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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Keine Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen der Satzung 1975 der BVA und der Krankenordnung der BVA betreffend Kostenersatz in Form von Kostenzuschüssen bei Fehlen vertraglicher Regelungen für neuartige Behandlungsmethoden; Vorliegen einer planwidrigen Lücke; verfassungskonforme Auslegung einer Bestimmung des B-KUVG gebotenRechtssatz
Zulässigkeit des Antrags des OLG Linz auf Aufhebung des §43 Abs4 der Satzung 1975 der BVA und des Punktes 10a der Krankenordnung der BVA.
Das antragstellende Gericht hat die Präjudizialitätsfrage denkmöglich bejaht: Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist der Anspruch eines bei der beklagten Versicherungsanstalt Versicherten gegen diese Versicherungsanstalt auf Kostenersatz für eine Leistung, die nicht in der Honorarordnung der Versicherungsanstalt und auch sonst nicht (gesamt)vertraglich vorgesehen ist.
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß, wie die Versicherungsanstalt in ihrer Äußerung ausführt, die Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen keine "Veränderung der Rechtslage" (gemeint: kein anderes Ergebnis des gerichtlichen Verfahrens im Anlaßfall) herbeiführen würde. Die Wirkung eines Normenprüfungsverfahrens auf das Anlaßverfahren ist nämlich ohne Bedeutung für die Präjudizialität (vgl. VfSlg. 4469/1963).
Die im Anlaßfall gegebene Konstellation des Fehlens bloß einer vertraglichen Regelung für eine bestimmte (neuartige) ärztliche Behandlung ist weder in §59 noch in §60 und §60a B-KUVG ausdrücklich geregelt.
Der Kostenerstattungsanspruch des Versicherten kann sich schon deshalb nicht nach §59 B-KUVG richten, weil das - mitunter als "kassenfreier Raum" bezeichnete - Problem des Fehlens einer vertraglichen Regelung für bestimmte Leistungen bei Vertragsärzten und Nichtvertragsärzten (sog. Wahlärzten) in ganz gleicher Weise auftreten kann, weshalb die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang dem Krankenversicherten in solchen Fällen ein Kostenersatz zusteht, in beiden Konstellationen zum selben Ergebnis führen muß.
§60 B-KUVG enthält allein für den Fall eine Regelung, daß infolge des Wegfalls einer vertraglichen Regelung Vertragsärzte (Vertragsdentisten) nicht zur Verfügung stehen.
§60a B-KUVG kennt zwei Anwendungsfälle bei Fehlen einer vertraglichen Regelung mit "anderen" Vertragspartnern: Haben Verträge bestanden, sind diese jedoch weggefallen, so gebührt dem Anspruchsberechtigten Kostenersatz entsprechend dem historischen Vertragstarif (vgl. §60 B-KUVG). Haben solche Verträge hingegen überhaupt nicht bestanden, so ist die Versicherungsanstalt ermächtigt, in ihrer Satzung Kostenzuschüsse festzusetzen.
Keine Gesetzwidrigkeit des §43 Abs4 der Satzung 1975 der BVA und des Punktes 10a der Krankenordnung der BVA.
Den Krankenversicherungsträger trifft nicht die Pflicht, im Falle "außervertraglicher" Leistungen die dem Versicherten entstandenen Behandlungskosten zur Gänze zu tragen: Eine solche Pflicht ließe das - das sozialversicherungsrechtliche Leistungssystem beherrschende - Sachleistungsprinzip nämlich von vornherein als überflüssig erscheinen und leerlaufen. Der Umstand, daß jene (vom Gesamtvertrag nicht umfaßte und daher nicht als Sachleistung in Betracht zu ziehende) Behandlung, der sich der Kläger des Anlaßverfahrens unterzogen hat, medizinisch notwendig und zweckmäßig, allenfalls auch mit niedrigeren Kosten als die sonst üblichen Behandlungsmethoden verbunden gewesen sei, kann an diesem Ergebnis nichts ändern.
Erweist sich, daß der bei vertraglich nicht geregelten ärztlichen Leistungen in Betracht kommende Leistungsanspruch im Gesetz nicht näher geregelt ist, wohl aber für andere Fälle der Lückenhaftigkeit von Verträgen in §60 und §60a B-KUVG Bestimmungen getroffen worden sind, so ist - gemessen am dargestellten Konzept des Gesetzgebers - das Vorliegen einer planwidrigen Lücke anzunehmen.
Eine Nutzung aller Auslegungsmöglichkeiten ist auch bei Beurteilung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung geboten (vgl. VfSlg. 14.631/1996) und liegt hier umso näher, als die allein am Wortlaut orientierte Auslegung des im Hinblick auf den hier zu beurteilenden Problemkreis in erster Linie heranzuziehenden §60a B-KUVG diese Bestimmung als unsachlich und somit im Sinne des Art7 Abs1 B-VG iVm Art2 StGG als gleichheitswidrig erscheinen ließe. Es wäre nämlich kein sachlicher Grund dafür zu finden, bei ansonsten völlig gleichem Sachverhalt die Ansprüche des Versicherten davon abhängig zu machen, ob eine Leistung deshalb nicht als Sachleistung zur Verfügung steht, weil mangels geeigneter Vertragspartner Verträge noch nicht bestehen, oder ob letzteres deshalb der Fall ist, weil die in Rede stehende Behandlungsmethode neu und noch nicht allgemein in Gebrauch ist.
Wendet man §60a B-KUVG analog auch auf den Fall an, daß eine neuartige ärztliche Leistung vertraglich noch nicht erfaßt ist, so ergibt sich daraus, daß die Versicherungsanstalt unter Bedachtnahme auf ihre finanzielle Leistungsfähigkeit auch für diese Leistungen einen Kostenersatz in Form von Kostenzuschüssen in ihrer Satzung vorzusehen hat.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Auslegung verfassungskonforme, Analogie, Sozialversicherung, Krankenversicherung, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:V70.1996Dokumentnummer
JFR_09998799_96V00070_01