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65 Pensionsrecht für BundesbediensteteNorm
B-VG Art30 Abs2Leitsatz
Zulässigkeit eines Drittelantrags von Nationalratsabgeordneten nur hinsichtlich noch in der angefochtenen Fassung in Geltung stehender Normen; Aufhebung des Pensionsreformgesetzes 2000 mit Ausnahme näher bezeichneter Bestimmungen infolge eines verfassungswidrigen Beschlusses des Nationalrates; Geschäftsordnung des Nationalrates als Prüfungsmaßstab bei der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Bundesgesetzen durch den Verfassungsgerichtshof mit Ausnahme von Verstößen gegen bloße Ordnungsvorschriften; Fristsetzung und Wiederinkrafttreten der durch die Pensionsreform 2000 aufgehobenen GesetzesbestimmungenRechtssatz
Zulässigkeit eines "Drittelantrags" - Gesetzesprüfungsantrag von mehr als einem Drittel der Mitglieder des Nationalrates - auf Aufhebung des PensionsreformG 2000, soweit er gegen geltende, nicht gegen schon außer Kraft getretene Rechtsvorschriften gerichtet ist.
Zurückweisung des Antrags hinsichtlich näher bezeichneter, nicht mehr in der angefochtenen Fassung in Geltung stehender Bestimmungen.
Darüber hinaus wurde mit dem Bundesgesetz BGBl. I 2001/6 das Bundesgesetz über dienstrechtliche Sonderregelungen für ausgegliederten Einrichtungen zur Dienstleistung zugewiesene Beamte (vgl. Art11 des PensionsreformG 2000), welches schon durch Art55 des BudgetbegleitG 2001 eine Änderung erfahren hatte (freilich ohne dass in der Novellierungsanordnung des Bundesgesetzes BGBl. I 2001/6 darauf Bedacht genommen worden wäre!), erneut geändert.
Das PensionsreformG 2000, BGBl. I Nr. 95, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
Ausgenommen im Spruch näher bezeichnete Bestimmungen.
Die Kompliziertheit des Spruches des vorliegenden Erkenntnisses ist im Wesentlichen eine Konsequenz der auch beim PensionsreformG 2000 angewendeten legistischen Technik der "Sammelnovelle", also der Änderung einer Vielzahl von Bundesgesetzen in einem Gesetz, in Verbindung mit der erneuten Änderung zahlreicher davon betroffener Bestimmungen in kurzer zeitlicher Aufeinanderfolge. Dass diese gesetzgeberische Praxis, die in den vergangenen Jahren bedauerlicher Weise gehäuft geübt wurde, der Erkennbarkeit des Rechts äußerst abträglich ist, liegt auf der Hand.
Auch das GOG NR bildet einen Maßstab der dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 B-VG obliegenden Überprüfung von Bundesgesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin. Zu Folge Art47 Abs1 B-VG ist dem Bundespräsidenten insbesondere auch die Beurteilung der Frage auferlegt, ob der jeweilige Gesetzesbeschluss des Nationalrates den Vorschriften des GOG NR entsprechend zustande gekommen ist. Dieselbe Prüfungsbefugnis kommt aber auch dem Verfassungsgerichtshof auf Grund seiner Zuständigkeit gemäß Art140 B-VG zu. Art30 Abs2 zweiter Satz B-VG bestimmt für die Geschäftsordnung des Nationalrates besondere Beschlussfassungserfordernisse.
Dabei ist zwischen jenen Bestimmungen des GOG NR, deren Verletzung zur Beurteilung führt, dass der Gesetzesbeschluss nicht verfassungsmäßig zustande gekommen ist - das sind all jene Bestimmungen, die sichern sollen, dass in den Gesetzesbeschlüssen die wahre Meinung der Mehrheit des Nationalrates zum Ausdruck kommt - und bloßen Ordnungsvorschriften zu unterscheiden, deren Verletzung nicht zur Verfassungswidrigkeit des jeweiligen Bundesgesetzes führt.
