RS Vfgh 1999/10/16 WI-5/99, WI-6/99, WI-7/99

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Veröffentlicht am 16.10.1999
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Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0300 Landtagswahl

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art141 Abs1 lita
Tir LandtagswahlO 1993 §49 Abs3
Tir LandtagswahlO 1993 §51 Abs2
Tir LandtagswahlO 1993 §65 Abs4
Tir LandtagswahlO 1993 §65 ff

Leitsatz

Stattgabe der Anfechtung der Tiroler Landtagswahl vom 07.03.99 wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens vor einer Kreiswahlbehörde; kein rechtmäßiger Abschluss des von der Kreiswahlbehörde durchzuführenden Verfahrens (Feststellung des Wahlergebnisses für den Wahlkreis und erstes Ermittlungsverfahren); Überprüfung der Gültigkeit einzelner Stimmzettel durch die Kreiswahlbehörde aufgrund von Fall zu Fall unterschiedlicher Kriterien; keine Stattgabe der Wahlanfechtung der FPÖ wegen rechtswidriger Wahlwerbung, rechtswidriger Zulassung eines Wahlvorschlages und zufolge der gleichzeitigen Durchführung einer Volksbefragung; keine Bedenken gegen die Bestimmungen der Tir LandtagswahlO 1993 über die gültige Ausfüllung der Stimmzettel und die Vergabe von Vorzugsstimmen im Hinblick auf das Determinierungsgebot

Rechtssatz

Stattgabe der Anfechtung der Tiroler Landtagswahl vom 07.03.99 wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens vor der Kreiswahlbehörde für den Wahlkreis Nr 1 (Innsbruck-Stadt).

Zwar wurde am Ende der Sitzung der Kreiswahlbehörde am 10.03.99 von den Mitgliedern eine Niederschrift unterfertigt, die ua Feststellungen über das "endgültige Ergebnis" der Landtagswahl im Wahlkreis Nr 1 enthält, und auch beschlossen, die Wahlakten des Wahlkreises Innsbruck der Landeswahlbehörde vorzulegen. In einem Begleitschreiben wurde die Landeswahlbehörde aber "um entsprechende weitere Veranlassung" ersucht und eine "Neuauszählung" empfohlen, weil bei der Überprüfung des Wahlergebnisses in 25 "auf Grund diesbezüglich in den Niederschriften (der Sprengelwahlbehörden) gesehener Anlässe" ausgewählten Sprengeln "einerseits Mängel bei der Stimmenzuordnung, andererseits Interpretationsunterschiede in den Sprengelwahlbehörden betreffend die Gültigkeit von Stimmen zu Tage" getreten seien und somit "die Vermutung (naheliege), dass auch bei weiteren Sprengeln erhebliche Abweichungen feststellbar sein dürften". Anscheinend im Hinblick darauf unterblieb (im zeitlichen Zusammenhang mit der Unterfertigung der Niederschrift vom 10.03.99 durch die Mitglieder der Wahlbehörde) eine Verlautbarung gemäß §68 Abs3 Tir LandtagswahlO 1993 seitens der Kreiswahlbehörde.

Die Kreiswahlbehörde ist weiters - offenkundig auf Grund ihrer Unsicherheit über den normativen Gehalt des §65 Abs4 letzter Satz Tir LandtagswahlO 1993 - bei Beurteilung der Frage, ob ein Anlass zur Überprüfung der Gültigkeit einzelner Stimmzettel bestand, von Fall zu Fall von unterschiedlichen Kriterien ausgegangen. Auch darin liegt eine Rechtswidrigkeit des vor dieser Wahlbehörde durchgeführten Verfahrens.

Es ist evident, dass diese - solcherart erwiesene - Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens insoferne auch von Einfluss auf das Wahlergebnis war, als ein Restmandat, das auf Basis der sprengelwahlbehördlichen Ermittlungen ohne die im Verfahren vor der Kreiswahlbehörde vorgenommenen Berichtigungen der Bewertung der Gültigkeit einzelner Stimmzettel der VP Tirol zugekommen wäre, auf Basis der in der "Ergänzung der Niederschrift" (vom 18.3.1999) getroffenen kreiswahlbehördlichen Feststellungen den Grünen zufiel.

