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19 Völkerrechtliche VerträgeNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung der Beschwerde der leiblichen Tochter gegen die Abschiebung ihres infolge Knebelung und Fesselung verstorbenen Vaters seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates; Beschwerdelegitimation der Hinterbliebenen zur Geltendmachung des Rechts auf Leben; örtliche Zuständigkeit des UVS Wien; Vorliegen eines anfechtbaren Aktes der Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in Vollziehung des SicherheitspolizeigesetzesRechtssatz
Wenngleich der Wortlaut des Art129a B-VG auch in Zusammenhalt mit §67a AVG den Schluß nahelegt, daß nur eine von der Maßnahme selbst betroffene Person zur Erhebung der Beschwerde berechtigt sei, so wird vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles deutlich, daß diese reine Wortinterpretation dem spezifischen Charakter der Kontrolle von Rechten - insbesondere des Rechts auf Leben - nicht ausreichend Rechnung trägt.
Die Beschwerdelegitimation der Hinterbliebenen zur Geltendmachung von Verletzungen des Rechts auf Leben im Falle der Tötung eines Menschen ergibt sich aus dem spezifischen Charakter des durch Art2 EMRK geschützten Rechts; anders könnte eine Verletzung des Rechts auf Leben im Falle des Ablebens überhaupt nicht releviert werden (siehe hiezu die im Erkenntnis zitierte Rechtsprechung von EKMR und EGMR).
Wenn also der durch die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt Betroffene während der Amtshandlung verstorben ist, so ist gemäß Art129a B-VG der UVS auch zuständig, über von nahen Angehörigen diesbezüglich behauptete, den Verstorbenen betreffende Rechtsverletzungen (Art2 und Art3 EMRK) zu erkennen.
Die Beschwerdeführerin hat nicht bloß die "Knebelung und Fesselung" ihres Vaters an sich, sondern diese Zwangsakte als Teil eines Geschehensablaufes, der letztlich zum Tod ihres Vaters geführt habe, angefochten. Die bekämpfte Fesselung und Knebelung des Vaters der Beschwerdeführerin stehen mit dessen Abschiebung in einem so engen Zusammenhang, daß sie nicht unabhängig von dieser beurteilt werden können; dies insbesondere, da nach bislang unbestrittener Beschwerdebehauptung die Handfesseln bereits in Wien angelegt worden sind.
Hinsichtlich der Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien ist daher von einer Einheit der bekämpften Maßnahme auszugehen (vgl auch VwGH Zl 94/02/0139 vom 23.09.94). Da die Abschiebung im örtlichen Wirkungsbereich des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien begonnen hat, hat dieser seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht verneint und daher die Zuständigkeit zu einer Sachentscheidung schlechthin verweigert.
Aus dem Umstand, daß die Rechtsordnung unter bestimmten Voraussetzungen keine Befugnisse zu Befehls- und Zwangsmaßnahmen einräumt, kann nicht abgeleitet werden, daß staatliche Organe, die zumindest in abstracto mit Hoheitsgewalt betraut sind, nicht dennoch - wenn dann auch ex definitione: rechtswidrige - Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- oder Zwangsgewalt gesetzt haben.
Das vor der belangten Behörde in Beschwerde gezogene Geschehen ist daher in die Handlungskategorien der Verwaltung - Vollziehung des Sicherheitspolizeigesetzes - einzuordnen.
siehe hingegen E v 06.03.01, B158/00: Keine Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter mangels Beschwerdelegitimation der auch von der Tochter des Verstorbenen vertretenen Verlassenschaft zur Geltendmachung von Ansprüchen nach Art2 und Art3 EMRK:
Eine Verlassenschaft ist gemäß §531 ABGB der "Inbegriff der Rechte und Verbindlichkeiten eines Verstorbenen, insofern sie nicht in bloß persönlichen Verhältnissen gegründet sind", somit also das Vermögen des Verstorbenen. Die von der beschwerdeführenden Verlassenschaft im Verfahren vor dem UVS behaupteten Rechtsverletzungen betreffen jedoch höchstpersönliche Rechte des Verstorbenen und nicht vermögensrechtliche Ansprüche, zu deren Geltendmachung die Verlassenschaft legitimiert wäre.
Entscheidungstexte
Schlagworte
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt, Behördenzuständigkeit, Fremdenrecht, Polizei, Sicherheitspolizei, Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsverfahren, Zuständigkeit örtliche, Mißhandlung, Folter, Recht auf Leben, ErbrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:B159.2000Dokumentnummer
JFR_09989694_00B00159_01