TE Vfgh Beschluss 2005/6/9 G106/04

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Veröffentlicht am 09.06.2005
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Index

67 Versorgungsrecht
67/01 Versorgungsrecht

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
AKG 1992 §4
Betriebliches MitarbeitervorsorgeG §10 Abs2

Leitsatz

Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Betrieblichen Mitarbeitervorsorgegesetzes (BMVG) betreffend Einbeziehung einer kollektivvertragsfähigen freiwilligen Interessenvertretung in das Verfahren der Auswahl einer Mitarbeitervorsorgekasse mangels Eingriff in die Rechtssphäre der antragstellenden Arbeiterkammer

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol beantragt gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG die Aufhebung der Worte "freiwillige" in drei Sätzen des §10 Abs2 des Betrieblichen Mitarbeitervorsorgegesetzes (BMVG), BGBl. I Nr. 100/2002, als verfassungswidrig. Diese Bestimmung regelt das Verfahren der Auswahl einer Mitarbeitervorsorgekasse in Betrieben ohne Betriebsrat und sieht vor, dass die kollektivvertragsfähige freiwillige Interessenvertretung der Arbeitnehmer dem Verfahren beigezogen wird. Sie lautet im Zusammenhang wie folgt (angefochtene Worte hervorgehoben):

"§10. (1) Für Arbeitnehmer, die von keinem Betriebsrat vertreten sind, hat die Auswahl der MV-Kasse zunächst durch den Arbeitgeber rechtzeitig zu erfolgen.

(2) Über die beabsichtigte Auswahl der MV-Kasse sind alle Arbeitnehmer binnen einer Woche schriftlich zu informieren. Wenn mindestens ein Drittel der Arbeitnehmer binnen zwei Wochen gegen die beabsichtigte Auswahl schriftlich Einwände erhebt, muss der Arbeitgeber eine andere MV-Kasse vorschlagen. Auf Verlangen dieser Arbeitnehmer ist eine kollektivvertragsfähige freiwillige Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu den weiteren Beratungen über diesen Vorschlag beizuziehen. Wird trotz Einbeziehung einer kollektivvertragsfähigen freiwilligen Interessenvertretung der Arbeitnehmer binnen zwei Wochen kein Einvernehmen über die Auswahl der MV-Kasse erzielt, hat über Antrag eines der beiden Streitteile die Schlichtungsstelle gemäß §144 ArbVG oder gleichartigen österreichischen Rechtsvorschriften über die Auswahl der MV-Kasse zu entscheiden. Streitteile im Sinne des §144 ArbVG oder gleichartiger österreichischer Rechtvorschriften in einem solchen Verfahren sind der Arbeitgeber einerseits und die kollektivvertragsfähige freiwillige Interessenvertretung der Arbeitnehmer andererseits."

Der Antrag weist darauf hin, dass in weiterer Folge der freiwilligen Interessenvertretung auch die Nominierung von Beisitzern der Schlichtungsstelle obliegt (§144 Abs3 ArbVG) und die Regelung auch auf den Wechsel der Kasse anzuwenden ist (§12 Abs4 BMVG).

Die Antragslegitimation stützt die antragstellende Kammer auf ihre Interessenvertretungsaufgabe nach §4 Arbeiterkammergesetz (AKG), in deren Besorgung sie "bei allen Maßnahmen und Einrichtungen ..... mitzuwirken" berufen sei (Abs2 Z4). Die angegriffene Regelung schließe sie von dieser Mitwirkung aus. Darin liege - wie die Begründung des (die Gemeinde als Selbstverwaltungskörper betreffenden) Beschlusses VfSlg. 11.873/1988 zeige - ein Eingriff in die Rechtssphäre der Institution. Dieser erfolge unmittelbar und könne mangels Parteistellung im Auswahlverfahren auch vor kein zur allfälligen Antragstellung berufenes Organ gebracht werden. Der Bevorzugung freiwilliger Interessenvertretungen fehle ein sachlicher Grund.

Die Bundesregierung hält den Antrag für unzulässig. Aus der Generalklausel des §4 AKG seien keine konkreten einzelnen Befugnisse ableitbar. Keine Vorschrift garantiere der Arbeiterkammer die Mitwirkung an einer bestimmten Maßnahme (wie Art118 B-VG der Gemeinde die Besorgung bestimmter Angelegenheiten im eigenen Wirkungsbereich). Die der freiwilligen Interessenvertretung neu eingeräumte Befugnis werde der Arbeiterkammer auch nicht genommen; deren Aufgabenbereich bleibe vielmehr unverändert.

Die Regelung entspreche dem auch sonst bestehenden (für den Themenkomplex "Entgelt" typischen) Vorrang der freien Berufsvereinigungen.

II. Der Antrag ist unzulässig.

Gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation im Normenprüfungsverfahren ist jedoch, dass die Norm nicht bloß faktische Wirkungen zeitigt, sondern in die Rechtssphäre der betreffenden Person eingreift und sie im Falle der Rechtswidrigkeit verletzt. Anfechtungsberechtigter ist also - wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan hat (vgl. nur VfSlg. 16.186/2001) - von vornherein nur ein Rechtsträger, an den oder gegen den sich die angefochtene Norm wendet (Normadressat).

Dass die angegriffene Norm sich an sie wende, behauptet die antragstellende Kammer nicht. Sie sieht sich vielmehr dadurch, dass nur freiwillige Interessenvertretungen den Beratungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern beizuziehen sind und im Verfahren vor der Schlichtungsstelle Parteistellung haben, von einem ihr zustehenden Recht ausgeschlossen. Indessen stünden ohne die angegriffene Norm die darin eingeräumten Befugnisse auch der Arbeiterkammer nicht zu. Die ihr durch §4 AKG zugewiesene allgemeine Aufgabe der Interessenvertretung verpflichtet weder den Arbeitgeber, sie zu den in Rede stehenden Beratungen beizuziehen, noch verleiht er Parteistellung im Schlichtungsverfahren. Die ihrer Aufgabenstellung entsprechende Möglichkeit, die Arbeitnehmer zu beraten, wird durch die angegriffene Vorschrift nicht berührt. In bestimmten Angelegenheiten eingeräumte Befugnisse der Kammer bleiben gleichfalls aufrecht.

Die Rechtssphäre der antragstellenden Kammer ist daher durch die angegriffene Norm nicht berührt. Der von ihr bezogene Beschluss aus 1988 hat andere, für die Stellung der Gemeinde spezifische Rechtsfragen betroffen.

Der Antrag ist folglich mangels Legitimation ohne Befassung mit der Sache selbst zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).

Schlagworte

Arbeiterkammern, VfGH / Individualantrag, VfGH / Legitimation, Pensionskassen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:G106.2004

Dokumentnummer

JFT_09949391_04G00106_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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