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66 SozialversicherungNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Verletzung im Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist und im Gleichheitsrecht durch Abweisung der Anträge von Ärzten auf Bezahlung der von der Nö Gebietskrankenkasse (GKK) bei den Honorarabrechnungen 1994 in Abzug gebrachten Beträge wegen grober Verkennung der Rechtslage durch Annahme der Verbindlichkeit einer nicht in der im Gesamtvertrag vorgesehenen Weise verlautbarten ZusatzvereinbarungSpruch
Die beschwerdeführenden Parteien sind durch den angefochtenen Bescheid in ihrem durch Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist und in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Gesundheit und Frauen) ist schuldig, den beschwerdeführenden Parteien zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit EUR 2746,80 bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer sind Fachärzte mit Sitz in Niederösterreich; sie stehen in einem Einzelvertragsverhältnis zur Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (im Folgenden: Gebietskrankenkasse).
2. Mit einem bei der Gebietskrankenkasse (als Geschäftsstelle der paritätischen Schiedskommission für Niederösterreich) am 13. Juni 1995 eingelangten Schriftsatz stellten die Beschwerdeführer den Antrag an die paritätische Schiedskommission für Niederösterreich, die Gebietskrankenkasse schuldig zu erkennen, den Beschwerdeführern die bei den Honorarabrechnungen des 2. bis 4. Quartals 1994 in Abzug gebrachten, ziffernmäßig verzeichneten Beträge samt 4 vH Zinsen seit 1. April 1995 zu bezahlen.
Begründend wurde zu diesem Begehren ausgeführt, die diesen Honorarabzügen zugrunde liegende "Zusatzvereinbarung 1993 und 1994" vom 9. Juni 1994 (idF der "Vereinbarung zur Zusatzvereinbarung 1993/94" vom 17. Mai 1995) - abgeschlossen zwischen der Ärztekammer für Niederösterreich und dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger - sei unsachlich und den Beschwerdeführern gegenüber unwirksam.
Die genannte "Zusatzvereinbarung 1993 und 1994" (idF der Vereinbarung vom 17. Mai 1995) lautet auszugsweise wie folgt:
"I.
(1) Für das Jahr 1993 wurde im Bundesland Niederösterreich von den im §2 des für dieses Bundesland abgeschlossenen Gesamtvertrages vom 21.3.1994 angeführten Krankenversicherungsträgern ein Betrag von insgesamt rund
2,23 Milliarden Schilling
ausbezahlt.
(2) ...
(3) Ebenso wie bei der Honorarerhöhung 1993 der Fallwert des Vorjahres zugrundegelegt wurde, wird bei der Honorarerhöhung für das Jahr 1994 vom Fallwert des Jahres 1993 ausgegangen. Der Fallwert für das Jahr 1993 wurde gegenüber dem Fallwert des Jahres 1992 um 6,23 % erhöht und beträgt S 517,02.
(4) ...
(5) Aus der für die allgemeinen Fachärzte und die Fachärzte für Radiologie zur Verfügung stehenden Honorarsumme werden 7 Mio. S den praktischen Ärzten zugeteilt. Die Anweisung dieses Betrages erfolgt am 15.7.1994 nach den Frequenzen der Pos. 1, 9 und 12 des Jahres 1993 und wird von den Fachärzten anteilsmäßig bei den Abrechnungen der Quartale II bis IV/1994 einbehalten.
II.
(1) Für das Jahr 1994 wird im Bundesland Niederösterreich die Honorarsumme des Jahres 1993 um 5 % von 2,23 Mrd. S auf 2,3415 Mrd. S angehoben.
