RS Vfgh 2000/6/21 G41/00 ua, V28/00 ua

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 21.06.2000
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8000 Raumordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art139 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
Flächenwidmungsplan der Gemeinde Sölden vom 09.05. und 21.06.94
Tir RaumOG 1997 §41
Tir RaumOG 1994 §65
Tir RaumOG 1994 §67, §68, §69

Leitsatz

Verordnungscharakter eines Gemeinderatsbeschlusses über die Änderung eines Flächenwidmungsplanes und Präjudizialität der Verordnung aufgrund der Verpflichtung der Aufsichtsbehörde zur Anwendung der fraglichen Verordnung gegeben; Gesetzwidrigkeit einer Freilandwidmung mangels ordnungsgemäßer Kundmachung aufgrund Kundmachung bereits vor Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde; keine Rechtfertigung der Freilandwidmung eines voll erschlossenen und zentral gelegenen Grundstücks; keine Verfassungswidrigkeit der Bestimmung über Freilandwidmungen im Tir Raumordnungsgesetz; kein automatisches Eintreten einer Freilandwidmung bei Aufhebung einer Widmung durch den Verfassungsgerichtshof; Präjudizialität trotz möglicherweise falscher Rechtsauffassung der Aufsichtsbehörde gegeben

Rechtssatz

Zulässigkeit eines Verfahrens zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit eines Flächenwidmungsplanes.

Die Beschlussfassung des Gemeinderates über die Änderung des Flächenwidmungsplanes ist als Genehmigung der Änderung des Flächenwidmungsplanes gemäß §65 Tir RaumOG 1994 zu qualifizieren.

Kundmachung durch öffentlichen Anschlag.

Der Gemeinderat hat daher eine Verordnung erlassen und kundgemacht, mit der er den Flächenwidmungsplan für das Grundstück Nr. 2253/2, KG Sölden, durch Freilandwidmung abgeändert hat.

Wurde die Freilandwidmung durch Verordnung der Gemeinde Sölden ausdrücklich verfügt, so hätte die Tiroler Landesregierung bei ihrer Entscheidung über die Vorstellung diese Verordnung anzuwenden gehabt. Daher hat auch der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung |ber die Beschwerde diese Verordnung anzuwenden. Da auch alle übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Sölden vom 09.05.94 und 21.06.94, kundgemacht am 30.06.94, soweit damit das Grundstück Nr. 2253/2, KG Sölden, als Freiland gewidmet wird, wird gemäß Art139 Abs1 B-VG als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Kundmachung eines zustimmungsbedürftigen Verwaltungsaktes vor Erteilung der Zustimmung ist nicht als ordnungsgemäße Kundmachung anzusehen. Die Verordnung ist daher schon aus diesem Grunde gesetzwidrig.

Der allgemeine Hinweis der Gemeinde, sie sei verpflichtet, Flächen, die nicht als Bauland gewidmet sind, als Baulandreserve für künftige Generationen zu bewahren, rechtfertigt im vorliegenden Fall die Freilandwidmung (eines voll erschlossenen und zentral gelegenen Grundstücks) nicht. Die der Änderung des Flächenwidmungsplans zugrundeliegende Grundlagenforschung lässt keinen Hinweis darauf erkennen, warum gerade das Grundstück Nr. 2353/2 KG Sölden für künftige Generationen freigehalten werden soll. Die Gemeinde weist darauf hin, dass das derzeit unverbaute Grundstück eine Schlüsselfunktion für künftige Entwicklungsaspekte der Gemeinde Sölden habe. Sie hat damit jedoch nur ein mögliches Raumordnungsziel isoliert herausgegriffen und mit anderen Zielsetzungen nicht in Relation gebracht und weiters eine derartige Planungsabsicht nicht in einem konkreten Widmungsakt festgelegt, sondern wollte offenbar das Grundstück in Form einer Freilandwidmung für künftige noch unbestimmte Planungsvorhaben reservieren.

Zulässigkeit des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung des §41 Tir RaumOG 1997.

Die Tiroler Landesregierung hat bei Erlassung des angefochtenen Bescheides, der Anlass zur Einleitung der Normenprüfungsverfahren bot, §41 Abs1 Tir RaumOG 1997 angewendet. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die Tiroler Landesregierung nunmehr behauptet, von einer falschen Rechtsansicht ausgegangen zu sein. Denn unter der - vom Verfassungsgerichtshof zwar als rechtsunrichtig erkannten aber immerhin denkmöglichen - Annahme, dass keine ausdrückliche Freilandwidmung durch Verordnung festgelegt war, war die Rechtsansicht der Tiroler Landesregierung nur folgerichtig.

Keine Verfassungswidrigkeit des §41 Tir RaumOG 1997.

Im Fall der Aufhebung einer Flächenwidmung durch den Verfassungsgerichtshof tritt die Rechtsfolge der Freilandwidmung nach '41 Abs1 Tir RaumOG 1997 nicht ein. Denn aus der bei der im Prüfungsbeschluss ausgeführten verfassungskonformen Auslegung dieser Bestimmung ("Als Freiland gelten alle Grundflächen, die nicht als Bauland, Sonderflächen oder Vorbehaltsflächen gewidmet sind" ...) ergibt sich, dass die Anwendung der Generalklausel des §41 Abs1 Tir RaumOG 1997 den Willen der Gemeinde voraussetzt, durch Nichtwidmung einer Fläche die Rechtsfolge der Freilandwidmung herbeizuführen. Der Verfassungsgerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass im Fall der Aufhebung einer Flächenwidmung durch den Verfassungsgerichtshof für das von der Aufhebung der Widmung erfasste Grundstück überhaupt keine Widmungs- und Nutzungsart festgelegt ist und dass daher - solange nicht eine neue rechtmäßige Widmung verfügt oder zu deren Vorbereitung eine Bausperre erlassen wurde - die Baubewilligung für ein beabsichtigtes Bauvorhaben auf diesem Grundstück nicht allein wegen Widerspruchs zum Flächenwidmungsplan versagt werden kann.

(Anlaßfall: E v 30.06.00, B3178/97 ua - Aufhebung des angefochtenen Bescheides sowohl wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung als auch wegen Verletzung im Gleichheitsrecht durch grobe Verkennung der Rechtslage bei Versagung der Baubewilligung aufgrund der Annahme einer ex lege eingetretenen Freilandwidmung iSd §41 Tir RaumOG 1997).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Raumordnung, Flächenwidmungsplan, Freiland, Gemeinderecht, Aufsichtsrecht, Genehmigung, Vorstellung, Verordnungsbegriff, Verordnung Kundmachung, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Anlaßfall, Auslegung verfassungskonforme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:G41.2000

Dokumentnummer

JFR_09999379_00G00041_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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