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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / AllgLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung eines Antrags der Ärztekammer für Tirol auf Feststellung des Nichtbestehens einer Verpflichtung der Tiroler Vertragsärzte zur Behandlung von EWR-Ausländern nach den Bestimmungen der Honorarordnung betreffend vertraglich festgesetzte Kassentarife; keine Verletzung der Vorlagepflicht durch die Bundesschiedskommission; Inhalt des Gesamtvertrages durch unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht modifiziert; Widerspruch der Ausnahme von EWR-Urlaubern aus dem Anwendungsbereich des Gesamtvertrages zum Diskriminierungsverbot des EG-Vertrages und zu einer EWG-VerordnungRechtssatz
Die Bundesschiedskommission ist auf Grund der Weisungsfreiheit ihrer Mitglieder und der Garantie ihrer Unabhängigkeit nicht nur ein Tribunal iSd Art6 Abs1 EMRK (vgl E v 14.06.00, B1245/98, mwN), sondern auch ein vorlagepflichtiges Gericht iSd Art234 EG-Vertrag.
Art22 Abs1 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 läßt zunächst keinen Zweifel daran, daß es den österreichischen Krankenversicherungsträgern unmittelbar kraft des Gemeinschaftsrechts obliegt, an den darin bezeichneten Personenkreis - sofern auch die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind - Leistungen zu erbringen.
Die belangte Behörde hat das Instrument des Gesamtvertrages zu Recht als "Rechtsvorschrift" iS der zitierten Verordnungsbestimmung qualifiziert.
Prinzipiell sind auch Rechtsakte des Privatrechts als "Rechtsvorschriften" anzusehen (vgl Urteil des EuGH, Rs 61/65, Vaassen-Göbbels).
Jenes Verständnis, das die belangte Behörde dem Begriff "Rechtsvorschriften" in Art1 litj bzw in Art22 Abs1 der Verordnung Nr 1408/71 beigelegt hat, entspricht somit dem Gemeinschaftsrecht.
Vor dem Hintergrund der Entscheidung des EuGH, Rs 283/81, CILFIT, bestand somit für die belangte Behörde keine Pflicht, zwecks Klärung dieses Begriffs eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen.
Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.
Aus dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes ist es nicht generell unzulässig, durch Hoheitsakt in privatrechtliche Verträge einzugreifen und derart die Rechtsposition der Kontrahenten im nachhinein zu verändern (vgl E v 25.09.00, B438/99).
Es begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn - wie hier - der Inhalt des Gesamtvertrages durch unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht modifiziert wird.
Wanderarbeitnehmer, die bereits im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausgeübt hatten, sind nach der Rechtsprechung des EuGH weiterhin - trotz des Wegfalls der in §18 Abs3 erster Satz des Gesamtvertrages für Tirol vom 01.01.85 verwiesenen zwischenstaatlichen Abkommen über soziale Sicherheit - in den Anwendungsbereich des Gesamtvertrages einbezogen. Für jene Wanderarbeitnehmer, die erst nach Inkrafttreten des EWR-Abkommens in Österreich eine Erwerbstätigkeit aufnehmen und hier ihren Wohnsitz begründen, ergibt sich dies aus dem in Art3 Abs1 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 normierten Gleichbehandlungsgebot, bei dem es sich um eine besondere Ausformung des in Art39 Abs2 EG-Vertrag enthaltenen Diskriminierungsverbots handelt.
§18 Abs3 letzter Satz des Gesamtvertrages für Tirol nimmt aus dem Anwendungsbereich des Gesamtvertrages auch jene EWR-Bürger aus, die in ihrem Heimatstaat krankenversichert sind und während eines kurzfristigen Aufenthalts in Österreich, zB während eines Urlaubs, ohne Aufschub medizinisch versorgt werden müssen. Diese Bestimmung widerspricht insoweit zwar nicht dem Gleichbehandlungsgebot des Art3 Abs1 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 (das ja ausschließlich jene Personen erfaßt, die im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen, nicht jedoch sich aus sonstigen Gründen dort aufhalten), wohl aber dem Art22 Abs1 der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 iVm dem - unmittelbar anwendbaren - allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art12 EG-Vertrag.
Wegen des Vorrangs des (unmittelbar anwendbaren) Gemeinschaftsrechts vor entgegenstehendem staatlichem Recht hat die belangte Behörde diese Bestimmung ihrer Entscheidung im Ergebnis zu Recht nicht zugrunde gelegt.
Keine Verletzung des Gleichheitsrechts, des Eigentumsrechts und der Erwerbsausübungsfreiheit.
Schlagworte
Erwerbsausübungsfreiheit, EU-Recht, Sozialversicherung, Ärzte, Privatrecht - öffentliches Recht, PrivatautonomieEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1813.1997Dokumentnummer
JFR_09998795_97B01813_01