(2) Darüber hinaus übernehmen die im §2 des Gesamtvertrages vom 21.3.1994 angeführten Krankenversicherungsträger die Kosten von 50 % der gegenüber 1993 abgerechneten Mehrfälle. Dies ergibt einen Betrag von 27,5 Mio. S. Als einmalige Ausgleichszahlung, die nicht in die Honorarbasis 1995 hineingerechnet wird, werden 9 Mio. S zur Verfügung gestellt. Es wird somit für 1994 eine Auszahlungssumme von 2,378 Mrd. S vereinbart, dies bedeutet eine Anhebung der Honorarsumme 1993 um 6,64 %. Bisher wurden aufgrund der Quartalsabrechnungen 2,357 Mrd. S ausbezahlt, sodaß ein Nachzahlungsbetrag von 21 Mio. S verbleibt. Dieser Betrag wird entsprechend de[n] abgerechneten Frequenzen für die Pos. 1, 9 und 12 auf die praktischen Ärzte aufgeteilt.
(3) - (5) ..."
3. Mit dem im Devolutionsweg (§345 Abs2 Z2 iVm §344 Abs3 ASVG) ergangenen Bescheid der Landesberufungskommission für Niederösterreich vom 23. April 1997 wurde dieses Begehren abgewiesen.
Mit hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1999, B2250/97, wurde dieser Bescheid wegen behördlicher Willkür aufgehoben: Die Behörde sei nämlich auf den von Beschwerdeführern der Sache nach erhobenen Vorwurf der Nichtigkeit der einschlägigen Bestimmungen der Zusatzvereinbarung 1993/94 nicht eingegangen; dadurch sei sie in einem entscheidungswesentlichen Punkt "jede nachvollziehbare Begründung" schuldig geblieben.
4. Mit dem - im zweiten Rechtsgang erlassenen - Bescheid vom 19. September 2001 wies die Landesberufungskommission für Niederösterreich das Begehren der Beschwerdeführer neuerlich ab.
Auch dieser Bescheid wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben (VfSlg. 16.907/2003), und zwar wegen Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter: Die belangte Behörde war nämlich im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht dem Gesetz (§345 Abs1 ASVG idF der 60. Novelle zum ASVG, BGBl. I Nr. 140/2002) entsprechend zusammengesetzt.
5. Mit dem im nunmehr dritten Rechtsgang erlassenen Bescheid vom 10. Dezember 2003 wies die Landesberufungskommission für Niederösterreich das Leistungsbegehren von neuem ab.
Begründend wird dazu Folgendes ausgeführt:
"Die Honorarverhandlungen zwischen der Ärztekammer für Niederösterreich und der Antragsgegnerin fanden im gegenständlichen Zeitraum regelmäßig nachträglich nach Ablauf des Kalenderjahres für die dieses Kalenderjahr betreffenden Honorare statt. Die Verhandlungen der Honorare des Jahres 1993 fanden daher 1994 statt. Die Antragsgegnerin hatte bei diesen Verhandlungen zugesagt, dass für das Jahr 1993 eine Erhöhung des Gesamtvolumens (im Vergleich zur Vorperiode) um 8,5 % zugestanden würde, was einer Steigerung von ATS 173.373.662,17 entsprach. Die Feststellung des genauen Honoraraufwandes war erst mit der Abschluss Abrechnung betreffend das
4. Quartal 1993 möglich, dieser Abschluss der Abrechnung ist im April 1994 erfolgt. Auf Grund dieser endgültigen Berechnungen ergab sich jedoch eine tatsächliche Aufwandssteigerung im Jahr 1993 von ATS 190.546.717,39, was 9,34 % entsprach, somit einer Prognosedifferenz von ATS 17.173.055,22. Es ergab sich aufgrund der durchgeführten Analysen, dass dieser Mehrverbrauch zur Gänze von den Vertragsfachärzten (und Radiologen) verursacht worden war. Die praktischen Ärzte blieben mit ihrer tatsächlichen Steigerung jedoch unter dem vereinbarten Prozentsatz von 8,5 %. In weiterer Folge wurden