Index
L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verfassungswidrigkeit der Regelungen des Salzburger Raumordnungsrechts über die sogenannte Vertragsraumordnung; zwingende Verknüpfung von privatwirtschaftlichen Maßnahmen der Gemeinde zur Verwirklichung der in der Gemeinde angestrebten Entwicklungsziele mit hoheitlichen Maßnahmen der Gemeinde, nämlich der Erlassung von Raumordnungsplänen in Verordnungsform, vom System der Bundesverfassung nicht vorgesehen; Verstoß gegen das Legalitätsprinzip angesichts der zwingenden Voraussetzung einer privatwirtschaftlichen Vereinbarung mit den Grundeigentümern für eine zukünftige Flächenwidmung; Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot mangels eines ausreichendenden Rechtsschutzes des Grundeigentümers; unverhältnismäßiger Eigentumseingriff angesichts einer möglichen Rückwidmung des Grundstücks in Grünland bei Weigerung des Grundeigentümers zum Abschluß einer Übertragungsvereinbarung bzw im Hinblick auf fehlende effektive Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die unter dem Druck der drohenden Rückwidmung zustandegekommene Vereinbarung; Verletzung des Gleichheitssatzes durch das Verbot der Ausweisung einer Grundfläche als Bauland im Falle der Weigerung des Grundeigentümers zum Abschluß einer Vereinbarung auch bei Bestehen eines raumordnungsfachlichen Interesses an einer Verbauung; Aufhebung der aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen erlassenen Richtlinienverordnung für VereinbarungenRechtssatz
Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des Sbg RaumOG 1992 über die sogenannte Vertragsraumordnung im Verordnungsprüfungsverfahren betreffend den Flächenwidmungsplan der Gemeinde Puch, V77,78/98, bzw in den zu B986,987/97 protokollierten Beschwerdeverfahren.
Die Gemeinde Puch hat im Zuge der generellen Überarbeitung ihres Flächenwidmungsplans mit verschiedenen Grundeigentümern sogenannte "Eigenbedarfsvereinbarungen" gemäß §14 Abs2 Sbg RaumOG 1992 abgeschlossen und somit bei Erlassung des Flächenwidmungsplanes jedenfalls auch §14 Abs2 Sbg RaumOG 1992 angewendet.
Die Widmung der Parzellen 56/11 und 56/18 der Beschwerdeführer zu B986,987/97 anläßlich der generellen Überarbeitung des Flächenwidmungsplanes wurde vom Abschluß von §14 Abs2 RaumOG-Vereinbarungen abhängig gemacht.
§14, §17 Abs12 dritter Satz sowie §22 Abs2 litd Sbg RaumOG 1992, LGBl. 98/1992, waren verfassungswidrig.
§14, §17 Abs12 dritter Satz sowie §22 Abs2 litd leg. cit. idF der Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 01.04.98, LGBl. 44/1998, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Die Bestimmungen des Salzburger Raumordnungsrechtes über die sogenannte Vertragsraumordnung ordnen zwingend eine Verbindung von privatwirtschaftlichen Maßnahmen der Gemeinde zur Verwirklichung der in der Gemeinde angestrebten Entwicklungsziele mit hoheitlichen Maßnahmen der Gemeinde - nämlich der Erlassung von Raumordnungsplänen in Verordnungsform - an. Eine derartige zwingende Verknüpfung privatwirtschaftlicher Maßnahmen mit hoheitlichen Maßnahmen ist vom System der Bundesverfassung nicht vorgesehen.
Im Hinblick auf die bindende Anordnung im §14 Abs1 Sbg RaumOG 1992 ("Jede Gemeinde ist verpflichtet, privatwirtschaftliche Maßnahmen (...) zu treffen") in Verbindung mit dem Versagungstatbestand des §22 Abs2 litd Sbg RaumOG 1992 steht es nicht im Planungsermessen der Gemeinde, mit den Grundeigentümern Vereinbarungen über die zukünftig zu widmenden Grundstücke zu erlassen oder auf solche Vereinbarungen zu verzichten. Die privatwirtschaftlichen Vereinbarungen sind daher nicht bloß fakultativ eingesetzte und unterstützende Mittel zur Erreichung der von der Gemeinde angestrebten Entwicklungsziele, sondern sie sind geradezu zwingende Voraussetzung für die zukünftige Flächenwidmung. Auch §17 Abs12 Sbg RaumOG 1992 zeigt deutlich den Charakter der Vereinbarungen im Sinne des §14 Abs2 Sbg RaumOG 1992 als zwingende Voraussetzung für eine Baulandwidmung.
Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen machen im Ergebnis die hoheitlichen Maßnahmen der Gemeinde in Verordnungsform, nämlich der Widmung von Flächen als Bauland oder Grünland, vom Inhalt privatrechtlicher Verträge mit eben derselben Gemeinde abhängig, wodurch die Raumordnungspläne in Verordnungsform der notwendigen gesetzlichen Grundlage entraten. Die in Prüfung gezogenen Regelungen widersprechen daher dem in Art18 Abs2 B-VG verankerten Legalitätsprinzip.
