Index
L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung des Gemeinderates der Stadt Graz betreffend die Anordnung einer Volksbefragung über die Verlängerung einer Straßenbahnlinie wegen Widerspruchs zum Stmk VolksrechteG; Zulässigkeit der - als Anfechtung des Ergebnisses einer Volksbefragung gewerteten - Eingabe trotz Fehlens expliziter Regelungen über die verfassungsgerichtliche Kontrolle von landesgesetzlich vorgesehenen Volksbefragungen; Anfechtungslegitimation der im vorangegangenen Einspruchsverfahren einspruchsberechtigten Antragsteller gegeben; Rechtzeitigkeit der - innerhalb der für die Einbringung von Bescheidbeschwerden offenstehenden Frist eingebrachten - Eingabe; Verordnung insgesamt präjudiziell; Verpflichtung des Gemeinderates gemäß dem Stmk VolksrechteG zur Überprüfung aller Fragen der Rechtmäßigkeit des Verfahrens der Volksbefragung einschließlich der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Fragestellung; konkret gewählte Fragestellung unklarRechtssatz
Zulässigkeit der - vorläufig als Anfechtung des Ergebnisses einer Volksbefragung in Graz gewerteten - Eingabe trotz Fehlens expliziter Regelungen über die verfassungsgerichtliche Kontrolle von landesgesetzlich vorgesehenen Volksbefragungen.
Bundesverfassungsrechtliche Bestimmungen sind so zu verstehen, daß sie nicht mit anderen Regelungen der Bundesverfassung - in concreto kommt Art99 B-VG in Betracht - in Widerspruch geraten. Die Schaffung von Einrichtungen der direkten Demokratie liegt in der Verfassungsautonomie der Länder.
Es verbietet sich, aus dem Umstand, daß der Bundesgesetzgeber nähere Regelungen über die Anfechtung der Ergebnisse von Volksbefragungen beim Verfassungsgerichtshof bislang nur für solche nach Art49b B-VG geschaffen hat, zu schließen, daß eine Anfechtung der Ergebnisse von auf Landes- und Gemeindeebene durchgeführten Volksbefragungen nicht möglich sei. Einerseits widerspräche ein solches Ergebnis den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips, das es ausschließt anzunehmen, es dürfte hoheitliche Akte von Verwaltungsorganen geben, die nicht auf ihre Übereinstimmung mit den sie determinierenden Gesetzesbestimmungen und den verfassungsrechtlichen Vorschriften geprüft werden können (vgl. VfSlg. 2455/1952); andererseits ist zu bedenken, daß Art141 Abs3 B-VG den Bundesgesetzgeber nicht nur ermächtigt, sondern verpflichtet, nähere Regelungen über die Zulässigkeit von Anfechtungen des Ergebnisses von Volksbegehren, Volksbefragungen und Volksabstimmungen zu erlassen: Durch Bundesgesetz geregelt wird nämlich nicht ob, sondern "(u)nter welchen Voraussetzungen" der Verfassungsgerichtshof über solche Anfechtungen entscheidet.
Legitimation der Antragsteller zur Anfechtung einer Volksbefragung in Graz gegeben.
In derartigen Konstellationen, in denen der Bundesgesetzgeber eine Regelung der Anfechtungsbefugnis nicht vorgenommen hat, sind die Legitimationsvoraussetzungen aus der maßgeblichen Verfassungsvorschrift unmittelbar abzuleiten (vgl. VfSlg. 9044/1981). Da Art141 Abs3 B-VG selbst keine explizite Beschränkung der Anfechtungslegitimation enthält, ist eine solche jedenfalls für die Antragsteller gegeben, die im vorangegangenen Einspruchsverfahren einspruchsberechtigt gewesen sind und Parteistellung hatten.
Rechtzeitigkeit der Anfechtung der Volksbefragung in Graz.
Eine ausdrückliche gesetzliche Festsetzung einer Frist für das Einbringen einer Anfechtung des Ergebnisses der aufgrund eines Landesgesetzes durchgeführten Volksbefragung liegt nicht vor.
Die - innerhalb der für die Einbringung von Bescheidbeschwerden offenstehenden Frist eingebrachte - Eingabe überschreitet eine allenfalls denkbare Begrenzung der Einbringungsfrist keinesfalls.