Verhandlungen zwischen der Ärztekammer für Niederösterreich und der Antragsgegnerin geführt. Es wurde dabei vereinbart, dass die Antragsgegnerin auf die Rückzahlung des oben genannten zu viel ausbezahlten Honorars für Fachärzte/Radiologen verzichtet und keine Nachzahlung an die praktischen Ärzte vornimmt. Es sollte stattdessen ein Ausgleich zwischen Fachärzten/Radiologen einerseits und den praktischen Ärzten andererseits durchgeführt werden. Bei diesen Verhandlungen einigten sich die Parteien auf einen Betrag von ATS 7.000.000,-- der von den Fachärzten/Radiologen auf die praktischen Ärzte umgelegt werden sollte, wobei der Aufteilungsmodus auf die einzelnen Fachgruppen bei den Fachärzten vom Fachvorstand der Ärztekammer für Niederösterreich festgelegt worden ist. Bei der Berechnung des Einbehaltes pro Fachgruppe wurde der jeweilige Honoraraufwand des Jahres 1993 zugrundegelegt und der prozentuelle Anteil am Gesamtaufwand der Fachgruppen (der Summe der Fachgruppen ausgenommen Unfallchirurgen, Kinderfachärzte und Dermatologen) errechnet. Der Betrag von ATS 7.000.000,-- wurde sodann nach diesem Schlüssel aufgeteilt, wobei sich durch Teilung durch drei der Einbehalt pro Fachgruppe pro Quartal ergab. Die Aufteilung das Gesamtbetrages je Fachgruppe und Quartal auf die einzelnen Ärzte erfolgte nach der jeweiligen Quartalsberechnung des 2. bis 4. Quartals 1994. Auf Grund des prozentuellen Anteiles des (vorgesehenen) Abzugsbetrages der Fachgruppe wurde sodann der Prozentsatz der Kürzung ermittelt. In diesem Ausmaß erfolgte sodann der Einbehalt beim jeweiligen Arzt. Von dieser Regelung waren etwa 344 Fachärzte und etwa 33 Radiologen betroffen.
Die Vereinbarung zur Zusatzvereinbarung 1993 und 1994 vom 9.6.1994 wurde in der Honorarverhandlung vom 9.6.1994 ausverhandelt und beschlossen. Der Vertrag wurde am 17.8.1995 dem Hauptverband zugeleitet und am 17.10. 1995 rückübermittelt. Die vollständig unterschriebenen Exemplare wurden am 8.11.1995 der Ärztekammer für Niederösterreich übermittelt.
Durch die seinerzeitige Umstellung im Honorarsystem kam es zu nicht vorhersehbaren Entwicklungen. Es wurde ursprünglich von einem Höchstmaß ausgegangen (zugunsten der Ärzteschaft), wobei erwartet wurde, dass die Praktiker dieses nicht ausschöpfen werden können. Es wurde der Punktewert für die Fachärzte angehoben, wobei auch diesbezüglich schon vorab befürchtet worden war, dass er zu hoch sein würde. Die Standesvertretung sah es jedoch als ihre Aufgabe an, diesen Punktewert möglichst hoch anzusetzen. Bei den Fachärzten wurde prozentuell wesentlich mehr Honorar erwirtschaftet - wie bereits oben angeführt - als bei den praktischen Ärzten. Wäre die gegenständliche Zusatzvereinbarung nicht abgeschlossen worden, hätte dies in der Honorarbemessung einen Rückfall auf den Stand 1992 für alle Vertragsärzte der Antragsgegnerin bedeutet, es wären auch die folgenden Quartale auf Basis 1992 abgerechnet worden, somit ohne zusätzliche Leistungen und mit dem niedrigeren Punktewert. Auch die neu angebotenen Leistungen der Fachärzte hätten somit nicht honoriert werden können. Die gegenständlich in der Zusatzvereinbarung getroffene Regelung wurde dem Vorstand der Ärztekammer vorgelegt und durch Vorstandsbeschluss mit großer Mehrheit akzeptiert. Es ist auch eine Vorstandssitzung der Fachärzte einberufen worden, auch dort wurde diese Regelung akzeptiert, und zwar einstimmig.
