Index
90 Straßenverkehrsrecht, KraftfahrrechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 40 km/h im Ortsgebiet mangels ausreichenden Ermittlungsverfahrens vor Verordnungserlassung; gebotene Interessenabwägung nicht nachvollziehbarSpruch
I.1. Der Punkt I. der Verordnung des Bürgermeisters der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 20. November 1997, Zl. Z-40/97-2, idF vom 1. Dezember 1997, Zl. Z-40/97-3, mit der das Überschreiten einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h auf sämtlichen Gemeindestraßen im Ortsgebiet von Perchtoldsdorf verboten wurde, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
2. Die Aufhebung tritt mit 31. Dezember 2005 in Kraft.
II. Die Niederösterreichische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt verpflichtet.
III. Im Übrigen wird der Verordnungsprüfungsantrag zurückgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Der Bürgermeister der Marktgemeinde Perchtoldsdorf hat mit Verordnung vom 20. November 1997, Zl. Z-40/97-2, gemäß §43 Abs1 litb Z1 sowie §76b StVO 1960 folgende Verkehrsmaßnahmen erlassen:
"V e r o r d n u n g
Der Bürgermeister der Marktgemeinde Perchtoldsdorf als für Gemeindestraßen zuständige Verkehrsbehörde gemäß §94 d Z4 und 8 a verordnet gemäß §43 Abs1 litb Z1 sowie §76 b, alle Straßenverkehrsordnung 1960, in der derzeit geltenden Fassung nachstehende Verkehrsmaßnahmen:
I.
Das Überschreiten einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h ist Fahrzeuglenkern auf sämtlichen Gemeindestraßen im Ortsgebiet von Perchtoldsdorf verboten, wobei die Geschwindigkeitsbeschränkung als Zonenbeschränkung gilt und mit den Verkehrszeichen gemäß §52 Z11 a 'Zonenbeschränkung' und gemäß §52 Z11 b Straßenverkehrsordnung 1960 'Ende einer Zonenbeschränkung' an nachstehenden Straßenkreuzungen kundzumachen ist:
1.
Sonnbergstraße bei der nördlichen Hausecke der Liegenschaft Sonnbergstraße Nr. 105
2.
Steinberg Frank Gasse bei Einmündung in die Ketzergasse
3.
Popovicgasse bei Einmündung in die Ketzergasse
4.
Goethestraße bei Einmündung in die Ketzergasse
5.
Anzengrubergasse bei Einmündung in die Ketzergasse
6.
Meister Kliebergasse bei Einmündung in die Ketzergasse
7.
Ketzergasse auf Perchtoldsdorfer Gebiet bei Abzweigung von der Ketzergasse vor Haus Nr. 283
8.
Rembrandtgasse bei Einmündung in die Ketzergasse
9.
Hamerlinggasse bei Einmündung in die Ketzergasse
10.
Lehargasse bei Einmündung in die Ketzergasse
11.
Mühlgasse bei Abzweigung von der B 12
12.
Industriestraße bei Einmündung in die Brunner Feldstraße
13.
Eichertgasse bei Einmündung in die Brunner Feldstraße
14.
Uhlandgasse bei Einmündung in die Brunner Feldstraße
15.
Eisenhüttelgasse im Kreuzungsbereich Vesperkreuzstraße
16.
Vesperkreuzstraße bei Abzweigung von der Eisenhüttelgasse 7
17.
Vierbatzstraße bei Einmündung in die Eisenhüttelgasse
18.
Hugo Wolfgasse bei Abzweigung von der Herzogbergstraße
19.
Kunigundbergstraße bei Abzweigung von der Herzogbergstraße
20.
Tirolerhofallee bei Abzweigung von der Herzogbergstraße
21.
Schirgenwaldallee bei Abzweigung von der Herzogbergstraße
22.
Lärchenweg bei Abzweigung von der Herzogbergstraße
23.
beide Einmündungen der Umkehrschleife Wüstenrotstraße-Herzogbergstraße in die Herzogbergstraße
24.