Der Gemeinderat hat in einem Verfahren über einen Einspruch nach §174 Stmk VolksrechteG alle Fragen der Rechtmäßigkeit des Verfahrens der Volksbefragung einschließlich der Rechtmäßigkeit der Anordnung der Fragestellung zu überprüfen.
Die vorläufige Annahme, der Verfassungsgerichtshof habe zur Beantwortung der in der Anfechtung aufgeworfenen Frage nach der Rechtmäßigkeit der der Volksbefragung zugrunde liegenden Fragestellung die in Prüfung genommene Verordnung anzuwenden, hat sich als zutreffend erwiesen: Die Fragestellung, deren Rechtmäßigkeit in Zweifel gezogen wird, wurde durch Punkt 1 der Verordnung fixiert; die übrigen Bestimmungen der Verordnung bilden mit diesem Punkt eine Einheit. Die Verordnung ist daher insgesamt präjudiziell.
Die Verordnung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Graz vom 21.11.96, GZ. A18 - K70/1996 - 5, betreffend die Anordnung einer Volksbefragung über die Verlängerung einer Straßenbahnlinie war gesetzwidrig.
Gerade Einrichtungen der direkten Demokratie erfordern es, daß das Substrat dessen, was den Wahlberechtigten zur Entscheidung vorgelegt wird, klar und eindeutig ist, damit Manipulationen hintangehalten und Mißverständnisse soweit wie möglich ausgeschlossen werden können. Diese ratio steht auch hinter der Bestimmung des Art156 Abs2 Stmk VolksrechteG.
Daß im konkreten Fall die angeordnete Fragestellung "Treten Sie dafür ein, daß die von der Stadt Graz geplante Verlängerung der Linie 6, die in dieser Form nicht zur Lösung der bestehenden Verkehrsprobleme beiträgt, nicht zur Ausführung gelangt?" unklar war, räumt der Sache nach auch der Gemeinderat ein.
Das verfassungsgerichtliche Verfahren ist nicht der Ort, allgemeine Erwägungen darüber anzustellen, welche Arten von Fragestellungen in welchen Konstellationen zulässig sein könnten; es ist ausschließlich zu beurteilen, ob die konkret gewählte Fragestellung den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Dies ist zu verneinen. Denn nach §155 Abs1 Stmk VolksrechteG haben Volksbefragungen "der Erforschung des Willens der Gemeindebürger" zu dienen und es besteht kein Zweifel daran, daß jede Verfälschung und Manipulation diesem Ziel entgegensteht; Fragestellungen, mit denen versucht wird, die Antwort in eine bestimmte Richtung zu lenken, widersprechen daher der Anordnung des §155 Abs1 leg.cit. und auch die Erfüllung der in dieser Bestimmung festgelegten Voraussetzung ist durch den Gemeinderat im Verfahren nach §158 Abs1 leg.cit. zu prüfen. Fragestellungen wie die konkret gewählte entsprechen diesen Anforderungen jedenfalls nicht.
Da mit der in Prüfung genommenen Verordnung die Durchführung einer Volksbefragung angeordnet wurde, welche inzwischen bereits durchgeführt wurde, wurde die Verordnung, die das Ende ihrer Wirksamkeit mit Durchführung der Volksbefragung in sich trägt, quasi konsumiert, so daß ihr keine normative Kraft mehr zukommt. Angesichts dessen hatte der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs4 B-VG auszusprechen, daß die Verordnung gesetzwidrig war.
(Anlaßverfahren WI-7/97, E v 28.09.00, Aufhebung des Verfahrens zur Volksbefragung betreffend die Verlängerung der Straßenbahnlinie 6 in Graz beginnend mit der Entscheidung des Gemeinderates über den Einleitungsantrag gem §158 Stmk VolksrechteG).
Schlagworte
Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Rechtsstaatsprinzip, Auslegung eines Antrages, Auslegung Verfassungs-, Landesverfassung, VfGH / Fristen, VfGH / Legitimation, VfGH / Präjudizialität, VolksbefragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:V103.1999Dokumentnummer
JFR_09999384_99V00103_01