Die Umwälzung über die Positionen 1, 9 und 12 erfolgte, weil diese (Ordinationen) weitgehend der Steuerung und Einflussnahme durch die jeweiligen Praktiker entzogen sind, da sie von der Patientenfrequenz abhängig sind, und somit dadurch eine sachgerechte Aufteilung auf die einzelnen praktischen Ärzte erfolgen konnte unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung.
Die gegenständliche Zusatzvereinbarung ist somit in keiner Weise sachlich ungerechtfertigt, sie ist im Gegenteil sachlich aus den oben angeführten Gründen und letztendlich im Interesse der gesamten Ärzteschaft geeignet gewesen[,] eine sachgerechte Lösung herbeizuführen, wobei beide Parteien der Zusatzvereinbarung ihrer gesetzliche[n] Aufgabe der Abwägung der Gesamtinteressen beider Vertragsseiten nachgekommen sind und insbesondere auch die Ärztekammer NÖ einen Interessenausgleich innerhalb der Ärzteschaft sachgerecht herbeigeführt hat.
Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liegt nicht vor. Es ist zwar richtig, dass eine derartige Regelung davor noch nicht praktiziert wurde, jedoch sind die Vertragsparteien aufgrund der Nichtvorhersehbarkeit der Honorarentwicklung aus den angeführten Gründen zu einer sachgerechten Lösung verhalten gewesen, welche sie in Form der Zusatzvereinbarung gefunden haben. Da die Honorarzahlung für den antragsgegenständlichen Zeitraum unbestrittenermaßen damals eine vorläufige war, mussten die Antragsteller auch mit einer nachträglichen Korrektur rechnen, sodass auch aus diesem Grunde eine sachliche Rechtfertigung vorliegt, wobei insbesondere darauf hinzuweisen ist, dass im Falle, dass diese Zusatzvereinbarung nicht so geschlossen worden wäre, auch die Antragsteller von der dann anzuwendenden Berechnung auf Basis 1992 (und damit wiederum allenfalls verbundener Rückforderung vorläufiger Zahlungen) betroffen gewesen wären.
...
Soweit die Antragsteller die nicht ordnungsmäßige Kundmachung der Zusatzvereinbarung behaupten, ist auszuführen, dass die Kundmachung einer derartigen Zusatzvereinbarung im Wege eines Rundschreibens, wie im gegenständlichen Fall, ausreichend ist, da es sich dabei um die ortsübliche Kundmachung beim gegebenen Adressatenkreis (Vertragsärzte) handelt, wobei insbesondere zu berücksichtigen ist, dass nicht einmal für den Gesamtvertrag ex lege zwingende und gültigkeitsbegründende Verlautbarungsvorschriften bestehen. Schon seit längerer Zeit wird nicht mehr der Inhalt jeder Gesamtvertragsänderung im Wortlaut in den Zeitschriften (Österreichische Ärztezeitung/Zeitschrift für soziale Sicherheit) abgedruckt. So wird in der 'Sozialen Sicherheit' nur noch der Abschluss eines neuen Gesamtvertrages bekanntgemacht, die Information der Ärzte erfolgt durch Rundschreiben der Krankenversicherungsträger an die Vertragsärzte bzw. durch Informationsschreiben der jeweiligen Ärztekammern. Gegen diese Art der Verlautbarung bestehen keine rechtlichen Bedenken. Auch wären derartige Verlautbarungsvorschriften, so sie bestehen würden als bloße Ordnungsvorschrift zu verstehen, deren Nichtbeachtung nicht zur Ungültigkeit führen würde (vgl. §44 Muster-GV: 'werden verlautbart' nicht 'wird wirksam mit der Verlautbarung'). Wesentlich ist, dass der Vertragsarzt ohne große Mühe den Inhalt erfahren kann. Dies ist bei Rundschreiben der Fall (vgl. Mosler in Strasser, aaO, 223). Der Abschluss erfolgte durch die bevollmächtigten Parteien bzw. Organe, der Zeitpunkt der Rückübermittlung ist nicht von Relevanz."
6. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden (§345 Abs3 iVm §346 Abs7 ASVG) - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, worin die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, ohne eine Gegenschrift zu erstatten. Die am Verfahren beteiligte Gebietskrankenkasse erstattete eine schriftliche Äußerung; darin verteidigt sie den angefochtenen Bescheid und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift irrig einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).
Ein solcher Fehler ist der belangten Behörde in der Tat anzulasten:
2.1. Gemäß §341 Abs1 ASVG sind die Beziehungen zwischen den Krankenversicherungsträgern und den freiberuflich tätigen Ärzten durch Gesamtverträge zu regeln, die für die Träger der Krankenversicherung vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Ein Gesamtvertrag bedarf der Zustimmung des Trägers der Krankenversicherung, für den dieser Vertrag abgeschlossen wird. Der Inhalt des Gesamtvertrages ist auch Inhalt des zwischen dem Krankenversicherungsträger und dem Arzt geschlossenen Einzelvertrages; vom Gesamtvertrag abweichende Vereinbarungen sind rechtsunwirksam (§341 Abs3 ASVG).
Parteien des Gesamtvertrages sind somit zwar nur die Träger der Krankenversicherung und die Ärztekammer (nicht auch der Hauptverband: VfSlg. 8692/1979), doch kann ein Gesamtvertrag nur unter Mitwirkung des Hauptverbandes zustande kommen; schuldrechtliche Verträge, die von den Trägern der Krankenversicherung mit den Drztekammern ohne Beteiligung des Hauptverbandes geschlossen werden, sind somit ohne rechtliche Wirkung für die Parteien des Einzelvertrages (vgl. Mosler, in: Strasser [Hrsg.], Arzt und gesetzliche Krankenversicherung [1995] 183 ff).
Gesamtverträge sind ebenso wie hiezu abgeschlossene Zusatzvereinbarungen - bei sonstiger Unwirksamkeit - schriftlich abzuschließen (§338 Abs1 letzter Satz ASVG). Schriftlichkeit bedeutet hiebei, dass der vereinbarte Inhalt des Vertrages schriftlich niedergelegt und von den vertragschließenden Teilen (dh. von der Ärztekammer und vom Hauptverband) unterschrieben sein muss (vgl. Mosler, aaO 218 f).
2.2. Wie die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides festgestellt hat, wurde die - den strittigen Honorarabzügen zugrunde liegende - "Vereinbarung zur Zusatzvereinbarung 1993/94" (die der Sache nach eine Änderung der Honorarordnung des Gesamtvertrages für das Jahr 1994 darstellt, weshalb die für Gesamtverträge geltenden Bestimmungen des ASVG auf sie anzuwenden sind) zwar in der Honorarverhandlung vom 9. Juni 1994 (in Anwesenheit ua. zweier Vertreter des Hauptverbandes) "ausverhandelt", dem Hauptverband aber erst am 17. August 1995 zur Unterfertigung zugeleitet (und von diesem am 17. Oktober 1995 an die beteiligte Gebietskrankenkasse rückübermittelt).
2.3. Gemäß §342 Abs1 Z8 ASVG haben die Gesamtvertragspartner ua. die "Verlautbarung des Gesamtvertrages und seiner Abänderungen" zu regeln; wie sich aus §44 des Gesamtvertrages (idF des Jahres 1994) ergibt, werden dieser Gesamtvertrag und seine Änderungen in der Niederösterreichischen Ärztezeitung auf Kosten der Kammer und in der Zeitschrift Soziale Sicherheit auf Kosten des Versicherungsträgers verlautbart.
2.3.1. Im vorliegenden Fall wurden die Vertragsärzte der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse zwar mit einem - von Ärztekammer und Gebietskrankenkasse gemeinsam verfassten - Rundschreiben vom 28. September 1994 über den wesentlichen Inhalt der "Zusatzvereinbarung 1993 und 1994" (idF der "Vereinbarung zur Zusatzvereinbarung 1993/94"), auch über die darin enthaltene "Kürzungsregelung", in Kenntnis gesetzt. Wie die belangte Behörde in diesem Zusammenhang in ihrer Gegenschrift vorträgt, seien die Parteien des Gesamtvertrages in der Regelung von dessen Kundmachung relativ frei; es müsse aber gewährleistet sein, dass alle Normadressaten vom Regelungsinhalt voraussichtlich Kenntnis erhalten können (in diesem Sinne auch Mosler, aaO 223).
2.3.2. Damit ist die belangte Behörde zwar grundsätzlich im Recht, doch übersieht sie in ihrer Argumentation, dass die Parteien des Gesamtvertrages - entsprechend der gesetzlichen Regelung des §342 Abs1 Z8 ASVG - die Form der Kundmachung im Gesamtvertrag verbindlich geregelt haben, woran die hier strittige Zusatzvereinbarung nichts geändert hat.
2.3.3. Es kann daher auf sich beruhen, ob die Verfassung und Versendung eines gemeinsamen Rundschreibens, in welchem der Inhalt eines Gesamtvertrages wiedergegeben wird, an alle Vertragsärzte durch die Ärztekammer und die Gebietskrankenkasse eine nach §342 Abs1 Z8 ASVG zulässige Form der Kundmachung eines Gesamtvertrages wäre, und ob und welche Wirkung es hätte, wenn diese Art der Kundmachung - wie hier - zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem der Gesamtvertrag zwar verhandelt, aber mangels ordnungsgemäßer Zeichnung durch eine Vertragspartei noch gar nicht wirksam zustande gekommen ist, weil der hier maßgebliche Gesamtvertrag diese Art einer Kundmachung nicht zulässt. Eine Verlautbarung dieser Zusatzvereinbarung in der Zeitschrift "Soziale Sicherheit" bzw. in der Niederösterreichischen Ärztezeitung ist aber zu keinem Zeitpunkt erfolgt.
Während der nur die Rechtsverhältnisse zwischen den Parteien des Gesamtvertrages regelnde Teil des Gesamtvertrages mit dessen Unterfertigung wirksam wird, bedarf es für den Eintritt der Normwirkung gegenüber den Vertragsärzten der Erfüllung aller im Gesetz für die Normerzeugung festgelegten Bedingungen, wozu auch die Vorschriften über die Verlautbarung zählen. Nicht anders als beim Kollektivvertrag (vgl. OGH 8. November 1995, 9 ObA 123/95, sowie SZ 61/181; ferner schon VwSlg. 7365 A/1968 = Arb 8534) setzt daher die Normwirkung einer Änderung des Gesamtvertrages voraus, dass sie nach Maßgabe der darüber im Gesamtvertrag enthaltenen Anordnungen verlautbart worden ist.
Da die hier in Rede stehende Zusatzvereinbarung in der im Gesamtvertrag vorgesehenen Weise nicht verlautbart worden ist, konnte sie für die beschwerdeführenden Vertragsärzte keine Wirkung entfalten. Dadurch, dass die belangte Behörde dennoch - in grober Verkennung der Sach- und Rechtslage - von der Verbindlichkeit der Vereinbarung für die beschwerdeführenden Parteien ausging, hat sie diesen gegenüber Willkür geübt und sie insofern in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
3. Die Beschwerdeführer behaupten ferner, in ihrem durch Art6 EMRK gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt zu sein. Auch dieser Vorwurf wird zu Recht erhoben:
3.1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits wiederholt (zuletzt in seinem Erkenntnis vom 30. November 2004, B1121/04) dargelegt, dass Streitigkeiten aus einem Einzelvertrag in den Kernbereich der durch Art6 Abs1 EMRK erfassten "zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen" fallen.
