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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte bei Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen behaupteter unzulässiger Ausdehnung des Schuldvorwurfs aufgrund rechtzeitiger Information des Beschwerdeführers; vertretbare Annahme der konkludenten Zustimmung zur Ausdehnung; keine Verletzung der Erwerbsausübungsfreiheit, vertretbare Annahme standeswidrigen Verhaltens sowie einer Berufspflichtenverletzung durch Verknüpfung der Durchführung eines Auftrags mit Begleichung einer Kostenforderung; keine Zwangsarbeit aufgrund freiwilliger Übernahme der Vertretung; keine Verletzung der UnschuldsvermutungRechtssatz
Dem Einleitungsbeschluß kommt nicht die Funktion einer Anklageschrift nach der StPO zu, was aber unter dem Aspekt des Art90 Abs2 B-VG verfassungsrechtlich unbedenklich ist, weil es sich bei einem Disziplinarverfahren nicht um ein Strafverfahren iS dieser Verfassungsbestimmung handelt (vgl. VfSlg. 12462/1990, 13419/1993, 13762/1994).
Der Beschwerdeführer wurde über die "Erweiterung" (im angefochtenen Bescheid wird von "präzisieren bzw. ausdehnen" gesprochen) der Anschuldigungspunkte auf den (nunmehr) im Spruchpunkt b) formulierten Tatvorwurf rechtzeitig informiert.
Da die Disziplinarbehörde den Beschwerdeführer mit diesem Faktum aus verfassungsrechtlicher Sicht rechtzeitig konfrontiert hat und sohin nicht ohne entsprechende Anschuldigung entschieden hat, kann - selbst dann, wenn man mit dem Beschwerdeführer davon ausgeht, daß es sich um eine Ausdehnung der Verhandlung iS des §36 Abs2 DSt 1990 handelt - nicht gefunden werden, daß der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in dem von ihm geltend gemachten Art6 Abs3 litb EMRK sowie in dem - vom Verfassungsgerichtshof zusätzlich geprüften - Art83 Abs2 B-VG verletzt.
Keine Verletzung im Eigentums- und im Gleichheitsrecht durch "Erweiterung" des Tatvorwurfs im Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt.
Wenn die belangte Behörde für die Annahme, daß es sich um eine Ausdehnung iS des §36 DSt 1990 handelt, davon ausgeht, daß sowohl der Kammeranwalt als auch der Beschwerdeführer - letzterer deswegen, weil er sich zum "erweiterten" Schuldvorwurf verantwortet hat, ohne sich gegen die Erweiterung ausdrücklich auszusprechen - konkludent der Ausdehnung zugestimmt haben, kann dem aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden; weder der Wortlaut noch die Gesetzesmaterialien zu §36 Abs2 DSt 1990 verbieten eine derartige Auslegung. Auch der Oberste Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung zu §263 StPO - einer Vorschrift, die hinsichtlich der Beurteilung der Zustimmung des Angeklagten über die Ausdehnung der Verhandlung mit §36 Abs2 DSt 1990 vergleichbar ist - in den Fällen, in denen sich der Angeklagte auf die Ausdehnung der Hauptverhandlung einläßt und dieser Ausdehnung nicht ausdrücklich widerspricht, ebenfalls vom Vorliegen einer konkludenten Zustimmung aus.
Keine Verletzung im Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung, keine Zwangs- oder Pflichtarbeit, keine Verletzung der Unschuldsvermutung durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt.
Es ist keineswegs unvertretbar, dem Beschwerdeführer zum Vorwurf zu machen, er habe gegen die in §9 Abs1 RAO normierte Verpflichtung verstoßen, übernommene Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten, wenn er die grundbücherliche Durchführung des abgeschlossenen Vergleichs von der Zahlung einer offenen Honorarforderung aus dem Aufteilungsverfahren abhängig gemacht hat, obwohl er den Auftrag hiezu ohne einen entsprechenden Vorbehalt angenommen hatte.
Auch hinsichtlich der Aufforderung des Beschwerdeführers, G M möge ihm eine Pfandbestellungsurkunde zur Sicherstellung seiner Kostenforderung unterschreiben, wobei sich das Pfand auf eine Liegenschaftshälfte bezog, von der der Beschwerdeführer wußte, daß sich G M im Aufteilungsverfahren zur lastenfreien Übergabe dieser Liegenschaftshälfte an ihren geschiedenen Gatten verpflichtet hatte, ist die Annahme eines Verstoßes gegen Berufspflichten gemäß §9 Abs1 RAO iVm. §1 DSt 1990 keinesfalls ausgeschlossen. Daß konkret kein Schaden entstanden ist, steht der Qualifikation des Verhaltens des Beschwerdeführers als disziplinär aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegen.
Auch von einer Verletzung des Beschwerdeführers in dem ihm durch Art4 Abs2 EMRK gewährleisteten Recht kann keine Rede sein; der Beschwerdeführer hat die Vertretung freiwillig - ohne Vorbehalt der Tilgung offener Honorarforderungen - übernommen und hat folglich auch die ihm aus seiner Tätigkeit erwachsenden Pflichten wahrzunehmen.
Schlagworte
Strafprozeßrecht, Rechtsanwälte Disziplinarrecht, Bescheidbegriff, Verfahrensanordnung, Zwangsarbeit, Erwerbsausübungsfreiheit, AnklageprinzipEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:B2347.1997Dokumentnummer
JFR_10008996_97B02347_2_01