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97 VergabewesenNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Verfassungswidrigkeit der Festlegung eines Schwellenwertes im Bundesvergabegesetz; Gemeinschaftsrechtskonformität keine sachliche Rechtfertigung aufgrund der doppelten Bindung gesetzlicher Regelungen an gemeinschaftsrechtliche und verfassungsrechtliche Vorgaben; Gleichheitswidrigkeit des Verzichts auf außenwirksame Regelungen des Vergabeverfahrens im Unterschwellenbereich und des dadurch bedingten Fehlens jeglichen vergabespezifischen RechtsschutzesRechtssatz
Zulässigkeit des Gesetzesprüfungsverfahrens betreffend die Bestimmung eines Schwellenwertes in §3 Abs1 BundesvergabeG; Präjudizialität gegeben; zulässige Abgrenzung des Prüfungsgegenstandes.
Wenn eine gesetzliche Bestimmung, die die Geltung von außenwirksamen Vorschriften über das von Auftraggebern einzuhaltende Verfahren und über den vergabespezifischen Rechtsschutz für Vergaben unterhalb bestimmter Schwellenwerte ausschließt, behoben würde, so würden die entsprechenden Vorschriften eben auch für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte gelten.
Bei der Abwägung über die Abgrenzung der zu prüfenden und allenfalls aufzuhebenden Bestimmungen ist auch zu bedenken, daß die verbleibende Regelung zu keinem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen darf (vgl. etwa VfGH 04.03.1999, B2418/97-17). Die von der Bundesregierung intendierte Prüfung des gesamten Abs1 des §3 BundesvergabeG würde jedoch im Falle der Aufhebung evidentermaßen zu einem gemeinschaftsrechtswidrigen Ergebnis führen.
Die Wortfolge "dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens fünf Millionen ECU beträgt" in §3 Abs1 BundesvergabeG, BGBl. Nr. 462/1993, war verfassungswidrig.
Der Umstand, daß die Schwellenwertregelung den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben entspricht, vermag sie noch nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Gesetzliche Regelungen unterliegen insofern einer doppelten Bindung, als sie sowohl den gemeinschaftsrechtlichen als auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen müssen.
Es widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz, daß das bei der Vergabe öffentlicher Aufträge einzuhaltende Verfahren nur im Bereich oberhalb bestimmter Schwellenwerte gesetzlich geregelt war, sodaß den Bewerbern und Bietern Rechtspositionen nur in diesem Bereich eingeräumt waren.
Die in fast allen Bereichen existierenden sog. "selbstbindenden Verwaltungsvorschriften", die für die mit der Vergabe betrauten Bediensteten verbindlich waren und mit denen in der Regel die Vorschriften der ÖNORM A 2050 (teilweise jener des Jahres 1957, teilweise jener aus 1993), allerdings in der Regel mit - unterschiedlichen - Abweichungen, verbindlich gemacht wurden, waren als generelle Weisungen etwa eines Bundesministers naturgemäß nicht geeignet, den Bundesminister selbst zu binden, noch auch waren sie außenwirksam in dem Sinn, daß die Bewerber und Bieter aus ihnen ein subjektives Recht auf Einhaltung der selbstbindenden Vorschriften ableiten konnten.
Grenzwertregelungen, wie sie sich in der Rechtsordnung häufig finden, sind keineswegs a priori unsachlich. Es ist jedoch sachlich nicht zu rechtfertigen, im Unterschwellenbereich den Bewerbern und Bietern nicht einmal ein Minimum an Verfahrensgarantien zu gewährleisten.
Gleichheitswidrigkeit des Fehlens eines vergabespezifischen Rechtsschutzes im "Unterschwellenbereich".
Es ist sachlich nicht gerechtfertigt, in solchen Fällen die Kontrolle aufwendiger zu gestalten, Provisorialentscheidungen zu erschweren und das Interesse des Auftraggebers an raschen Entscheidungen geringer zu veranschlagen. Mit anderen Worten: Die Konsequenzen des gerichtlichen Bieterschutzes für die Kontrolle des Vergabeverfahrens vor der Zuschlagsentscheidung stehen in keiner sachlichen Relation zu den unterschiedlichen tatsächlichen Gegebenheiten, an die sie anknüpfen.
(Anlaßfall: E v 30.11.00, B4773/96 ua - Aufhebung der angefochtenen Bescheide; Quasi-Anlaßfall: E v 13.12.00, B1475/97 ua).
Entscheidungstexte
Schlagworte
EU-Recht, Rechtsschutz, Vergabewesen, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, Selbstbindung, Weisung generelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:G110.1999Dokumentnummer
JFR_09998870_99G00110_01