TE Vfgh Beschluss 2005/6/18 G62/05

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.06.2005
beobachten
merken

Index

10 Verfassungsrecht
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz in der Fassung von 1929 (B-VG)

Norm

B-VG Art44 Abs3
B-VG Art46 Abs3
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
BVG über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa, BGBl I 12/2005

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags eines österreichischen Abgeordneten zum Europäischen Parlament auf Aufhebung des BVG über den Abschluss des Vertrages über eine EU-Verfassung mangels Legitimation

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit dem vorliegenden Individualantrag gemäß Art140 Abs1 B-VG begehrt der Einschreiter,

"das Bundesverfassungsgesetz über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa, BGBl. [I] 2005/12, zur Gänze als verfassungswidrig aufzuheben."

2. Das angefochtene Bundesverfassungsgesetz lautet wie folgt:

"Bundesverfassungsgesetz über den Abschluss des Vertrages über eine Verfassung für Europa

Der Nationalrat hat beschlossen:

Artikel 1

(1) Der am 29. Oktober 2004 unterzeichnete Vertrag über eine Verfassung für Europa darf nur mit Genehmigung des Nationalrates abgeschlossen werden. Der Genehmigungsbeschluss kann vom Nationalrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gefasst werden; Bestimmungen des Vertrages, durch die Verfassungsrecht geändert wird, brauchen darin nicht als 'verfassungsändernd' bezeichnet werden.

(2) Der Vertrag bedarf überdies der Zustimmung des Bundesrates. Der Beschluss kann vom Bundesrat nur in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen gefasst werden.

(3) Soweit in den Abs1 und 2 nicht anderes bestimmt ist, sind auf den Vertrag die Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes über Staatsverträge anzuwenden.

Artikel 2

Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut."

3. Zu seiner Antragslegitimation bringt der Einschreiter im Wesentlichen Folgendes vor:

"Mit Inkrafttreten des Vertrages über eine Verfassung für Europa wird das geltende Primärrecht fast vollständig aufgehoben (ArtIV-437 iVm dem Protokoll Nr. 33) und durch die Bestimmungen dieses Vertrages ersetzt. Durch diesen Vertrag werden Bestimmungen mit unmittelbarer Wirksamkeit für den Antragsteller eingeführt (z.B. Grundrechtsschutz) und ist dieser Normadressat (vgl z.B. zum bisherigen Primärrecht: EuGH, Rs 26/62, van Gend & Loos, Slg 1963, 1).

Gerade durch das nunmehr kodifizierte Primat des Unionsrechtes auch gegenüber den Baugesetzen der österreichischen Bundesverfassung wird der Antragsteller unmittelbar in seinen Rechten verletzt: Diese Baugesetze der österreichischen Bundesverfassung sichern ganz wesentliche (verfassungsrechtliche) Rechte des Antragstellers, wie zB auf demokratische Mitbestimmung des Einzelnen, ab. Durch das angefochtene Bundesverfassungsgesetz und den auf dessen Grundlage zu ratifizierenden Staatsvertrag wird - durch die dann kodifizierte Nachrangigkeit der Baugesetze der österreichischen Bundesverfassung - bewirkt, dass künftige Änderungen des primären Unionsrechts, die inhaltlich das demokratische, bundesstaatliche oder rechtsstaatliche ... Prinzip der Bundesverfassung wesentlich modifizieren, innerstaatlich auch ohne Volksabstimmung gemäß Artikel 44 Abs3 B-VG für Österreich verbindlich würden und vom Verfassungsgerichtshof nicht mehr am Maßstab der verfassungsrechtlichen Grundordnung überprüft werden können. Dadurch wird auch für den Antragsteller die Möglichkeit der Anfechtung von Rechtsakten durch Individualantrag beim VfGH wesentlich eingeschränkt, sodass dieser durch die Verfassungswidrigkeit unmittelbar und aktuell in seinen Rechten verletzt ist. Das angefochtene Gesetz greift daher unmittelbar, aktuell und nachhaltig in die Rechtssphäre des Antragstellers ein und verletzt diesen - im Falle der Verfassungswidrigkeit - nachhaltig.