Gustav Freytaggasse bei Abzweigung von der Herzogbergstraße
25.
Salitergasse bei Abzweigung von der B 13
26.
Grienauergasse bei Abzweigung von der B 13
27.
Matthias Langgasse westlicher und östlicher Ast bei Abzweigung von der B 13
28.
Greinergasse bei Abzweigung von der B 13
29.
Wienergasse bei Abzweigung von der B 13
30.
Streckergasse bei Abzweigung von der B 13
31.
Ambros Riedergasse bei Abzweigung von der B 13
32.
Beethovenstraße bei Abzweigung von der B 13
33.
Ambros Riedergasse, nördlicher und südlicher Ast bei Abzweigung von der Plättenstraße
34.
Waßmuthstraße bei Abzweigung von der Plättenstraße
35.
Regenhartgasse nördlicher Ast bei Abzweigung von der Plättenstraße
36.
Feldgasse nördlicher Ast bei Einmündung in die Plättenstraße/ Wienergasse
37.
Schweglergasse bei Einmündung in die Wienergasse
38.
Gauguschgasse bei Einmündung in die Wienergasse
39.
Bahnzeile bei Einmündung in die Wienergasse
40.
Franz Siegelgasse bei Einmündung in die Wienergasse
41.
Kraussgasse bei Einmündung in die Wienergasse
42.
Babenbergergasse bei Einmündung in die Wienergasse
43.
Schubertgasse bei Einmündung in die Wienergasse
44.
Garnhaftgasse bei Einmündung in die Wienergasse
45.
Grillparzerstraße bei Einmündung in die Wienergasse
46.
Aspettengasse bei Einmündung in die Wienergasse
47.
Rosenthalgasse bei Einmündung in die Wienergasse
Das Ende der Zonenbeschränkung ist weiters an nachstehenden Kreuzungen wie folgt kundzumachen:
1.
Einmündung der Schillerpromenade in die B 13
2.
Feldgasse südlicher Ast vor Einmündung in die Plättenstraße/ Wienergasse
3.
Wienergasse bei Einmündung in die L 2091
4.
Strenningergasse bei Einmündung in die Wienergasse
5.
Regenhartgasse südlicher Ast Zonenende bei Einmündung in die Plättenstraße
II.
Das Überschreiten einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h ist Fahrzeuglenkern auf nachstehenden Gemeindestraßen auf Gemeindegebiet von Perchtoldsdorf verboten, wobei die Geschwindigkeitsbeschränkung mit den Verkehrszeichen gemäß §50 Z10 a Straßenverkehrsordnung '40' und gemäß §52 Z10 b Straßenverkehrsordnung 'Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung' an nachstehenden Kreuzungen kundzumachen ist:
1.
Talgasse bei Einmündung in die Kaltenleutgebnerstraße
2.
Feierfeilgasse bei Einmündung in die Brunner Feldstraße
3.
Blankenfeldgasse bei Einmündung in die Brunner Feldstraße
4.
Am Rain bei Abzweigung von der B 13 mit 'Ende' bei Einmündung in die Herzogbergstraße
5.
Schremsgasse beide Äste von der B 13 abzweigend
6.
Straßenzug Schirgenwald bei Einmündung in die Herzogbergstraße
7.
Gussenbauergasse bei Abzweigung von der Herzogbergstraße
8.
Gussenbauergasse bei Abzweigung von der Brunnerbergstraße
III.
Die bestehenden Wohnstraßen Strenningergasse, Schweglergasse und Tirolerhofallee werden aufgehoben, die bisherige Kundmachung ist durch Entfernung der Verkehrszeichen aufzuheben.
IV.
Diese Verordnung ist gemäß §44 Straßenverkehrsordnung 1960 durch obgenannte Verkehrszeichen kundzumachen, sämtliche frühere Verordnungen, welche im Widerspruch zu dieser Verordnung stehen, werden aufgehoben und sind die bezughabenden Verkehrszeichen zu entfernen.
Der Bürgermeister:
..."
