RS Vfgh 2001/6/19 G115/00 ua

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Veröffentlicht am 19.06.2001
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Index

62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsgegenstand
B-VG Art140 Abs5 / Fristsetzung
AlVG §1 Abs1 lita
AlVG §22 Abs1

Leitsatz

Unsachlichkeit der mangelnden Ausnahme von Pensionsbeziehern von der Arbeitslosenversicherungspflicht aufgrund des gesetzlichen Ausschlusses arbeitslosenversicherter Pensionsbezieher von Leistungen aus dem Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit; Zulässigkeit der Erweiterung des Gesetzesprüfungsverfahrens auf diese Ausschlußbestimmung; Sitz der Verfassungswidrigkeit in dieser Bestimmung und nicht im Grundtatbestand über den Umfang der Arbeitslosenversicherung

Rechtssatz

Präjudizialität des Grundtatbestandes betreffend die Arbeitslosenversicherung in §1 Abs1 lita AlVG; Zulässigkeit auch der Erweiterung des Gesetzesprüfungsverfahrens auf §22 Abs1 AlVG (zweiter Prüfungsbeschluß).

Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine dem Regel-Ausnahme-Verhältnis (siehe hiezu die im Erkenntnis zitierte Vorjudikatur) insoweit vergleichbare Konstellation, als im sozialversicherungsrechtlichen Pflichtversicherungsverhältnis (nicht anders als im Vertragsversicherungsrecht) ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Beitragspflicht und (zumindest potentieller) Versicherungsleistung besteht. Versicherungs- (Beitrags-) und Leistungsseite bilden erst gemeinsam das Versicherungsverhältnis, sodaß in der Frage, ob der Gesetzgeber in einem solchen Zusammenhang aus verfassungsrechtlicher Sicht zulässigerweise eine bestimmte Beitragspflicht vorgesehen hat, die Regelung der Leistungsseite jedenfalls insoweit damit in einem untrennbaren Zusammenhang steht, als dies zur Prüfung, ob damit auch ein Versicherungsverhältnis begründet wird, von Bedeutung ist. Es erweist sich jedoch nicht der gesamte §22 Abs1 AlVG als präjudiziell, sondern nur jener Teil, der beim Erstbeschwerdeführer des Anlaßverfahrens den Leistungsausschluß bewirkt. Da der Erstbeschwerdeführer zu B864/98 eine Pension aus dem Versicherungsfall des Alters gemäß §270 iVm §253 ASVG bezieht und damit auch die Voraussetzungen für eine solche Leistung erfüllt, jedoch jede dieser Voraussetzungen für sich allein den Leistungsausschluß bewirkt, sind nur die im Spruch genannten Wortfolgen präjudiziell.

Im §22 Abs1 AlVG, BGBl. Nr. 609/1977, idF BGBl. Nr. 594/1983, BGBl. Nr. 416/1992 und BGBl. Nr. 502/1993 werden die Wortfolgen "der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz," sowie "bzw. die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pension aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen" als verfassungswidrig aufgehoben.

§1 Abs1 lita AlVG wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.

§1 Abs1 lita AlVG nimmt in verfassungswidriger, weil unsachlicher

Weise Pensionsbezieher nicht von der Arbeitslosenversicherungspflicht aus, obwohl es gemäß §22 AlVG gesetzlich ausgeschlossen ist, daß ein solcherart arbeitslosenversicherter Pensionsbezieher je in den Genuß einer Leistung aus dem Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit kommen könnte.

Keine Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung im Sozialversicherungsrecht.

Der Gesetzgeber schließt in §22 Abs1 AlVG nicht etwa bloß Leistungsbezieher aus der Pensionsversicherung vom Leistungsbezug aus, sondern auch jene Personen, welche (bloß) die Anspruchsvoraussetzungen für eine Pensionsleistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters erfüllen, diese aber (zB zur Vermeidung von Abschlägen beim Steigerungsbetrag) noch nicht in Anspruch nehmen wollen.

Überschreitung des rechtspolitischen Gestaltungsspielraums.

Die Verfassungswidrigkeit ist nicht durch die Aufhebung des §1 Abs1 lita AlVG, sondern durch die Aufhebung der den Leistungsausschluß bewirkenden präjudiziellen Wortfolgen des §22 Abs1 AlVG zu beseitigen, weil durch die Aufhebung dieser Wortfolgen der Inhalt des Gesetzes insgesamt in wesentlich geringerem Maße verändert wird, als dies im Falle der Aufhebung der die Arbeitslosenversicherung für Dienstnehmer begründenden Bestimmung des §1 Abs1 lita AlVG der Fall wäre.

Da es aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht unzulässig wäre, die Leistungsansprüche für Bezieher einer Alterspension nach dem AlVG abweichend zu regeln, sah sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Wortfolgen des §22 Abs1 AlVG eine Frist bis 30.06.02 zu bestimmen, um dem Gesetzgeber die ihm allenfalls notwendig erscheinenden legistischen Vorkehrungen zu ermöglichen.

(Anlaßfall: E v 19.06.01, B864/98 - Keine Aufhebung des angefochtenen Bescheides aufgrund Anwendung der infolge des aufhebenden Erkenntnisses bereinigten Rechtslage).

Entscheidungstexte

  • G 115/00 ua
    Entscheidungstext VfGH Erkenntnis 19.06.2001 G 115/00 ua

Schlagworte

Arbeitslosenversicherung, Gesetz, Ausnahmeregelung - Regel, Sozialversicherung, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Verwerfungsumfang, VfGH / Anlaßverfahren, VfGH / Fristsetzung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G115.2000

Dokumentnummer

JFR_09989381_00G00115_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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