RS Vfgh 2000/6/19 B344/98

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Veröffentlicht am 19.06.2000
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/01 Straßenverkehrsordnung 1960

Norm

EMRK 7. ZP Art4
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
StGB §81 Z2
StVO 1960 §5 Abs1 iVm §99 Abs1 lita
VfGG §67
VStG §51e
VStG §67g

Leitsatz

Keine Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Lenkens eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand trotz strafgerichtlichen Freispruchs vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung im Zuge derselben Tathandlung; keine vollständige Erschöpfung des Unrechts- und Schuldgehaltes der Verwaltungsübertretung durch das gerichtliche Strafverfahren; keine Verletzung der Verfahrensgarantien der Menschenrechtskonvention durch Absehen von einer mündlichen Verhandlung; kein Anschein der Parteilichkeit seitens des entscheidenden Einzelmitglieds aufgrund Bindung an die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes bei Erlassung des angefochtenen Ersatzbescheides

Rechtssatz

Selbst bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen ist ein Absehen von der Verfolgung und Bestrafung im Hinblick auf Art4 Abs1 7. ZP EMRK nur dann geboten, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt des einen herangezogenen Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt des anderen Deliktstypus im wesentlichen Aspekt mitumfaßt und vollständig erschöpft, sodaß kein weitergehendes Strafbedürfnis übrigbleibt. Vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung unter besonders gefährlichen Umständen wurde der Beschwerdeführer freigesprochen, weil das Strafgericht es nicht als erwiesen ansah, daß er die fahrlässige Tötung wirklich begangen hatte. Ob - wie im vorliegenden Fall - der Beschwerdeführer vorher ein Fahrzeug in alkoholisiertem Zustand gelenkt hatte, war im Hinblick auf dieses Verfahrensergebnis sohin für das Strafgericht nicht mehr von Bedeutung. Der Unrechts- und Schuldgehalt der Verwaltungsübertretung nach §5 Abs1 iVm §99 Abs1 lita StVO 1960 war daher durch das gerichtliche Strafverfahren wegen §81 Z2 StGB nicht vollständig erschöpft und es bestand hinsichtlich dieser Übertretung ein weitergehendes Strafbedürfnis.

Die belangte Behörde hat das Berufungsvorbringen denkmöglich dahingehend qualifiziert, daß lediglich die unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wurde und diese Rechtsansicht im Bescheid auch begründet. Der Verfassungsgerichtshof kann daher in der Nichtdurchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung keinen in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmangel erkennen.

Ebensowenig vermag der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf §67g AVG in der Unterlassung der öffentlichen Verkündung des Berufungsbescheides einen in die Verfassungssphäre reichenden Verfahrensmangel festzustellen.

Zum Vorwurf, dem entscheidenden Einzelmitglied der belangten Behörde hätte es an Unparteilichkeit gefehlt, ist zu bemerken, daß dieses Bedenken angesichts der Bindung des entscheidenden Einzelmitgliedes im zweiten Rechtsgang an die Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes im aufhebenden Erkenntnis (§67 VfGG 1953) unbegründet ist. Ein Anschein der Parteilichkeit liegt etwa dann vor, wenn ein Mitglied eines Tribunals mit derselben Angelegenheit schon in einer anderen Stellung befaßt war (siehe Herbst in:

Machacek/Pahr/Stadler, Grund- und Menschenrechte und Menschenrechte in Österreich, Bd. III, 1997, 683). Bei der Erlassung eines Ersatzbescheides im zweiten Rechtsgang kann daher nicht von einer "anderen Stellung" des Organs gesprochen werden.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Strafrecht, Straßenpolizei, Alkoholisierung, Verwaltungsstrafrecht, Verhandlung mündliche, Bescheidverkündung, Zusammentreffen strafbarer Handlungen, Konkurrenz, VfGH / Prüfungsmaßstab, Ersatzbescheid, fair trial, Doppelbestrafungsverbot

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B344.1998

Dokumentnummer

JFR_09999381_98B00344_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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