TE Vfgh Erkenntnis 2005/6/6 B1531/04

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Veröffentlicht am 06.06.2005
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8240 Abfall, Müll

Norm

B-VG Art10 Abs1 Z12
B-VG Art10 Abs1 Z9
B-VG Art15 Abs1
B-VG Art83 Abs2
Tir AbfallwirtschaftsG §2 Abs1, §3

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Qualifizierung des bei einer Eisenbahnhaltestelle anfallenden Abfalls als Hausmüll im Sinne des Tiroler Abfallwirtschaftsgesetzes; keine kompetenzrechtlichen Bedenken gegen die angewendeten Bestimmungen des Tir AbfallwirtschaftsG betreffend nicht gefährliche Abfälle; keine ausschließliche Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz des Bundes zur Regelung der auf Eisenbahnanlagen anfallenden Abfälle; keine Annexmaterie

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Die Beschwerde wird dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Österreichischen Bundesbahnen (Immobilienmanagement Süd, Rechtsservice) stellten mit Eingabe vom 23.6.2004 bei der Bezirkshauptmannschaft Lienz "gemäß §3 Tiroler Abfallwirtschaftsgesetz den Antrag auf Feststellung, dass der beim ... Eisenbahnbetriebsgebäude ... Haltestelle Tassenbach anfallende - nicht gefährliche - Abfall nicht dem Tiroler Abfallwirtschaftsgesetz unterliegt."

1.2. Gemäß (des mit "Feststellungsverfahren" überschriebenen) §3 Tiroler Abfallwirtschaftsgesetz - TAWG, LGBl. 1990/50 idF 2003/44, hat bei Streitigkeiten darüber, welcher der (in §2 Abs1, 2 oder 3 genannten) Abfallarten ein Abfall zuzuordnen ist, die Bezirksverwaltungsbehörde dies auf Antrag des Inhabers der Sache (oder der Gemeinde oder von Amts wegen) mit schriftlichem Bescheid festzustellen. Die weiteren hier relevanten Bestimmungen des TAWG (§1 - Geltungsbereich; §2 - Begriffsbestimmungen; §11 - Sammlung und Abfuhr von Hausmüll) lauten wörtlich wie folgt:

"§1

Geltungsbereich

(1) Dieses Gesetz gilt für alle Abfälle mit Ausnahme von gefährlichen Abfällen sowie den im §3 Abs1 Z1 bis 6 des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 102, genannten Abfällen.

(2) Durch dieses Gesetz werden andere landesrechtliche Vorschriften über Abfälle nicht berührt."

"§2

Begriffsbestimmungen

(1) Hausmüll sind alle nicht gefährlichen Siedlungsabfälle im Sinne des §2 Abs4 Z2 des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002.

(2) Sperrmüll ist jener Hausmüll, der wegen seiner Größe oder Form nicht in die für die Sammlung des Hausmülls auf den einzelnen Grundstücken bestimmten Müllbehälter eingebracht werden kann.

(3) Betriebliche Abfälle sind alle diesem Gesetz unterliegenden Abfälle mit Ausnahme des Hausmülls.

(4) Baurestmassen sind die in der Anlage 2 der Deponieverordnung, BGBl. Nr. 164/1996, genannten Abfälle, sofern sie bei Abbruch- oder Sanierungsarbeiten anfallen.

(5) ..."

"§11

Sammlung und Abfuhr von Hausmüll

(1) Die Grundeigentümer bzw. die sonst hierüber Verfügungsberechtigten haben dafür zu sorgen, daß

a) zur Sammlung des auf ihren Grundstücken anfallenden Hausmülls die nach der Müllabfuhrordnung vorgeschriebenen Müllbehälter aufgestellt werden,

b) der nach §10 Abs1 der Abfuhrpflicht unterliegende Hausmüll ausschließlich in den Müllbehältern gesammelt wird und die getrennt zu sammelnden Abfälle in die hiezu bestimmten Müllbehälter eingebracht werden,

c) die Müllbehälter zu den in der Müllabfuhrordnung festgelegten Zeitpunkten am vorgeschriebenen Aufstellungsort zur Entleerung bereitgehalten werden.

(2) Die Eigentümer der nach §14 Abs3 von der Abholpflicht ausgenommenen Grundstücke bzw. die sonst hierüber Verfügungsberechtigten haben dafür zu sorgen, daß der auf ihren Grundstücken anfallende, nach §10 Abs1 der Abfuhrpflicht unterliegende Hausmüll zu einer Sammelstelle nach §15 Abs2 litb gebracht wird.

