Index
L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Gesetzwidrigkeit der ursprünglichen irrtümlichen Widmung eines nunmehr als Grünland gewidmeten Grundstücks als VerkehrsflächeSpruch
Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Wolfsgraben vom 18. Dezember 1974, genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Juli 1975, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 1. August bis 16. August 1975, war, soweit damit für das Grundstück Nr. 278/3 die Widmung Verkehrsfläche festgelegt wird, gesetzwidrig.
Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aufhebung im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B1117/02 eine Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:
Der Bürgermeister der Gemeinde Wolfsgraben wies den Antrag der Beschwerdeführer auf Genehmigung der Errichtung eines Hausanschlusskastens mit integriertem Müllplatz sowie einer Einfriedungsmauer samt Einfahrtstor auf den Grundstücken Nr. 61/250 und 278/3, KG Wolfsgraben, mit Bescheid vom 13. November 2001 gemäß §20 Abs1 und 3 NÖ BauO 1996 iVm §18 Abs3, §19 Abs2 Z1 u. Z4a NÖ ROG 1976 ab. Mit demselben Bescheid ordnete er gemäß §35 Abs2 Z3 erster Fall NÖ BauO 1996 den Abbruch des Hausanschlusskastens, der zum Teil auf als Verkehrsfläche (Grst. Nr. 278/3), zum anderen Teil auf als Grünland-Landwirtschaft (Grst. Nr. 61/250) gewidmeten Grundstücken errichtet worden war, an. Die Einfriedungsmauer und das Einfahrtstor seien zur Gänze auf dem als öffentliche Verkehrsfläche gewidmeten Grundstück projektiert worden. Das Wohnhaus der Beschwerdeführer ist als erhaltenswertes Gebäude im Grünland gewidmet.
Der Gemeindevorstand der Gemeinde Wolfsgraben wies die dagegen erhobene Berufung mit Bescheid vom 18. Dezember 2001 ab.
Die Niederösterreichische Landesregierung gab der Vorstellung mit bekämpftem Bescheid vom 21. Mai 2002 keine Folge. Ein Hausanschlusskasten und Müllplatz dürften - entgegen der Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid - gemäß §19 Abs6 NÖ ROG 1976 zwar in sämtlichen Grünlandwidmungsarten errichtet werden; die Vorhaben stünden jedoch gemäß §18 NÖ ROG 1976 im Widerspruch zur Widmung als Verkehrsfläche.
2. In der im Verfahren B1117/02 erhobenen Beschwerde wurde die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet. Im Flächenwidmungsplan sei - angeblich seit 1976 - eine in der Natur nicht vorhandene öffentliche Verkehrsfläche (Grst. Nr. 278/3) festgelegt.
3. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 29. November 2004 beschlossen, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Wolfsgraben vom 18. Dezember 1974, genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Juli 1975, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 1. August bis 16. August 1975, soweit damit für das Grundstück Nr. 278/3 die Widmung Verkehrsfläche festgelegt wird, von Amts wegen zu prüfen.
4. Bei der Behandlung der Beschwerde sind ob des widersprüchlichen Vorbringens der Gemeinde Wolfsgraben im verfassungsgerichtlichen Verfahren zu B1117/02 zwei unterschiedliche Bedenken entstanden. Das erste Bedenken lautete:
"[...] Der Verfassungsgerichtshof geht zunächst vorläufig von einer im Zuge der - nicht präjudiziellen - Änderung des örtlichen Raumordnungsprogramms, Beschluss des Gemeinderates vom 16. Juni 2004, vorgenommenen 'Plankorrektur' aus, durch die das Grundstück Nr. 278/3 nun als 'Grünland - Landwirtschaft' gewidmet wurde. Aus den diesbezüglich vorgelegten Unterlagen scheint sich zu ergeben, dass die Gemeinde die Klassifizierung 'V' im Kataster bei der erstmaligen Erlassung des Flächenwidmungsplans (Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Wolfsgraben vom 18. Dezember 1974, genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Juli 1975) falsch gedeutet haben dürfte. Der Verfassungsgerichtshof hegt daher vorläufig das Bedenken, dass die Festlegung der Verkehrsfläche für das Grundstück Nr. 278/3 bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Erlassung des Flächenwidmungsplans vom eigentlichen Willen des Verordnungsgebers nicht gedeckt gewesen sein dürfte. Die Verordnungserlassung dürfte dadurch derart unsachgemäß erfolgt sein, dass dies die Gesetzwidrigkeit der Verordnung zur Folge haben dürfte.
[...]"
Weiters ging der Verfassungsgerichtshof vorläufig davon aus, dass die Gemeinde nie die Errichtung einer Verkehrsfläche beabsichtigt haben dürfte.
5. Die Niederösterreichische Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie mitteilt, keine Stellungnahme abzugeben.
6. Die Gemeinde Wolfsgraben erstattete keine Äußerung.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes, dass das Beschwerdeverfahren, das Anlass zur Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens gegeben hat, zulässig ist, und dass der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Beschwerde die in Prüfung gezogene Verordnung der Gemeinde Wolfsgraben anzuwenden hätte, haben sich als zutreffend erwiesen.
2. Auch das vorläufige - aus dem Prüfungsbeschluss wiedergegebene - Bedenken des Verfassungsgerichtshofes gegen die Gesetzmäßigkeit der in Rede stehenden Verordnung trifft zu:
Weder die Niederösterreichische Landesregierung noch die Gemeinde Wolfsgraben sind den im Prüfungsbeschluss gefassten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes entgegengetreten.
Das Grundstück Nr. 278/3 war im Flächenwidmungsplan 1975 als Verkehrsfläche festgelegt. Das örtliche Raumordnungsprogramm wurde "durch Festlegungen im gesamten Gemeindegebiet [mit Beschluss des Gemeinderates vom 16. Juni 2004] abgeändert", genehmigt von der Niederösterreichischen Landesregierung am 18. August 2004, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 25. August bis 8. September 2004, in Kraft getreten am 9. September 2004. Das Grundstück Nr. 278/3 ist mit dieser Verordnung - dem ursprünglichen Willen des Verordnungsgebers entsprechend - als Grünland - Land- und Forstwirtschaft gewidmet worden. Die Widmung "Verkehrsfläche" beruhte bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Erlassung des Flächenwidmungsplans (Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Wolfsgraben vom 18. Dezember 1974, genehmigt mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 23. Juli 1975) auf einem Irrtum. Die Gemeinde hatte weder die Absicht, eine öffentliche Verkehrsfläche zu errichten, noch das Grundstück als Verkehrsfläche zu widmen. Eine sachlich nicht begründbare Verordnungserlassung hat jedoch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung, soweit damit eine Verkehrsfläche für das Grundstück Nr. 278/3 festgelegt war, zur Folge. In diesem Umfang war die Gesetzwidrigkeit der genannten Verordnung auszusprechen.
Auf die übrigen Bedenken war daher nicht mehr einzugehen.
3. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur Kundmachung dieses Ausspruchs stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Baurecht, Raumordnung, FlächenwidmungsplanEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:V3.2005Dokumentnummer
JFT_09949391_05V00003_00