§65 Abs4 Tir LandtagswahlO 1993 ist dahingehend zu verstehen, dass die Kreiswahlbehörde zur Überprüfung und allfälligen Berichtigung der Bewertung der Gültigkeit einzelner Stimmzettel (nur) dann berufen ist, wenn sich bei der Durchsicht der Niederschrift einer Gemeinde- oder Sprengelwahlbehörde Umstände ergeben, die die Bewertung der Gültigkeit einzelner Stimmzettel durch die Sprengel(Gemeinde)wahlbehörde zweifelhaft erscheinen lassen.

Dagegen ist aus §65 Abs4 letzter Satz Tir LandtagswahlO 1993 nicht abzuleiten, dass schon die bloße Vermutung, die von einer Sprengel(Gemeinde)wahlbehörde vorgenommene Bewertung der Gültigkeit der einzelnen Stimmzettel könnte unzutreffend sein, ohne dass sich in der Niederschrift dafür Anhaltspunkte ergeben, die Kreiswahlbehörde berechtige, eine Überprüfung und allfällige Berichtigung dieser Bewertung vorzunehmen.

Ein Verstoß gegen §57 Abs1 zweiter Satz und §62 Abs1 zweiter Satz Tir LandtagswahlO 1993 bildet jedenfalls einen Anlass für eine Nachprüfung iSd §65 Abs4 letzter Satz Tir LandtagswahlO 1993.

Keine Stattgabe der Anfechtung der Tiroler Landtagswahl durch die FPÖ.

Selbst wenn die Behauptung der rechtswidrigen Wahlwerbung der VP Tirol - für die Erlangung eines Mandates sei nicht die Reihung auf der Wahlwerberliste sondern die Zahl der von den Wahlwerbern erzielten Vorzugsstimmen maßgeblich - zuträfe, handelte es sich dabei um ein Verhalten im Rahmen der den Parteien zuzurechnenden Wahlwerbung, die von der Tir LandtagswahlO 1993 nicht erfasst ist und demnach keinen Teil des Wahlverfahrens bildet (vgl VfSlg 13090/1992).

Im Falle des Zutreffens der behaupteten Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens zufolge der rechtswidrigen Zulassung des Wahlvorschlages der Wählergruppe mit der Bezeichnung "Sozialdemokratische Partei Österreichs-Tirol - Herbert Prock" im Wahlkreis Nr 1 (Innsbruck-Stadt) wäre das Wahlverfahren schon von der Entscheidung über die Zulässigkeit des Wahlvorschlages an aufzuheben. Zu einem solchen Ausspruch ist der Verfassungsgerichtshof aber wegen des engen Aufhebungsantrages der anfechtenden Wählergruppe ("ab dem Schluss der Stimmabgabe") nicht befugt.

Es trifft auch nicht zu, dass §42 Tir LandtagswahlO 1993 die gleichzeitige Durchführung des Stimmabgabeverfahrens einer Volksbefragung ausschlösse. Vielmehr ist die faktische Verbindung dieser beiden Verfahren von dieser gesetzlichen Vorschrift gänzlich unberührt.

Der Verfassungsgerichtshof hat keinen Anlass anzunehmen, dass §49 Abs3 oder §51 Abs2 Tir LandtagswahlO 1993 nicht dem aus Art18 B-VG abzuleitenden Determinierungsgebot entsprächen. Die Bedenken der Anfechtungswerberin dürften in Wahrheit der Zweckmäßigkeit dieser Regelungen gelten. Damit wären aber bloß rechtspolitische, nicht aber vom Verfassungsgerichtshof zu beurteilende verfassungsrechtliche Fragen aufgeworfen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Wahlen, Landtag, Ermittlungsverfahren (Wahlen), Stimmzettel, Wahlbehörden, Wahlvorschlag, Wahlwerbung, Volksbefragung, Determinierungsgebot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1999:WI5.1999

Dokumentnummer

JFR_10008984_99W00I05_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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