(3) Die Grundeigentümer bzw. die sonst hierüber Verfügungsberechtigten haben das Betreten ihrer Grundstücke durch die Bediensteten der öffentlichen Müllabfuhr zum Zweck der Entleerung der Müllbehälter zu dulden."

1.3. Mit Bescheid vom 10.9.2004, Z805-286/4, stellte der Bezirkshauptmann von Lienz - über Antrag; s. Pkt. 1.1. - gemäß §3 TAWG fest, dass es sich bei dem "in der Haltestelle Tassenbach anfallenden Abfall um Hausmüll gemäß §2 Abs1 TAWG hand[le]."

Begründend wird in diesem Bescheid ausgeführt, bei einer im September 2004 durchgeführten Kontrolle sei im Müllcontainer lediglich Restmüll im Form von Flaschen, Papier und dergleichen vorgefunden worden. Eine im Vorfeld eingeholte Anfrage beim Amt der Tiroler Landesregierung habe ergeben, dass es sich bei den anfallenden Abfällen "aller Voraussicht nach um nicht gefährliche Abfälle, die als Hausmüll einzustufen sind", handle.

1.4. Die dagegen von den Österreichischen Bundesbahnen erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 27.10.2004, Z U-13.773/2, als unbegründet abgewiesen.

Die Tiroler Landesregierung begründet ihren Bescheid wörtlich ua. wie folgt:

"Gemäß Artikel 10 Abs1 Zif. 12 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2003, ist die Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle in Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Hinsichtlich nicht gefährlicher Abfälle besteht eine Bedarfskompetenz des Bundes. Letzterer ist zur Regelung abfallrechtlicher Belange nur insoweit berechtigt, als ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften vorhanden ist.

Mit dem am 2.11.2002 in Kraft getretenen Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002), BGBl. I Nr. 102/2002, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 43/2004, hat der Bundesgesetzgeber von der ihm eingeräumten Bedarfskompetenz umfangreich Gebrauch gemacht. Die noch bestehende Länderkompetenz im Bereich der Abfallwirtschaft wurde daher deutlich eingeschränkt.

Das AWG 2002 enthält keine Regelungen im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Müllabfuhr. Rechtsgrundlage dafür bildet das TAWG. Gemäß §2 Abs1 TAWG sind Hausmüll alle nicht gefährlichen Siedlungsabfälle im Sinne des §2 Abs4 Zif. 2 AWG 2002. Gemäß §2 Abs4 Zif. 2 AWG 2002 sind 'Siedlungsabfälle' Abfälle aus privaten Haushalten und andere Abfälle, die aufgrund ihrer Beschaffenheit oder Zusammensetzung den Abfällen aus privaten Haushalten ähnlich sind. Betriebliche Abfälle sind gemäß §2 Abs3 TAWG alle dem TAWG unterliegenden Abfälle mit Ausnahme des Hausmülls. Gemäß §10 Abs1 TAWG müssen Hausmüll und betriebliche Abfälle nach den Bestimmungen des TAWG und der in seiner Durchführung erlassenen Verordnungen (Müllabfuhrordnungen) gesammelt und abgeführt werden. Die Verpflichtung nach §10 Abs1 TAWG gilt gemäß §10 Abs2 TAWG nicht für:

Abfälle, die auf einem Grundstück des Inhabers der Abfälle kompostiert werden, betriebliche Abfälle, die einer Verwertung zugeführt oder in einer Anlage des Betriebsinhabers zulässiger Weise behandelt oder abgelagert werden.

§11 TAWG regelt die Verpflichtungen von Grundeigentümern bzw. sonst hierüber Verfügungsberechtigten im Zusammenhang mit der Sammlung und der Abfuhr von Hausmüll. Unter anderem sind die genannten Personen gemäß §11 Abs1 litb TAWG verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der der Abfuhrpflicht unterliegende Hausmüll ausschließlich in den Müllbehältern gesammelt wird und die getrennt zu sammelnden Abfälle in die hiezu bestimmten Müllbehälter eingebracht werden.

...

Artikel 10 Abs1 Zif. 9 B-VG ('Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen') und Artikel 10 Abs1 Zif. 12 B-VG ('Abfallwirtschaft') in Verbindung mit Artikel 15 bilden von einander unabhängige Kompetenztatbestände. Artikel 10 Abs1 Zif. 9 B-VG ist jedenfalls nicht dahingehend zu interpretieren, dass auf in Eisenbahnanlagen anfallende Abfälle abfallrechtliche Regelungen, die sich auf die Kompetenztatbestände des Artikel 10 Abs1 Zif. 12 B-VG bzw. Artikel 15 B-VG stützen, nicht anzuwenden sind. Demgemäß stellt weder das AWG 2002 noch das TAWG darauf ab, wo Abfälle anfallen. Beide zitierten Gesetze treffen Regelungen für Abfälle unabhängig vom Entstehungsort.

