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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine sachliche Rechtfertigung der unterschiedlichen Gestaltung des Beitragsrechts in der Pensionsversicherung nach dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz für die sogenannten "neuen Selbständigen" und die sonstigen Gewerbetreibenden; Zusammenfassung aller Risken in der gesetzlichen Sozialversicherung; auch keine sachliche Rechtfertigung der höheren Beiträge von Freiberuflern durch Begründung der Pflichtversicherung erst aufgrund Überschreiten einer bestimmten EinkommensgrenzeRechtssatz
§27 Abs1 Z3 sowie der Ausdruck "Z 1 bis 3" in §27 Abs1 Z2 GSVG, BGBl 560/1978, idF des Arbeits- und Sozialrechts-ÄnderungsG 1997, BGBl I Nr 139/1997, und der 23. GSVG-Nov, BGBl I Nr 139/1998, werden als verfassungswidrig aufgehoben.
Zwar trifft es zu, daß die Pflichtversicherung nach §2 Abs1 Z1 bis Z3 GSVG unabhängig von der Höhe der Einkünfte aus der Erwerbstätigkeit (selbst bei Verlusten) eintritt und vorausgesetzt wird, daß zumindest die Mindestbeiträge für die Sozialversicherung aufgebracht werden können, während für die sogenannten "neuen Selbständigen", soweit keine Erklärung nach §2 Abs1 Z4 zweiter Satz GSVG abgegeben worden ist, erst durch das Überschreiten der im §4 Abs1 Z5 oder Z6 leg cit angeführten Einkommensgrenzen eine Pflichtversicherung begründet wird. Dies allein kann aber keine sachliche Rechtfertigung für eine unterschiedliche Gestaltung des Beitragsrechts in Fällen von gleich hohen Einkünften (und damit gleich hoher Beitragsgrundlage) und gleichem Leistungsrecht innerhalb derselben Versichertengemeinschaft sein.
In der gesetzlichen Sozialversicherung ist es dem Gesetzgeber grundsätzlich verwehrt, innerhalb derselben Risikengemeinschaft zwischen "guten" und "schlechten" Risiken wie in der privatrechtlichen Versicherung zu unterscheiden. Es ist vielmehr ein Charakteristikum der gesetzlichen Sozialversicherung, daß in ihr alle Risiken zu einer Risikengemeinschaft zusammengefaßt und einem einheitlichen Beitragsrecht unterstellt werden (vgl VfSlg 12739/1991 mwN; ferner Grillberger, Österreichisches Sozialrecht, 3. Aufl, Wien - New York 1996, 10 f).
Auch keine sachliche Rechtfertigung durch Unterschiede im Tatsächlichen zwischen Freiberuflern und Gewerbetreibenden.
Bei der Personengruppe des §2 Abs1 Z4 GSVG kennt das Beitragsrecht folgerichtig Versicherungsgrenzen (§4 Abs1 Z5 und Z6 GSVG), (die zugleich auch Mindestbeitragsgrundlagen sind - §25 Abs4 Z2 lita und litb GSVG), während für Gewerbetreibende (die bei aufrechter, nicht ruhender Gewerbeberechtigung auch im Falle von Verlusten kontinuierlich versicherungspflichtig bleiben) nur eine (deutlich höhere) Mindestbeitragsgrundlage (§25 Abs4 Z1 GSVG), jedoch keine Versicherungsgrenze besteht.
Den aus den gem §34 Abs1 GSVG vom Bund aus Steuermitteln geleisteten Beitragszuschüssen steht keine steuerliche Sonderleistung der gem §2 Abs1 Z1 bis Z3 GSVG Versicherten gegenüber, sodaß letztlich durch diesen Zuschuß die allgemeinen Steuermittel vermindert werden.
Es wäre Sache des Gesetzgebers, entweder die in der derzeitigen Wanderversicherung liegenden möglichen Nachteile für kleinere Versicherungsgemeinschaften durch geeignete - sachliche - Maßnahmen (wie zB einen Ausgleich der "Wanderversicherungsverluste" durch Überweisungen von einem gesetzlichen Sozialversicherungsträger an den anderen) zu neutralisieren oder die "Wanderversicherung" auf eine andere, diese Nachteile mildernde Weise zu regeln.
(Anlaßfälle: E v 29.06.00, B2251/98, B2413/98, B2421/98; Quasi-Anlaßfall: E v 26.06.00, B1414/99 - Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Entscheidungstexte
Schlagworte
Sozialversicherung, Pensionsversicherung, BeiträgeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:G7.2000Dokumentnummer
JFR_09999374_00G00007_01