Dem Grundeigentümer, der dem Druck der Gemeinde auf Vertragsabschluß nicht standhält und unter der drohenden Rückwidmung seines Grundstücks in Grünland mit der Gemeinde widerstrebend eine Verwendungsvereinbarung oder Übertragungsvereinbarung abschließt, wird nach erfolgtem Vertragsabschluß jede Rechtsschutzmöglichkeit gegen die Vorgangsweise der Gemeinde genommen.
Der zivilrechtliche Rechtsschutz des Grundeigentümers vermag die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs nicht zu zerstreuen. Denn abgesehen davon, daß die Durchsetzung der Nichtigkeit eines Vertrages nur bei entsprechender Beweislage möglich und mit erheblichem Kostenrisiko verbunden ist, droht im Falle der Nichtigkeit der Vereinbarung die Umwidmung bei der nächsten Änderung des Flächenwidmungsplanes.
Auch die aufsichtsbehördliche Genehmigung vermag keinen ausreichenden Rechtsschutz dagegen zu bieten, daß der Grundeigentümer eine Vereinbarung unter dem Druck der drohenden Umwidmung widerstrebend abgeschlossen hat. Denn die Aufsichtsbehörde ist lediglich befugt, dem Flächenwidmungsplan die Genehmigung zu versagen - womit im übrigen die Rechtsstellung des Grundeigentümers verschlechtert würde - sie ist aber nicht in der Lage, auf die Gültigkeit abgeschlossener Vereinbarungen Einfluß zu nehmen.
Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofs gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen im Hinblick auf das Rechtsstaatsgebot treffen daher ebenfalls zu.
Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen geben der Gemeinde ein Mittel in die Hand, einen verkaufswilligen Grundeigentümer vor die Alternative zu stellen, das Grundstück entweder zu einem nicht von den Vertragspartnern bestimmten Grundstückspreis zu verkaufen oder die Rückwidmung in Grünland und die Entwertung des Grundstücks in Kauf zu nehmen, wobei dem Grundstückseigentümer gegen die unter dem Druck der drohenden Rückwidmung zustandegekommene Übertragungsvereinbarung keine effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten offenstehen. Der mit diesen Bestimmungen bewirkte massive und unverhältnismäßige Eigentumseingriff steht daher zu Art5 StGG und Art1 1. ZP EMRK in Widerspruch.
Das Gesetz verpflichtet die Gemeinde nicht, eine Rückwidmung von Bauland in Grünland - ohne Rücksicht auf etwa abgeschlossene privatrechtliche Vereinbarungen - nur aus raumordnungsfachlichen Gesichtspunkten vorzunehmen. Da §17 Abs12 dritter Satz Sbg RaumOG 1992 bei der Neuausweisung (einschließlich der Wiederausweisung) von Bauland ausschließlich auf die Tatsache des Abschlusses von Vereinbarungen gemäß §14 Abs2 Sbg RaumOG 1992 abstellt, verbietet er der Gemeinde, beim Nichtzustandekommen einer Vereinbarung - aus welchen Motiven auch immer - die Grundfläche als Bauland auszuweisen, und zwar auch dann, wenn an deren Verbauung ein raumordnungsfachliches Interesse besteht.
Es treffen daher auch die gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen zu.
Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen wurden in den Beschwerden zu B986/97 und B987/97 in der Stammfassung angewendet. §14 Abs2 und §17 Abs12 Sbg RaumOG 1992, LGBl. 98/1992, wurden durch die Novelle LGBl. 75/1997 geändert. Mit Kundmachung der Salzburger Landesregierung vom 01.04.98, LGBl. 44/1998, wurde das Sbg RaumOG wiederverlautbart.
Es war daher auszusprechen, daß §14, §17 Abs12 dritter Satz sowie §22 Abs2 litd Sbg RaumOG 1992, LGBl. 98/1992, verfassungswidrig waren.
Gemäß §3 des Sbg WiederverlautbarungsG, LGBl. 77/1987 idF LGBl. 41/1996, gilt der wiederverlautbarte Wortlaut des Landesgesetzes von dem Tag an, der auf den Herausgabetag des die Wiederverlautbarung enthaltenden Stückes des Landesgesetzblattes folgt. Da die in Prüfung gezogenen Bestimmungen von dem der Wiederverlautbarung folgenden Tag an ausschließlich in der wiederverlautbarten Fassung anzuwenden sind, waren sie in dieser Fassung aufzuheben.
Die Feststellung, daß §14 Abs2 Sbg RaumOG 1992 verfassungswidrig war und der Ausspruch, daß §14 Abs2 Sbg RaumOG in der wiederverlautbarten Fassung als verfassungswidrig aufgehoben wird, hat zur Folge, daß die RichtlinienV vom 20.09.93 gemäß Art139 Abs3 lita B-VG zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben war.
(Anlaßfall: V77,78/98, E v 15.10.99, Aufhebung der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Puch bei Hallein betreffend die generelle Überarbeitung des Flächenwidmungsplanes vom 05.05.94, 07.07.94, 05.03.96 und 09.05.96, soweit sie sich auf die Parzellen 56/11 und 56/18 bezieht).
Entscheidungstexte
Schlagworte
VfGH / Präjudizialität, Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Privatwirtschaftsverwaltung, Rechtsstaatsprinzip, Rechtsschutz, Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, Anwendbarkeit Gesetz, WiederverlautbarungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1999:G77.1999Dokumentnummer
JFR_10008987_99G00077_01