Bei der Behandlung des hier in Rede stehenden Gesetzesvorschlages betreffend das PensionsreformG 2000 in der Sitzung des Nationalrates am 05.07.00 wurde jedenfalls insoferne gegen das GOG NR 1975 verstoßen, als
a) hinsichtlich des Abänderungsantrages der Abgeordneten Dr. Kostelka, Dr. Mertel, Pendl und Genossen betreffend Art2 Z8 des Gesetzesvorschlages, die durch die §65 und §72 GOG NR gebotene Abstimmung überhaupt unterblieb, und
b) hinsichtlich der Abänderungsanträge derselben Abgeordneten betreffend Art2 Z5 und 7 des Gesetzesvorschlages die durch §65 und §72 GOG NR gebotene Abstimmung in zweiter Lesung unterblieb, wobei hinsichtlich des Gegenstandes des Abänderungsantrages zu Art2 Z5 auch keine "Gegenabstimmung" stattfand.
Die solcherart erkannten Verstöße gegen das GOG NR belasten das PensionsreformG 2000 insoferne als Ganzes mit Verfassungswidrigkeit, als die dritte Lesung auf Grund der für den Nationalrat geltenden Geschäftsordnungsbestimmungen die auf die zweite Lesung folgende, das Verfahren im Nationalrat abschließende "Abstimmung im ganzen" bildet (vgl. §74 Abs1 erster Satz GOG NR). Die (weitgehende) Durchführung dieser "abschließenden" dritten Lesung vor dem (vollständigen) Abschluss der in zweiter Lesung durchzuführenden Abstimmungen, und somit dieser zweiten Lesung selbst, muss daher gleichfalls zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzesbeschlusses "im Ganzen" führen.
Die hier in Betracht kommenden Bestimmungen des GOG NR zählen zum Kernbestand jener Vorschriften, die sichern sollen, dass bei der Behandlung von Gesetzesvorschlägen durch den Nationalrat die wahre Meinung der Mehrheit dieses Vertretungskörpers zum Ausdruck kommt. Diese Bestimmungen lassen sich keinesfalls als bloß "sanktionslose Ordnungsvorschriften" qualifizieren.
Fristsetzung bis 31.07.01.
Nach Lage des Falles (es liegt ein verfassungsrechtlich erheblicher Verstoß gegen das GOG NR bei der Abstimmung über den Gesetzesvorschlag im Nationalrat vor) erscheint dem Verfassungsgerichtshof die im Spruch gesetzte Frist für das Inkrafttreten der Aufhebung des PensionsreformG 2000 - im Umfang des zulässigen Antrages - für ausreichend, um die allenfalls für erforderlich gehaltenen gesetzgeberischen Vorkehrungen zur Bereinigung des vom Verfassungsgerichtshof festgestellten Fehlers zu ermöglichen. Mit Ablauf dieser Frist werden jene gesetzlichen Bestimmungen wieder in Wirksamkeit treten, die mit den vom Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Erkenntnis als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen des PensionsreformG 2000 aufgehoben worden waren, soferne nicht bis zum Ablauf des 31.07.01 den selben Gegenstand regelnde Bundesgesetze, insbesondere zur Bereinigung des vom Verfassungsgerichtshof festgestellten Fehlers, erlassen werden.
(Quasianlassfälle: B239/01, B242/01, B287/01, alle E v 27.06.01, Aufhebung der angefochtenen Bescheide).
Schlagworte
Dienstrecht, Ruhestandsversetzung, Geltung eines Gesetzes, Gesetz Erlassung, Novellierung, Nationalrat, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Fristsetzung, VfGH / Prüfungsgegenstand, VfGH / Prüfungsmaßstab, VfGH / VerwerfungsumfangEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:G150.2000Dokumentnummer
JFR_09989684_00G00150_01