1.2. Mit Verordnung vom 1. Dezember 1997, Zl. Z-40/97-3, wurde der Punkt I. der Verordnung vom 20. November 1997, Zl. Z-40/97-2, um einen weiteren Aufstellungsort des Verkehrszeichens "Zonenbeschränkung" gemäß §52 Z11a StVO 1960 ergänzt.
Die Kundmachung der angefochtenen Verordnung erfolgte nach der Aktenlage durch Aufstellen entsprechender Verkehrszeichen.
2. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (künftig: UVS), Außenstelle Wiener Neustadt, ist eine Berufung gegen ein näher bezeichnetes Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling anhängig, mit welchem die Berufungswerberin bestraft wurde, weil sie am 16. Februar 2002 im Ortsgebiet von Perchtoldsdorf, auf der Mühlgasse, Höhe Firma BMW Zitta, Fahrtrichtung Westen, die aufgrund des Vorschriftszeichens "Zonenbeschränkung" erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 40 km/h überschritten habe.
Aus Anlass dieses Berufungsverfahrens entstanden beim UVS Zweifel ob der Erforderlichkeit der vorliegenden Verordnung gemäß §43 Abs1 StVO 1960. Begründend führt er aus, dass sich die Verordnung ausschließlich auf das verkehrstechnische Gutachten aus 1995 stütze. Ausgehend vom Befund, wonach die B 13 und die L 2091 mit 10.000 bis 12.000 Kfz/24h stark belastet sind, während (ua.) die Mühlgasse mit rund 5.000 Kfz/24h als höher belastete Gemeindestraße gilt, komme der Gutachter zum Schluss, dass "nicht zuletzt aufgrund des außerordentlich hohen Verkehrssicherheitsniveau[s] im Perchtoldsdorfer Straßennetz ein Zusammenhang zwischen Geschwindigkeitsverhalten und Unfallstatistik nicht hergestellt werden könne". Da die Festlegung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit unter der vom Gesetzgeber als unbedenklich erachteten Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet nicht gerechtfertigt sei, stellte der UVS den auf Art139 Abs1 und Abs3 B-VG iVm. Art129a Abs3 und Art89 Abs2 B-VG gestützten Antrag, die Verordnung des Bürgermeisters der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 20. November 1997 idF vom 1. Dezember 1997, mit welcher gemäß §43 Abs1 litb Z1 sowie §76b StVO 1960 das Überschreiten einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h auf sämtlichen Gemeindestraßen im Ortsgebiet der Gemeinde Perchtoldsdorf verboten ist, wobei die Geschwindigkeitsbeschränkung als Zonenbeschränkung gilt, als gesetzwidrig aufzuheben.
3.1. Der Bürgermeister der Marktgemeinde Perchtoldsdorf legte dem Verfassungsgerichtshof die Verordnungsakten einschließlich der verkehrstechnischen Stellungnahmen vom 15. und 22. Jänner 2004 vor und erstattete eine Gegenschrift.
Darin weist er zunächst darauf hin, dass "§43 Abs1 litb Ziffer 1 StVO durchaus die Ermächtigung normiert, Beschränkungen nicht nur auf einen Straßenzug sondern für ein Gebiet festzulegen". Diese Bestimmung enge eine Geschwindigkeitsbeschränkung nicht auf einen einzelnen Straßenzug ein, der Begriff Straße sei vielmehr allgemein zu verstehen. Aus den vorgelegten Unterlagen und dem Antrag könne der Eindruck entstehen, dass sich die gegenständliche Verordnung "unreflektiert auf den gesamten Ort" beziehe, Faktum sei aber, "dass nur einzelne Gebiete im Ortsbereich von Perchtoldsdorf Gegenstand der Beschränkung sind".
Insoweit der UVS die Erforderlichkeit dieser Verordnung anzweifelt und die Stadt Wien zu Vergleichen heranzieht, wird auf die Gutachten vom 15. und 22. Jänner 2004 verwiesen und die Abweisung des Antrags beantragt. Nach Aufforderung wurde dem Gerichtshof ein Plan von den von der Zonenbeschränkung erfassten Ortsteilen vorgelegt.
