RS Vfgh 2000/6/15 B65/00 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 15.06.2000
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
B-VG Art133 Z4
B-VG Art144 Abs1 / Instanzenzugserschöpfung
B-VG Art144 Abs1 / Prüfungsmaßstab
StGG Art5
EMRK Art6 Abs1 / civil rights
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EG-Vertrag Art234
Richtlinie des Rates vom 18.06.92. 92/50/EWG, über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentl Dienstleistungsaufträge
Richtlinie des Rates vom 21.12.89. 89/665/EWG, zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentl Liefer- und Bauaufträge Art1
Vlbg VergabeG §9 f
Vlbg VergabeG §10
Vlbg VergabeG §11, §12, §13

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Abweisung von Beschwerden betreffend Nachprüfungsanträge in einem Vergabeverfahren in Vorarlberg; keine Bedenken gegen das obligatorisch durchzuführende Vorverfahren; keine Verpflichtung des Vergabekontrollsenates zur Vorlage bestimmter Fragen an den EuGH mangels offenkundiger Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität der Regelung des Rechtsschutzes im Vlbg Vergabegesetz; keine Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der belangten Behörde; keine unzulässige Verquickung mit der für Vergabesachen zuständigen Abteilung im Amt der Landesregierung

Rechtssatz

Zulässigkeit von Beschwerden gegen Bescheide des Vergabekontrollsenates (Vlbg).

Der Vergabekontrollsenat ist eine gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichtete Kollegialbehörde, deren Bescheide nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg unterliegen (§9 f Vlbg VergabeG). Der administrative Instanzenzug ist sohin erschöpft (vgl zB VfSlg 14499/1996).

Der Verfassungsgerichtshof hegt keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das im Vlbg VergabeG vorgesehene - obligatorisch durchzuführende - Vorverfahren, das dem Versuch der Streitschlichtung vor dem eigentlichen behördlichen Nachprüfungsverfahren dient. Ebensowenig bestehen angesichts der durch das vorläufige Zuschlagsverbot gemäß §11 Abs3 gesicherten Position der Bewerber bzw Bieter Bedenken gegen die verfahrensmäßige Verknüpfung des provisorialen Rechtsschutzes mittels einstweiliger Verfügung mit der Einleitung des Hauptverfahrens, und auch die Ausgestaltung des vorläufigen Zuschlagsverbotes begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Die von den Beschwerden relevierte Frage, ob das System in jeder Hinsicht den gemeinschaftsrechtlichen Vergaberichtlinien entspricht, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen: Das sekundäre Gemeinschaftsrecht ist für sich kein Maßstab für die verfassungsgerichtliche Kontrolle.

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Angesichts der in Art1 (3) der allgemeinen Rechtsmittelrichtlinie (RL 89/665/EWG) vorgebildeten Möglichkeit, daß die Mitgliedstaaten insbesondere verlangen können, daß derjenige, der ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber zuvor von dem behaupteten Rechtsverstoß und von der beabsichtigten Nachprüfung unterrichten muß, kann die Einrichtung eines Unterrichtungsverfahrens, wie es in §11 des Vlbg VergabeG vorgesehen ist, keinen ernsthaften Zweifeln an der Gemeinschaftsrechtskonformität begegnen, zumal das in Abs3 der Bestimmung normierte vorläufige Zuschlagsverbot die von Art1 (1) der Rechtsmittelrichtlinie gemeinschaftsrechtlich geforderte Effektivität des Rechtsschutzverfahrens während dieser Phase gewährleistet. Angesichts dessen bestand keine Verpflichtung des Vergabekontrollsenates, die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität der das Unterrichtungsverfahren betreffenden Regelungen im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH heranzutragen.

Keine Verletzung im Recht auf eine Entscheidung über einen zivilrechtlichen Anspruch durch ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal iSd Art6 Abs1 EMRK.

Der Vergabekontrollsenat hat sich auch dem äußeren Anschein nach im vorliegenden Fall als unabhängiges und unparteiisches Tribunal erwiesen.

