RS Vfgh 1999/10/6 B15/99

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Veröffentlicht am 06.10.1999
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/02 Strafvollzug

Norm

StGG Art14
EMRK Art9
StV St Germain 1919 Art63 Abs2
StVG §85 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit wegen Versagung des Zuspruchs durch einen Seelsorger der Zeugen Jehovas für einen Strafgefangenen mangels dessen formeller Zugehörigkeit zu dieser Religionsgemeinschaft

Rechtssatz

Das in §85 Abs2 StVG normierte Recht jedes Strafgefangenen - Zuspruch eines Seelsorgers seines eigenen Bekenntnisses zu empfangen - steht zwar nicht bloß den Angehörigen gesetzlich anerkannter Religionsgesellschaften oder religiösen Bekenntnisgemeinschaften iSd BG über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften zu. Im Fall der staatlichen Anerkennung bzw im Fall des Erwerbes der Rechtspersönlichkeit kann aber grundsätzlich davon ausgegangen werden, daß die - durch die Seelsorger dieser Religionsgesellschaften und religiösen Bekenntnisgemeinschaften erfolgte - Betreuung der Strafgefangenen keines der eine Einschränkung rechtfertigenden Schutzgüter (vgl Art63 Abs2 StV St Germain 1919, Art9 Abs2 EMRK) verletzt.

Der Zuspruch durch einen Seelsorger des "eigenen Bekenntnisses" ist nach Maßgabe der allgemeinen Anordnungen des §85 StVG stets dann zu gestatten, wenn der Strafgefangene in einer glaubwürdigen Weise dartut, daß er sich dem betreffenden religiösen Bekenntnis - mag er auch der Religionsgemeinschaft bei strenger Wertung ihrer inneren Regeln formell nicht, noch nicht oder sogar nicht mehr angehören - verbunden fühlt und den ernsthaften Wunsch äußert, sich seinem Bekenntnis gemäß in religiöser Hinsicht zu betätigen (vgl hiezu: VfSlg 1408/1931). Überdies muß seine ernsthafte Einstellung von der Bekenntnisgemeinschaft grundsätzlich anerkannt werden. Unabhängig von den formellen Kriterien der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft ist das "eigene Bekenntnis" nämlich die nach außen in Erscheinung tretende Deklaration innerer (Glaubens-)Einstellungen und Werte; es kann somit einer formellen Zugehörigkeit nicht gleichgesetzt werden.

Die belangte Behörde hat somit dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen, dem Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit widerstreitenden Inhalt unterstellt.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Strafvollzug, Seelsorge, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:B15.1999

Dokumentnummer

JFR_10008994_99B00015_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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