbereich der Länder ist der Inhalt der eisenbahnrechtlichen Regelungen zum Versteinerungszeitpunkt (01.10.25) maßgeblich.
Der Naturschutz ist - kompetenzrechtlich gesehen - weder eine Querschnittsmaterie, noch eine Annexmaterie, welche der jeweils zuständige Gesetzgeber mitzuregeln befugt wäre. Der Naturschutz ist vielmehr im allgemeinen der Kompetenz der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung zugeordnet.
Im Versteinerungsmaterial, welches für den hier zu untersuchenden Kompetenztatbestand maßgebend ist, finden sich keine expliziten naturschutzrechtlichen Regelungen.
Neuregelungen (selbst wenn man den Naturschutz als eine solche ansehen wollte) sind nur dann unter einen bestimmten Kompetenztatbestand zu subsumieren, wenn sie nach ihrem (wesentlichen) Inhalt systematisch dem Kompetenzgrund angehören. Diese Voraussetzung trifft auf das Naturschutzrecht im Verhältnis zum Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen vor dem Hintergrund des Versteinerungsmaterials nicht zu, sodaß eine intrasystematische Weiterentwicklung dieses Kompetenztatbestandes insoweit nicht anzunehmen ist, sondern Raum für eine Kompetenz iSd Art15 Abs1 B-VG und damit für eine landesgesetzliche Regelung unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten verbleibt.
Sind für ein Projekt mehrere Genehmigungen nebeneinander erforderlich und diese überdies nach den Rechtsvorschriften verschiedener Kompetenzträger zu erteilen oder zu versagen, so bedeutet dies nicht, daß jeder Kompetenzträger in der Ausgestaltung seiner Gesetzgebungskompetenz auch in dem Sinne völlig frei wäre, in seiner Regelung einen bestimmten Regelungsaspekt absolut zu setzen und damit die Kompetenzen anderer Gebietskörperschaften auszuhöhlen oder zu unterlaufen. Der den Bundesstaat konstituierenden Bundesverfassung muß nämlich unterstellt werden, die Grundlage einer harmonisierenden Rechtsordnung zu sein, in der (allenfalls divergierende) Interessen von Bund und Ländern, auch soweit diese in Akten der Gesetzgebung ihren Niederschlag finden, aufeinander abgestimmt sind. Der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Landes- (ebenso wie jener des Bundes-)gesetzgebers ist deshalb insoweit eingeschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, die sich als sachlich nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung der Effektivität von Regelungen der gegenbeteiligten Rechtssetzungsautorität darstellen (VfSlg 10292/1984, S 763).
§2 Nö NaturschutzG idF LGBl 5500-5 wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Ungeachtet der nicht zu bezweifelnden Befugnis des Landesgesetzgebers, vermeidbare Eingriffe in Naturschutzinteressen zu untersagen bzw durch die Erteilung von Auflagen und Bedingungen für einen entsprechenden Ausgleich zu sorgen, muß daher im Falle von Eingriffen, die nicht vermeidbar sind und deren nachteilige Folgen auch nicht ausgeglichen werden können, zumindest in Form einer Abwägung zwischen den Interessen des Naturschutzes und den anderen, den Eingriff bewirkenden Interessen auch für die gebotene Berücksichtigung kompetenzfremder Interessen Raum sein.
Eine derartige, aus den genannten Gründen verfassungsrechtlich gebotene Interessenabwägung läßt das Nö NaturschutzG nicht (mehr) zu.
Es enthält seit der Novelle LGBl 5500-5 weder ein Verbot der Beeinträchtigung solcher wichtiger Interessen nach der Art des §2 Abs3 leg cit in der früheren Fassung, noch sieht es - als einziges Landesgesetz über den Naturschutz - bei den Bewilligungs- bzw Versagungstatbeständen eine Interessenabwägung vor.
Das Nö NaturschutzG ermöglicht somit die Verhinderung der Errichtung oder des Ausbaus von Verkehrswegen jedweder, somit auch solcher von ganz besonderer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung, und zwar ungeachtet des Gewichts der Beeinträchtigung der vom Naturschutzgesetz legitimerweise geschützten Interessen. Denn die erforderliche naturschutzbehördliche Genehmigung ist schon dann zu versagen, wenn die Eingriffe in die Interessen des Naturschutzes nicht weitgehend vermieden werden können. Damit kann aber der Bund an der Erfüllung der ihm kompetenzmäßig übertragenen Sicherstellung eines gesamtwirtschaftlichen Bedürfnissen entsprechenden, leistungsfähigen Eisenbahn- und Straßennetzes auch in Fällen gehindert werden, in denen die vom Land wahrzunehmenden Naturschutzinteressen nicht etwa eine außergewöhnliche Dimension erreichen.
Anders als §2 Abs1 und Abs3 Nö NaturschutzG idF vor der Novelle LGBl 5500-5 läßt die Neufassung des §2 eine verfassungskonforme Interpretation der Versagungstatbestände des §5 Abs3 und §6 Abs4 leg cit nicht mehr zu. Der als Folge der Aufhebung des §2 leg cit in der in Prüfung gezogenen Fassung gem Art140 Abs6 B-VG wieder in Kraft tretende §2 Abs3 in der früheren Fassung erlaubt hingegen die von verfassungswegen gebotene Berücksichtigung der öffentlichen Interessen an der Errichtung von Bauten für Eisenbahnzwecke.
Die weniger weitgehende, aus dem Blickwinkel des Anlaßfalles eine verfassungskonforme Rechtslage bewirkende Aufhebung des §2 Nö NaturschutzG idF LGBl 5500-5 reicht daher hin, weshalb es mit der Aufhebung dieser Gesetzesstelle sein Bewenden haben kann.
(Anlaßfall B1287/98, E v 25.06.99, Aufhebung des angefochtenen Bescheides).
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, VfGH / Legitimation, Parteistellung Naturschutz, Kompetenz Bund - Länder, Kompetenz Bund - Länder Verkehrswesen, Kompetenz Bund - Länder Naturschutz, Eisenbahnrecht, Naturschutz, Berücksichtigungsprinzip, Versteinerungstheorie, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:G256.1998Dokumentnummer
JFR_10009375_98G00256_01