3.2. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht abstrakt, sondern im Lichte der besonderen Umstände jedes einzelnen Falles zu beurteilen. Die besonderen Umstände des Einzelfalles ergeben sich aus dem Verhältnis und der Wechselwirkung verschiedener Faktoren. Neben Faktoren, welche die Verfahrensdauer beeinflussen, nämlich die Schwierigkeit des Falles, das Verhalten des Beschwerdeführers und das Verhalten der staatlichen Behörden in dem bemängelten Verfahren, aber auch die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 30. September 2004, B239/03 mwN).
3.3. Nicht die Verfahrensdauer schlechthin führt zu einer Verletzung, sondern nur eine Verzögerung, die auf Versäumnisse staatlicher Organe zurückzuführen ist. Der Rechtsprechung des EGMR ist daher keine fixe Obergrenze für die Angemessenheit einer Verfahrensdauer zu entnehmen, ab deren Überschreitung jedenfalls eine Verletzung des Art6 Abs1 EMRK anzunehmen wäre (vgl. VfSlg. 16.385/2001 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR).
3.4. Der - dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegende - Bescheidantrag der Beschwerdeführer ist bei der paritätischen Schiedskommission für Niederösterreich am 13. Juni 1995 eingelangt. Als Anfangszeitpunkt des Verfahrens ist daher dieser Tag anzunehmen. Den Endzeitpunkt des Verfahrens bildet der Tag der Zustellung des im dritten Rechtsgang erlassenen Bescheides der belangten Behörde vom 10. Dezember 2003, di. der 13. August 2004. Die zu beurteilende Verfahrensdauer beträgt sohin 9 Jahre und 2 Monate (wobei das verfassungsgerichtliche Verfahren dem überprüften Verfahren, das dem Art6 Abs1 EMRK entsprechen muss, nicht zuzurechnen ist: vgl. E vom 30. September 2004, B239/03).
3.5. Die ungewöhnliche Länge des Verfahrens ist allein dem Verhalten staatlicher Organe zuzuschreiben; insbesondere kann den Beschwerdeführern kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie zur Durchsetzung ihrer Rechte zwei Mal - mit Erfolg - den Verfassungsgerichtshof angerufen haben.
Da nach der Aktenlage weder Art und Umfang des Sachverhalts noch die zu beurteilenden Rechtsfragen die Behandlung dieser Rechtssache als ungewöhnlich komplex oder schwierig erscheinen lassen, im vorliegenden Beschwerdeverfahren aber auch keine weiteren besonderen Umstände hervorgekommen sind, welche die Dauer des Verfahrens, insbesondere nach Aufhebung des im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheides der belangten Behörde durch den Verfassungsgerichtshof, rechtfertigen könnten, ist die Dauer des Verfahrens von insgesamt mehr als 9 Jahren bis zur Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht mehr als angemessen iS des Art6 Abs1 EMRK zu beurteilen.
3.6. Die Beschwerdeführer sind daher auch in ihrem durch Art6 Abs1 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf eine Entscheidung innerhalb angemessener Frist verletzt worden. Insofern kann es mit der Feststellung dieser Rechtsverletzung sein Bewenden haben.
4. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Der zugesprochene Betrag enthält (wie in der Beschwerde verzeichnet) einen Streitgenossenzuschlag in Höhe von EUR 654,-- sowie Umsatzsteuer in Höhe von EUR 457,80. Die entrichtete Eingabengebühr war den beschwerdeführenden Parteien wegen der bestehenden sachlichen Abgabenfreiheit des Verfahrens (vgl. §110 Abs1 Z2 lita ASVG) nicht zu ersetzen.
5. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Entscheidung in angemessener Zeit, Sozialversicherung, Ärzte, Verfahrensdauer überlangeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2005:B1219.2004Dokumentnummer
JFT_09949384_04B01219_00