Dementsprechend war bei den beim Betrieb der Haltestelle in Tassenbach anfallenden nicht gefährlichen Abfällen lediglich zu prüfen, ob sie als Hausmüll im Sinne des §2 Abs1 TAWG oder als betriebliche Abfälle im Sinne des §2 Abs3 TAWG zu qualifizieren sind.

..."

1.5.1. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

Für den Fall der Abweisung oder Ablehnung der Beschwerde wird beantragt, diese an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

1.5.2. Die Tiroler Landesregierung legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdeausführungen entgegentritt und beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

2. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

2.1.1. Die Beschwerde führenden Österreichischen Bundesbahnen vertreten zunächst die Auffassung, dass für Abfälle, die auf Eisenbahnanlagen anfallen, gemäß Art10 Abs1 Z9 B-VG eine ausschließliche Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz des Bundes bestehe. Für den Fall, dass eine Interpretation des TAWG dahingehend nicht möglich sei, dass es auf Eisenbahnanlagen keine Anwendung finde, wäre ua. §2 TAWG verfassungswidrig.

Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden: Gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG (idFd. B-VG-Nov. 1988, BGBl. 685) ist die "Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle, hinsichtlich anderer Abfälle nur soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften vorhanden ist", Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung.

Den E zur RV zur B-VG-Nov. 1988 (607 BlgNR XVII. GP, 8) ist zu entnehmen, "dass der Begriff der Abfallwirtschaft in einem umfassenden Sinn als die Summe aller Maßnahmen zur Vermeidung, Verminderung, Verwertung und schadlosen Behandlung sowie die Beseitigung von Abfällen (aller Art) zu verstehen ist." Neben der Zuständigkeit für die Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle soll eine Zuständigkeit des Bundes für sonstige, also nicht gefährliche Abfälle nur insoweit bestehen, als "ein - objektives - Bedürfnis nach einer bundeseinheitlichen Regelung besteht."

Wie der Verfassungsgerichtshof schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 13.019/1992 ausführte, hat der Verfassungsgesetzgeber sohin die in VfSlg. 7792/1976 vom Verfassungsgerichtshof untersuchte Kompetenzlage hinsichtlich der Abfallbeseitigung von Grund auf verändert. Der Verfassungsgesetzgeber hat insbesondere den in diesem Erkenntnis dargestellten Annexcharakter des Abfallbeseitigungsrechts aufgegeben (so auch der AB 817 BlgNR XVII. GP, 2). Diese Kompetenzrechtslage gilt nun nicht bloß für jene Teile der Abfallwirtschaft, die unter die Bundeskompetenz gemäß Art10 Abs1 Z12 B-VG fallen, sondern in Bezug auf nicht gefährliche Abfälle in jenem Bereich, für den der Bund keine auf Art10 Abs1 Z12 B-VG gestützten Regelungen erlassen hat, auch hinsichtlich der dann gegebenen Landeskompetenz: Hier bleibt für eine Annexkompetenz anderer Materiengesetzgeber kein Raum mehr (s. auch VwGH jeweils 27.6.2002 2001/07/0153 u. 2001/07/0177).

Für eine Zuordnung von Regelungen über beim Betrieb von Eisenbahnanlagen anfallenden Abfall zu Art10 Abs1 Z9 B-VG ist - zusammenfassend - angesichts des Umstandes kein Raum, dass Art10 Abs1 Z12 B-VG iVm. Art15 B-VG abfallrechtliche Regelungen kompetenzrechtlich abschließend zuordnet.

2.1.2. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Bedenken gegen ua. §2 Abs1 TAWG treffen sohin nicht zu. Andere Bedenken sind nicht aufgetreten. Damit ist die Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Bescheid nicht in ihren Rechten durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt worden.

2.2. Angesichts dieses Ergebnisses kann die Beschwerdeführerin auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden sein. Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts wurde von der Beschwerdeführerin nicht behauptet und ist im Verfahren auch nicht hervorgekommen.

2.3. Die Beschwerdeführerin wurde demgemäß durch den angefochtenen Bescheid der Tiroler Landesregierung weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt.

3. Die Beschwerde war daher abzuweisen und - antragsgemäß - gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Abfallwirtschaft, Behördenzuständigkeit, Feststellungsbescheid, Eisenbahnrecht, Kompetenz Bund - Länder Abfallwirtschaft, Kompetenz Bund - Länder Verkehrswesen, Bedarfskompetenz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:B1531.2004

Dokumentnummer

JFT_09949394_04B01531_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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