Dem Antragsteller steht kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, um die Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Gesetzes abzuwehren. Art44 Abs3 B-VG gilt nur für Bundesgesetze und nicht auch für Staatsverträge ... Folgt man dieser Rechtsauffassung, so kann eine Gesamtänderung der Bundesverfassung nur durch Verfassungsgesetz - und nicht durch Staatsvertrag - vorgenommen werden. Ermächtigt das dem Staatsvertrag zugrunde liegende Bundesverfassungsgesetz zum Abschluss eines Staatsvertrages, der eine Gesamtänderung der Bundesverfassung beinhaltet, müsste es demnach dem Verfahren nach Art44 Abs3 B-VG unterzogen werden. Nach dieser Rechtsauffassung, welche auch in den Materialien zum angefochtenen Bundesverfassungsgesetz vertreten wird (RV 789 d. B. XXII. GP) steht dem Antragsteller daher nicht der Weg offen, den Staatsvertrag über eine Verfassung für Europa gemäß Art140a BVG wegen Verstoß gegen Art44 Abs3 B-VG anzufechten, sondern nur das zum Abschluss des Staatsvertrages ermächtigende Bundesverfassungsgesetz.

Da der Staatsvertrag über eine Verfassung für Europa wegen Verstoßes gegen Art44 Abs3 B-VG selbst nicht angefochten werden kann, steht als einziger 'zumutbarer Weg' iS der Judikatur des VfGH dem Antragsteller nur die Anfechtung des verfassungswidrigen ErmächtigungsBVG offen, um die ihn unmittelbar treffenden Verfassungswidrigkeiten zu bekämpfen. Als zumutbarer Weg kann sicher auch nicht gesehen werden, dass der Antragsteller die Kundmachung des rechtswidrigen Staatsvertrages nach der Ratifizierung durch alle EU-Staaten abwartet, was noch Jahre in Anspruch nehmen wird, um dann eine auf Grundlage des rechtswidrigen Staatsvertrages erlassene gerichtliche Entscheidung oder Bescheid zu provozieren, welche allenfalls angefochten werden könnten. Anders als bei bloßen Verordnungsermächtigungen (VfSlg 11.730, 11.825, 13.318) ist daher bei dem nun angefochtenen Bundesverfassungsgesetz, das zum Abschluss eines Staatsvertrages mit gesamtändernden Inhalt ohne Volksabstimmung ermächtigt, die Zulässigkeit eines Individualantrages gegeben."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit des Antrages erwogen:

1. Abgesehen von einem abstrakten Normenkontrollverfahren bzw. einem auf Antrag eines hiezu legitimierten Gerichtes, eines unabhängigen Verwaltungssenates oder des Bundesvergabeamtes eingeleiteten Normenkontrollverfahren kommt die Prüfung eines Bundes(verfassungs)gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof dann in Betracht, wenn dieses Bundes(verfassungs)gesetz in einem beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren im Sinne des Art140 B-VG anzuwenden wäre (vgl. dazu etwa VfSlg. 16.241/2001, 16.404/2001 und VfGH 14.12.2004 V131/03).

Darüber hinaus räumt jedoch Art140 Abs1 letzter Satz B-VG unter bestimmten Voraussetzungen auch dem Einzelnen die Möglichkeit eines Individualantrages auf Normenkontrolle ein.

Grundlegende Voraussetzung für die Zulässigkeit eines solchen Antrages ist aber, dass die bekämpfte Norm in die Rechtssphäre der betreffenden Person eingreift und sie im Falle der Rechtswidrigkeit verletzt. Die Anfechtungslegitimation kann - wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. zuletzt etwa VfGH 6.12.2004 G110/04) - von vornherein nur einem Rechtsträger zukommen, an den oder gegen den sich die angefochtene Norm wendet (Normadressat).

2. Auf Grund des oben wiedergegebenen - völlig eindeutigen - Wortlautes des angefochtenen Bundesverfassungsgesetzes, das auf das Wesentliche zusammengefasst besondere Regelungen betreffend die Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates beim Abschluss eines bestimmten Staatsvertrages trifft, ist von vornherein auszuschließen, dass der Antragsteller Adressat dieser Norm ist. Es kann auch keine Rede davon sein, dass der Antragsteller - wie er offenbar vermeint - letztlich durch das von ihm bekämpfte Bundesverfassungsgesetz "unmittelbar in seinen Rechten ... zB auf demokratische Mitbestimmung des Einzelnen" verletzt sein könnte: Sollte damit das Recht auf Teilnahme an einer Volksabstimmung iSd. Art44 Abs3 B-VG gemeint sein, so ist darauf hinzuweisen, dass die Verfassung in dieser Hinsicht lediglich die Teilnahme an einer gegebenenfalls gemäß Art46 Abs3 B-VG angeordneten Volksabstimmung gewährleistet, nicht aber ein Recht auf Durchführung einer solchen.

3. Der Antrag war daher schon aus diesem Grund mangels Legitimation zurückzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Bundespräsident, EU-Recht, Staatsverträge, VfGH / Individualantrag, Volksabstimmung, Ratifikation, Transformation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2005:G62.2005

Dokumentnummer

JFT_09949382_05G00062_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten