RS Vfgh 2001/3/6 A23/00 ua

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Veröffentlicht am 06.03.2001
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Index

96 Straßenbau
96/02 Sonstiges

Norm

B-VG Art137 / ord Rechtsweg
AHG §2 Abs3
ASFINAG-G §15
Brenner-Autobahn-FinanzierungsG §1
BStFG 1996 §5
EG (bis 2000 EG-Vertrag) Art10

Leitsatz

Zurückweisung von nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes eingebrachten Klagen von Transportgesellschaften betreffend die Einhebung von Brenner-Mautgebühren wegen Unzuständigkeit des VfGH; Einhebung der Maut im Wege der Privatwirtschaftsverwaltung bzw als privatrechtsförmiges Handeln eines ausgegliederten Rechtsträgers; Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zur Entscheidung über gemeinschaftsrechtliche Erstattungs- bzw Schadenersatzansprüche

Rechtssatz

In Ansehung von Schadenersatzansprüchen (worunter ihrer Art nach auch Ansprüche auf Entschädigung wegen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes zu verstehen sind) hat der Verfassungsgerichtshof - ausgehend von der Natur des Klagsanspruchs - in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß diese grundsätzlich, soweit sie nicht ausnahmsweise vor eine Verwaltungsbehörde verwiesen sind, auch dann als im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machende Privatrechte anzusehen sind, wenn sie auf einem öffentlich-rechtlichen Titel beruhen.

Der Auffassung des EuGH zufolge sind die Mitgliedstaaten zum Ersatz jener Schäden verpflichtet, die den einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, die den Staaten zuzurechnen sind.

In Ermangelung einheitlicher gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften richten sich Gewährung, Umfang und Verfahren in Ansehung von Erstattungsansprüchen nach den jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften und auch die Durchsetzung der Staatshaftungsansprüche hat "im Rahmen des nationalen Haftungsrechts" zu erfolgen, wobei "die im Schadenersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein" dürfen, "als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, daß sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädigung zu erlangen".

Soweit die geltend gemachten Erstattungs- bzw Staatshaftungsansprüche im Gemeinschaftsrecht wurzeln, können sie nicht als privatrechtliche Ansprüche angesehen werden. Sie entspringen nämlich einer Norm des primären Gemeinschaftsrechts bzw dessen Weiterentwicklung durch den Europäischen Gerichtshof, welche die Mitgliedstaaten zur Entschädigung bzw Staatshaftung verpflichten, und damit einer ohne Zweifel nicht privatrechtlichen Norm. Als Anknüpfungspunkt kann die Qualifikation der rechtlichen Handlungsformen, deren sich eine Gebietskörperschaft bedient hat, als sie die gemeinschaftsrechtswidrige Leistung verlangt bzw ermöglicht hat, herangezogen werden. Daher ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte dann gegeben, wenn das Handeln des Staatsorgans, das zum gemeinschaftsrechtlich begründeten Erstattungs- oder Staatshaftungsanspruch geführt hat, ein privatrechtliches war.

Die Einhebung der Mautentgelte war im gesamten klagsgegenständlichen Zeitraum als Akt der Privatwirtschaftsverwaltung des Staates bzw einer privatrechtsförmigen Tätigkeit eines ausgegliederten Rechtsträgers zu qualifizieren und die Festlegung der Höhe der Mautentgelte erfolgte dabei stets durch die jeweils zuständigen Mitglieder der Bundesregierung.

Es ist nicht richtig, mit einem Teil der Lehre undifferenziert immer dann eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes nach Art137 B-VG anzunehmen, wenn der Grund für die gemeinschaftsrechtliche Rechtswidrigkeit in einem "legislativen Unrecht" liegt. Eine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes besteht bloß dann, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen nicht einem hoheitlich tätig gewordenen Vollzugsorgan oder einem privatrechtsförmig tätig gewordenen Staatsorgan, sondern unmittelbar dem Gesetzgeber zuzurechnen sind. Immer, wenn der Kläger seinen Anspruch auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts stützt, die er der Vollziehung zurechnet, sind grundsätzlich - anderes mag in Ansehung des §2 Abs3 AHG iVm Art137 B-VG gelten (was aber in diesem Verfahren dahingestellt bleiben kann) - die Amtshaftungsgerichte zuständig; gleiches gilt mutatis mutandis, wenn das Staatsorgan, dem der Kläger das anspruchsbegründende gemeinschaftsrechtswidrige Staatshandeln zurechnet, privatrechtsförmig tätig wurde.

Da nun die - überhöhte - Einhebung der Mautentgelte privatrechtsförmig für den Bund bzw. ab 01.01.97 von der ASFINAG im eigenen Namen aufgrund einer Festlegung durch die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung erfolgte und eben diese Handlungen von Bundesorganen die gemeinschaftsrechtlichen Erstattungs- bzw. Schadensersatzansprüche begründet haben sollen, ergibt sich - sowohl für die Entscheidung über die geltend gemachten Ansprüche auf Rückerstattung bzw. Entschädigung als auch für die begehrte Feststellung des Bestehens eines Staatshaftungsanspruches - die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte.

Entscheidungstexte

  • A 23/00 ua
    Entscheidungstext VfGH Beschluss 06.03.2001 A 23/00 ua

Schlagworte

Amtshaftung, EU-Recht, Privatwirtschaftsverwaltung, Straßenverwaltung, Mautstraße, VfGH / Klagen, VfGH / Zuständigkeit, Staatshaftung, Schadenersatz

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:A23.2000

Dokumentnummer

JFR_09989694_00A00023_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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