Keine fachliche Nahebeziehung der belangten Behörde zur für Vergabesachen zuständigen Abteilung des Amtes der Vlbg Landesregierung (siehe Geschäftseinteilung).

Die bloße Mitgliedschaft von Verwaltungsbeamten in einem Tribunal ist nicht schon aus dem Grunde der hypothetischen Möglichkeit eines Interessenskonfliktes im Einzelfall unvereinbar. Die Zugehörigkeit des Berichterstatters zu einer Abteilung, die vielleicht in einem anderen Fall bei einer Vergabe des Landes für dieses tätig wird, ist deshalb als solche weder generell geeignet, den Anschein der Unabhängigkeit des Vergabekontrollsenates zu beeinträchtigen, noch im konkreten Fall, in dem die auftragsvergebende Tätigkeit eines Gemeindeverbandes zur Vergabe eines Dienstleistungsvertrages im Bereich der Abfallwirtschaft zu beurteilen war. Auch besteht kein Grund für die Annahme, daß den an der bekämpften Entscheidung mitwirkenden Landesbediensteten eine Kompetenz zur Beratung anderer Fachabteilungen, Gemeinden oder (was im vorliegenden Fall eventuell relevant wäre) von Gemeindeverbänden in Vergaberechtssachen zugekommen wäre.

Die bloße Benützung eines Faxgerätes bzw eines Faxdeckblattes einer Abteilung der Landesregierung bzw die Akteneinsicht in den Lokalitäten einer Abteilung der Landesregierung, die in das konkrete Vergabeverfahren in keiner Weise involviert ist, vermag den Eindruck mangelnder Unabhängigkeit nicht zu erwecken.

Das bloße Bestehen eines Dienstverhältnisses (eines Mitglieds des Vergabekontrollsenates) zu einer Gemeinde, die durch andere Organwalter im zugrundeliegenden Vergabeverfahren an der Meinungsbildung innerhalb des Verbandsvorstandes mitwirken konnte, erzeugt keinen Anschein mangelnder Unabhängigkeit.

Keine willkürliche oder denkunmögliche Entscheidung.

Ob alle Entscheidungen mitsamt rechtsrichtig getroffen wurden bzw ob der Vergabekontrollsenat in jeder Hinsicht die Geschäftsordnung eingehalten hat, sind - ungeachtet des Umstandes, daß gegen die bekämpften Bescheide eine Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht in Betracht kommt - Fragen, die der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen hat (vgl zB VfSlg 10565/1985, 15314/1998, VfGH vom 28.02.00, B2184/98).

Der Umstand, daß der Zuschlag erteilt wurde, während der Verfassungsgerichtshof das seine Entscheidung über den im Verfahren B508/00 gestellten Antrag auf Gewährung der aufschiebenden Wirkung vorbereitende Verfahren führte, wodurch diese Entscheidung, die im Fall der Stattgabe angesichts der vom Vergabekontrollsenat erlassenen einstweiligen Verfügung einer Auftragserteilung hindernd im Wege gestanden wäre, unterlaufen wurde, hat für die rechtliche Beurteilung des bekämpften Bescheides keine Bedeutung. Auch wenn die Vorgangsweise des Auftraggebers rechtswidrig gewesen sein sollte - eine Frage, die allenfalls in einem gerichtlichen Schadenersatzverfahren von Relevanz sein könnte, die aber nicht der Verfassungsgerichtshof zu entscheiden hat -, führte sie nicht zur Verfassungswidrigkeit der hier bekämpften Bescheide.

Entscheidungstexte

  • B 65/00 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 15.06.2000 B 65/00 ua

Schlagworte

EU-Recht, EU-Recht Richtlinie, Rechtsschutz, Vergabewesen, VfGH / Instanzenzugserschöpfung, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / Wirkung aufschiebende, Verwaltungsgerichtshof Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B65.2000

Dokumentnummer

JFR_09999385_00B00065_2_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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