RS Vfgh 2001/6/21 B2037/99

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Veröffentlicht am 21.06.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG 1997 §109
BundesvergabeG 1997 §109 Abs8
EGVG ArtII Abs2
ZustellG §1

Leitsatz

Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes zur Erlassung eines Feststellungsbescheides betreffend die Nichtigkeit einer Zuschlagserteilung innerhalb der Sperrfrist wegen Einleitung eines Schlichtungsverfahrens; keine behördliche Befehlsgewalt und keine Bescheidqualität der Erledigungen der Bundes-Vergabekontrollkommission sowie keine Anwendbarkeit von AVG und Zustellgesetz; vertretbare Annahme des Zukommens der Verständigung von der Einleitung des Schlichtungsverfahrens per Telefax durch das Bundesvergabeamt

Rechtssatz

Das Bundesvergabeamt war zuständig, mit seinem Bescheid iSd §109 Abs8 BundesvergabeG deklarativ festzustellen, daß die Zuschlagserteilung innerhalb der vergabegesetzlichen Sperrfrist erfolgt und sohin ex lege nichtig ist.

Zwar enthalten die Regelungen über die Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes keine explizite gesetzliche Grundlage für die Erlassung eines Feststellungsbescheides über die Nichtigkeit eines entgegen dem Verbot des §109 Abs8 BundesvergabeG erteilten Zuschlags und §113 BundesvergabeG sieht Feststellungsbescheide nur als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage nach Erteilung des Zuschlags vor (§125 Abs2 leg.cit.).

§109 Abs8 leg. cit. ist eine im Hinblick auf die Effektivität des Vergaberechtsschutzes gemeinschaftsrechtlich gebotene Schutznorm für rechtsschutzsuchende Bieter im Vergabeverfahren. Sie soll einen effektiven Rechtsschutz vor Erteilung des Zuschlags sichern.

Im vorliegenden Vergabeverfahren bestand offenkundig keine einheitliche Rechtsmeinung zwischen den Beteiligten darüber, ob in Anbetracht der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens und des Vorgangs der Verständigung der vergebenden Stelle hievon ein vorläufiges Zuschlagsverbot (§109 Abs8 BundesvergabeG) bewirkt wurde. Im Interesse der Klarstellung der strittigen Rechtsfrage, ob die Zuschlagserteilung durch den auftraggebenden Abwasserverband zulässig war, lag die Erlassung eines Feststellungsbescheides daher im öffentlichen Interesse wie auch im Interesse der Parteien.

Dem Bundesvergabeamt kann aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn es davon ausging, daß es sich bei der Verständigung von der Einleitung eines Schlichtungsverfahrens im Sinne des §109 Abs8 BundesvergabeG nicht um eine behördliche Mitteilung im Sinne des §1 Abs1 ZustellG handelte, die nach den Vorschriften dieses Gesetzes den Parteien zu übermitteln gewesen wäre.

Bundes-Vergabekontrollkommission keine Verwaltungsbehörde.

Staatsorgane sind nur dann als Behörden zu qualifizieren, wenn sie nach den einschlägigen Rechtsvorschriften über Befehlsgewalt (imperium) verfügen, also einseitig verbindliche Normen erlassen oder Zwangsakte setzen können (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, Rz. 549). Das BundesvergabeG weist der Bundes-Vergabekontrollkommission keinerlei behördliche Befehlsgewalt zu, sondern überträgt ihr vielmehr Aufgaben der Streitschlichtung sowie der Gutachtenserstellung.

Angesichts der spezifischen Funktion der Bundes-Vergabekontrollkommission und angesichts der mangelnden Bescheidqualität ihrer Erledigungen (vgl. Thienel, Das Nachprüfungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz, WBl. 1993, 374 ff. (378)) kann das vor ihr abzuführende Verfahren nicht als behördliches Verfahren qualifiziert werden, weshalb die Bundes-Vergabekontrollkommission (im Gegensatz zum Bundesvergabeamt: vgl. ArtII Abs2 litC Z40 a EGVG) auch nicht gehalten ist, das AVG anzuwenden.

Dem Bundesvergabeamt ist auch nicht entgegenzutreten, wenn es hinsichtlich des Zukommens der Verständigung von der Einleitung des Schlichtungsverfahrens vor der Bundes-Vergabekontrollkommission auf die allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätze über den Zugang von Erklärungen abstellte, und diese als zugegangen annahm, wenn sie in der Weise in den Machtbereich des Empfängers - also des beschwerdeführenden Abwasserverbandes - gelangt ist, daß dieser unter normalen Umständen (und nach vollständigem Signaleingang auf dem Telefaxgerät) von ihrem Inhalt Kenntnis erlangen konnte. Da die Verständigung von der Einleitung des Schlichtungsverfahrens unbestritten vor Beginn jener Sitzung des Auftraggebers, in der die gegenständlichen Zuschlagserteilungen beschlossen wurden, in dessen Verfügungsbereich gelangte, ist die Auffassung des Bundesvergabeamtes jedenfalls nicht unvertretbar, daß der beschwerdeführende Abwasserverband zur Entscheidung über den Zuschlag nicht mehr befugt war.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Behördenbegriff, Behördenzuständigkeit, Feststellungsbescheid, EU-Recht, Rechtsschutz, Vergabewesen, Verwaltungsverfahren, Anwendbarkeit AVG, Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B2037.1999

Dokumentnummer

JFR_09989379_99B02037_01
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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