RS Vfgh 2001/3/3 G87/00

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 03.03.2001
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
GewO 1994 §359b

Leitsatz

Präjudizialität einer gewerberechtlichen Bestimmung betreffend die Einbeziehung über die "Bagatellfälle" hinausgehender Betriebsanlagen in das vereinfachte Genehmigungsverfahren anläßlich der Zurückweisung der Beschwerde eines Nachbarn in einem solchen Verfahren; verfassungswidrige Versagung der Parteistellung der Nachbarn auch bei Beurteilung der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren

Rechtssatz

Präjudizialität des §359b Abs4 GewO 1994 idF BGBl 194/1994.

Der Text des §359b Abs1 GewO 1994 läßt es durchaus zu, den Nachbarn eine beschränkte Parteistellung zuzugestehen. Wenn nämlich dort angeordnet ist, daß die Behörde unter Bedachtnahme auf die eingelangten Äußerungen der Nachbarn die die Anwendung des vereinfachten Verfahrens begründende Beschaffenheit der Anlage mit Bescheid festzustellen hat, so wird damit eine bescheidmäßige Reaktion der Behörde auf das Vorbringen der Nachbarn angeordnet, die unverständlich wäre, wenn sie einer weiteren Überprüfung im Rechtswege nicht zugänglich wäre. Eine solche Anordnung kann daher jedenfalls auch so verstanden werden, daß damit den Nachbarn ein rechtliches Interesse an einer Überprüfung der Voraussetzungen des vereinfachten Verfahrens - und damit eine auf diese Frage beschränkte Parteistellung - zugebilligt wird (der Ausschluß der Parteistellung sich somit auf die Durchführung des vereinfachten Verfahrens selbst bezieht).

Im nunmehr zu beurteilenden Fall geht es um die Frage, ob den Nachbarn die Parteistellung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auch hinsichtlich der Frage vorenthalten werden kann, ob die Voraussetzungen für das vereinfachte Verfahren überhaupt vorliegen (siehe hingegen VfSlg 14512/1996). Diese Frage ist vor dem Hintergrund einer Rechtslage zu prüfen, die durch eine seit dem Jahre 1988 kontinuierlich betriebene Ausweitung der Bagatellfälle gekennzeichnet ist.

Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführern des Anlaßverfahrens zu Unrecht eine Sachentscheidung vorenthalten und der Verfassungsgerichtshof hat daher bei Überprüfung des bekämpften Bescheides die Vorschrift des §359b Abs4 GewO 1994 anzuwenden.

§359b Abs4 GewO 1994 idF BGBl I Nr 63/1997 war verfassungswidrig.

Es ist verfassungsrechtlich bedenklich, den Nachbarn Parteistellung auch bei Beurteilung der Frage zu versagen, ob die Voraussetzungen für ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren überhaupt vorliegen, und diese Beurteilung allein der Behörde zu überlassen. Diese Bedenken, die sich letztlich gegen eine unsachliche Ungleichbehandlung gleicher Fälle richten (nämlich jener Nachbarn, die im Rahmen eines ordentlichen Genehmigungsverfahrens Parteistellung besitzen, einerseits und jener, die diese Parteistellung nur deswegen nicht besitzen, weil die Behörde zu Unrecht die Voraussetzungen eines vereinfachten Verfahrens angenommen oder behauptet hat, andererseits) sind im Verfahren nicht zerstreut worden.

§359b Abs4 GewO 1994 umfaßt Fälle, bei denen es sich nicht um (normalerweise ohnehin genehmigungsfähige) Bagatellfälle handelt.

Der in §359b Abs7 GewO 1994 tragende Gesichtspunkt des vorsorgenden Umweltschutzes erscheint nicht geeignet, den Umfang der nach §359b Abs4 GewO 1994 genehmigungsfähigen Anlagen so weit einzuschränken, daß lediglich Anlagen übrigbleiben, die typischerweise genehmigungsfähig sind.

In einer nicht zu vernachlässigenden Anzahl von Fällen hängt daher die Frage, ob für die Genehmigung einer Betriebsanlage das ordentliche oder das vereinfachte Verfahren zur Anwendung kommt, allein von dem Umstand ab, ob sie ihren Standort in einem Gebiet hat, das nach den raumordnungsrechtlichen Vorschriften überwiegend oder ausschließlich gewerblichen Tätigkeiten dient und in dem nach diesen Vorschriften das Errichten und Betreiben bzw Ändern der Anlage zulässig ist. Es erscheint unsachlich, warum der Umstand, daß eine Anlage ihren Standort in einem derart definierten Gebiet hat, die Aberkennung von Nachbarrechten rechtfertigen könnte, die einzuräumen wären, hätte die Anlage ihren Standort außerhalb eines solchen Gebietes.

(Anlaßfall: E v 03.03.01, B2071/99 - Aufhebung des angefochtenen Bescheides; Quasi-Anlaßfälle: E v 11.06.01, B1147/00 und E v 24.09.01, B753/00.; siehe auch E v 24.09.01, G98/01 ua und B1593/00).

Entscheidungstexte

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Gewerberecht, Betriebsanlagen, Umweltschutz, Parteistellung Gewerberecht, VfGH / Präjudizialität, Nachbarrechte

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G87.2000

Dokumentnummer

JFR_09989697_00G00087_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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