RS Vfgh 2000/6/27 B683/98

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Veröffentlicht am 27.06.2000
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/04 Apotheken, Arzneimittel

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
EMRK 7. ZP Art4
EMRK Art6 Abs1 / Strafrecht
EMRK Art6 Abs1 / Tribunal
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art7
ApothekenG §20a
ApothekerkammerG §18
ApothekerkammerG §21
ApothekerkammerG §23

Leitsatz

Kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot und keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren durch Verhängung der Disziplinarstrafe des Verbots der Ausübung des Apothekerberufs nach (bereits beendeter) vorläufiger Enthebung von der Leitung der Apotheke im Zuge eines Verwaltungsstrafverfahrens; kein Verstoß gegen die geforderte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Disziplinarberufungssenates; keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter; Verletzung im Gleichheitsrecht mangels Berücksichtigung der vorläufigen Enthebung von der Leitung der Apotheke bei der Strafbemessung im Disziplinarverfahren

Rechtssatz

Kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot.

Bei der Regelung des §20a ApothekenG handelt es sich, wie aus Sinn und Zweck der Bestimmung abgeleitet werden kann, nicht um eine strafrechtliche Sanktion, sondern um eine verwaltungspolizeiliche einstweilige Vorsorge zur Abwehr von Gefahren, die der Volksgesundheit durch Mißstände in der Heilmittelabgabe drohen. Diese Maßnahme ist auch nicht als Strafe im Sinne des Art4 des 7. ZP EMRK zu qualifizieren.

Die Unterlassung der Einrechnung der zeitweiligen Entziehung der Leitung der Apotheke im Disziplinarverfahren steht daher ebenfalls nicht in Widerspruch zu Art4 des 7. ZP EMRK.

Die Wahrnehmung des sogenannten "disziplinären Überhanges" durch disziplinarstrafrechtliche Maßnahmen neben einer strafrechtlichen Verfolgung ist mit dem Verbot der Doppelbestrafung vereinbar (s. E v 24.06.99, B191/99; E v 04.10.99, B2447/97).

Das vom Beschwerdeführer als verantwortlicher Leiter der Apotheke zu verantwortende Verhalten ist dergestalt zu bewerten, daß die Wahrnehmung des sogenannten "disziplinären Überhangs" disziplinarrechtlichen Reaktionen vorbehalten werden kann.

Der Beschwerdeführer übersieht, daß Art6 EMRK in seinem Anwendungsbereich ein "faires" Verfahren garantiert, während er jedoch vermeint, die materiellen Rechtsfolgen wären "unfair". Die diesbezügliche Berufung auf Art6 EMRK geht daher schon im Ansatz fehl.

Kein Verstoß gegen die geforderte Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Disziplinarberufungssenates.

Eine dienstliche oder organisatorische Abhängigkeit entsteht nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht schon allein dadurch, daß zwei an der Entscheidung des Disziplinarberufungssenates Mitwirkende zugleich Beamte des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales sind und somit aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Planstellenbereich dieses Bundesministeriums in Angelegenheiten des Apothekenwesens theoretisch auf die Willensbildung untergeordneter Behörden einwirken könnten. Der Auffassung, daß ein theoretisch konstruierbarer Zusammenhang zwischen der konkreten Dienstpflicht des Beamten im Bundesministerium einerseits und der Mitwirkung als von Verfassungswegen weisungsfrei gestelltes Mitglied eines "Tribunals" anderseits bereits dazu führt, daß dessen Unparteilichkeit und Unabhängigkeit nicht mehr gegeben sei, kann der Verfassungsgerichtshof nicht folgen.

Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Zweifel daran, daß §21 ApothekerkammerG im Zeitpunkt der Beschlußfassung über den bzw. der Erlassung des angefochtenen Bescheides Beisitzer aus dem Stand des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales und nicht solche aus dem Stand des Bundeskanzleramtes verlangt hat, weil das Gesetz implizit davon ausgeht, daß Bedienstete aus der mit Angelegenheiten des Apothekenrechtes befaßten Sektion zu bestellen sind.

Der Verfassungsgerichtshof hegt weiters keine Bedenken dagegen, daß die beiden vom Beschwerdeführer bezeichneten Beisitzer während des gesamten Administrativverfahrens den Anforderungen des - richtig verstandenen - §21 ApothekerkammerG entsprochen haben. Die belangte Behörde war daher gesetzmäßig zusammengesetzt.

Kein Verstoß gegen Art7 EMRK.

Der Verfassungsgerichtshof hegt keine Bedenken, daß der den Bescheid tragende §18 Abs1 ApothekerkammerG iVm. den aus dem ApothekenG abzuleitenden strengen Sorgfaltsmaßstäben für Inhaber konzessionierter öffentlicher Apotheken - zumindest aus der Sicht des Anlaßfalles - den Anforderungen des Art18 Abs1 B-VG iVm Art7 EMRK an die Standesregeln der freien Berufe entspricht (vgl. hiezu grundlegend VfSlg. 11.776/1988).

Der Verfassungsgerichtshof kann aber auch nicht erkennen, daß die Annahme der belangten Behörde, u.a. das Zulassen der Ausfolgung von rd. 110.000 Tabletten Rohypnol auf Grund von pro ordinatione ausgestellten Rezepten in einem kurzen Zeitraum und ohne Hinterfragung ihrer Verwendung verstoße gegen die den Apothekerberuf betreffenden Standesregeln, unvertretbar wäre oder den angewendeten Rechtsvorschriften einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt hätte.

Verletzung im Gleichheitsrecht.

In dem Disziplinarberufungserkenntnis wurde in keiner Weise darauf eingegangen, daß zwischenzeitig die vorläufige Maßnahme der Enthebung von der Leitung der Apotheke vollzogen worden war, der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren von dem Vorwurf der Verletzung des Arzneimittel- und des Rezeptpflichtgesetzes aber zur Gänze freigesprochen wurde. Daß dieser - doch für das Verfahren so essentielle - Umstand im bekämpften Bescheid, gerade was die Dauer des Entzugs des Rechts auf Leitung einer Apotheke betrifft, gar keine Beachtung zugemessen wurde, ist im vorliegenden Fall von eminenter Bedeutung. Wenngleich die Bedachtnahme auf das bereits als vorläufige Maßnahme verhängte Verbot zur Leitung der Apotheke rechtlich im Sinne einer "Anrechnung dieser Zeit" nicht geboten ist, enthebt dies die Behörde in einem derart hervorstechenden Fall nicht davon, bei der Strafbemessung im Disziplinarverfahren eine entsprechende Abwägung des bereits erlittenen Übels im Verhältnis zum verbleibenden "disziplinären Überhang" vorzunehmen und in der Bescheidbegründung darzustellen. Die Unterlassung dieser Abwägungen ist in diesem Fall der Behörde als Willkür vorzuwerfen.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Apotheken, Disziplinarrecht, Strafen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B683.1998

Dokumentnummer

JFR_09999373_98B00683_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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