3.2. Die niederösterreichische Landesregierung wurde zu einer Äußerung eingeladen, erstattete jedoch keine.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
1.1. Da der Verfassungsgerichtshof nicht berechtigt ist, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, darf er einen Antrag im Sinne der Art89 Abs1 iVm. Art129a Abs3 und 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückweisen, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet (VfSlg. 9811/1983, 12.189/1989, 14.512/1996 ua.).
1.2. Der UVS hat bei seiner Entscheidung über die bei ihm anhängige Berufung die Verordnung des Bürgermeisters der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 20. November 1997, idF vom 1. Dezember 1997, anzuwenden. Dies insoweit als Punkt I. sowohl die zonenweise Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h auf "sämtlichen Gemeindestraßen im Ortsgebiet" (erster Halbsatz), somit auch in der Mühlgasse, normiert, als auch die Kundmachung dieser Zonenbeschränkung bzw. deren Ende mittels Aufstellung entsprechender Verkehrszeichen an näher bezeichneten Straßenkreuzungen regelt (zweiter Halbsatz).
Die geltend gemachten Bedenken richten sich gegen die Erforderlichkeit einer sämtliche Gemeindestraßen im Ortsgebiet umfassenden Geschwindigkeitsbeschränkung und somit ausschließlich gegen Punkt I. der Verordnung, der aufgrund seiner Konzeption (Normierung der Geschwindigkeitsbeschränkung einschließlich Kundmachungsanordnung) eine untrennbare Einheit bildet.
Die angefochtene Verordnung ist in Punkt I. präjudiziell.
1.3. Hingegen sind die Punkte II.
(Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h auf bestimmt bezeichneten Gemeindestraßen im Gemeindegebiet), III. (Aufhebung bestimmter Wohnstraßen) und IV. (Aufhebung sämtlicher entgegenstehender Verordnungen) im Verfahren vor dem UVS nicht präjudiziell. Der Annahme des UVS, wonach die gesamte Verordnung eine untrennbare Einheit bilde und als solche präjudiziell sei, ist nicht zu folgen. Aus dem Antrag des UVS geht auch nicht hervor, dass er bei der Entscheidung über die Berufung gegen das Straferkenntnis die Punkte II. bis IV. der Verordnung vom 20. November 1997 idF 1. Dezember 1997 anzuwenden gehabt hätte.
Soweit der UVS die Aufhebung der gesamten Verordnung - über Punkt I. hinaus - mit der Begründung beantragt, dass mangels Erforderlichkeit iSd. §43 Abs1 StVO 1960 die gesetzliche Grundlage fehle, ist der Verordnungsprüfungsantrag iSd. Art139 Abs1 B-VG unzulässig und der Antrag daher insoweit zurückzuweisen. Daran vermag auch die Ermächtigung des Verfassungsgerichtshofes nach Art139 Abs3 B-VG nichts zu ändern (vgl. VfSlg. 9358/1982, 13.310/1992, 14.512/1996).
2. In der Sache:
2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung ist der Verfassungsgerichtshof in einem auf Antrag eingeleiteten Normprüfungsverfahren an die im Antrag aufgeworfenen Bedenken gebunden, sodass er ausschließlich beurteilt, ob die angefochtenen Bestimmungen aus den in der Begründung des Antrags dargelegten Gründen - und nicht etwa auch aus sich aus Fragen der Zuständigkeit der Behörde zur Erlassung der angefochtenen Bestimmungen ergebenden Gründen - gesetz- bzw. verfassungswidrig sind (vgl. zB VfSlg. 12.592/1990, 12.691/1991, 12.947/1991, 13.471/1993, 13.704/1994, 14.050/1995, 14.466/1996).
2.2. Gemäß §43 Abs1 litb StVO 1960 hat die Behörde für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung, wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert, dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote (...) zu erlassen.
Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg. 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und ua. in VfSlg. 13.371/1993 und 14.051/1995 wiederholte, sind "bei Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 ... die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für welche die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen". Der Verfassungsgerichtshof geht sohin in ständiger Judikatur davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Geschwindigkeitsbeschränkungen durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für die eine Geschwindigkeitsbeschränkung in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie eine Herabsetzung der vom Gesetzgeber selbst allgemein für den Straßenverkehr in §20 Abs2 StVO 1960 festgesetzten Höchstgeschwindigkeiten rechtfertigen (zB VfSlg. 16.016/2000).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer Verordnung gemäß §43 StVO 1960 die im einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 8086/1977, 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung "der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse" durch ein entsprechendes Anhörungs- und Ermittlungsverfahren (vgl. VfSlg. 12.485/1990, 13.449/1993 sowie jüngst VfSlg. 16.805/2003).
2.3. Nach der Aktenlage war für 31. Oktober 1997 eine Verhandlung zur verkehrstechnischen Überprüfung der Einführung einer Zonenbeschränkung von 40 km/h auf Gemeindestraßen der Marktgemeinde von Perchtoldsdorf anberaumt. Im Verordnungsakt findet sich dazu lediglich ein Schreiben, worin sich die Wirtschaftskammer Niederösterreich, Bezirksstelle Mödling, gegen die flächendeckende Geschwindigkeitsbeschränkung mangels Erforderlichkeit iSd. §43 Abs1 StVO 1960 ausspricht. Nach Aufforderung des Gerichtshofes, die Verhandlungsniederschrift vorzulegen, teilte der Bürgermeister der Marktgemeinde Perchtoldsdorf mit, dass diese "bedauerlicherweise ... nicht mehr auffindbar" sei. Ob die Erforderlichkeit der angefochtenen Geschwindigkeitsbeschränkung in einem Ermittlungsverfahren festgestellt wurde, kann den Verordnungsakten daher nicht entnommen werden.
Das Ermittlungsverfahren dient dem Zweck, eine "Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrsverhältnisse" sowie eine "sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll" zu ermöglichen, damit die Behörde auf dieser Grundlage die gemäß §43 StVO 1960 vor Verordnungserlassung gebotene Interessenabwägung zwischen den Interessen an der Verkehrsbeschränkung und dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße vornehmen kann. Daher kann das versäumte Ermittlungsverfahren nicht nach Verordnungserlassung nachgeholt werden. Die gutachterlichen Stellungnahmen vom 15. und 22. Jänner 2004, die offenkundig erst nach der Antragstellung durch den UVS eingeholt wurden, vermögen die Gesetzwidrigkeit der Verordnung nicht zu beseitigen (vgl. zB VfSlg. 15.643/1999, 16.805/2003).
3. Sohin ist Punkt I. der Verordnung des Bürgermeisters der Marktgemeinde Perchtoldsdorf vom 20. November 1997, Zl. Z-40/97-2, in der Fassung vom 1. Dezember 1997, Zl. Z-40/97-3, mit der gemäß §43 Abs1 litb Z1 sowie §76b StVO 1960 auf sämtlichen Gemeindestraßen im Ortsgebiet der Marktgemeinde Perchtoldsdorf eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 40 km/h angeordnet wird, als gesetzwidrig aufzuheben. Bei diesem Verfahrensergebnis war es nicht möglich, auf die Erforderlichkeit der flächendeckenden Geschwindigkeitsbeschränkung iSd. §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 einzugehen.
4. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich angesichts des Verfahrensergebnisses veranlasst, gestützt auf Art139 Abs5 letzter Satz B-VG, eine Frist bis zum 31. Dezember 2005 für das Außerkrafttreten des Punktes I. der Verordnung zu setzen.
5. Die Verpflichtung zur Kundmachung des Ausspruchs des Verfassungsgerichtshofes gründet sich auf Art139 Abs5 B-VG.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gefällt werden.
Schlagworte
Straßenpolizei, Geschwindigkeitsbeschränkung, Verordnungserlassung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / PrüfungsgegenstandEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:V128.2003Dokumentnummer
JFT_09949387_03V00128_00